BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3261 21. Wahlperiode 23.02.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 15.02.16 und Antwort des Senats Betr.: Beschulung von Flüchtlingen – Was ist über die Schulsysteme in den Herkunftsländern bekannt? Zwei Drittel der Flüchtlinge, die zu uns kommen, können kaum lesen und schreiben, viele haben eine miserable Schulbildung. Dies erklärte der renommierte Bildungsökonom Ludger Wößmann vor wenigen Wochen in einem Gespräch mit der „ZEIT“. Erst kürzlich wurde in einer Studie für die OECD die Schulbildung in insgesamt 81 Ländern miteinander verglichen, unter denen befanden sich auch Staaten wie Syrien oder Albanien. Dabei ergab ein Vergleich der Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien PISA und Timss von 2011, dass in Syrien 65 Prozent der Schüler nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert, schaffen; in Albanien liegt die Quote bei 59 Prozent – gegenüber 16 Prozent in Deutschland. Dies bedeutet, dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben und dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können; vom Lernstoff her hinken syrische Achtklässler im Mittel fünf Schuljahre hinter etwa gleichaltrigen deutschen Schülern hinterher, so Wößmann. „Selbst nachdem sie Deutsch gelernt haben, werden viele dem Schulunterricht wohl nicht folgen können. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob sie die Voraussetzungen für eine Berufsausbildung mitbringen.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Informationen liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde über die Schulsysteme der Hauptherkunftsländer (Syrien, Afghanistan, Irak, Albanien, Eritrea, Iran, Kosovo, Serbien) der zu beschulenden Flüchtlinge vor? Für die Bewertung von ausländischen schulischen Bildungsnachweisen nutzt das Schulinformationszentrum (SIZ) als anerkennende Stelle die Veröffentlichungen in der Datenbank „anabin“ der „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“ der Kultusministerkonferenz (KMK). Diese Datenbank (www.anabin.kmk.org) bildet nach Ländern geordnet die Strukturen unterschiedlicher Bildungssysteme ab und unterstützt Behörden, Arbeitgeber und Privatpersonen, eine ausländische Qualifikation in das deutsche Bildungssystem einzustufen. 2. Wie beurteilt die zuständige Behörde die Ergebnisse der für die OECD durchgeführten Studie und welche Konsequenzen zieht sie hieraus? Die OECD-Studie “Low Performing Students: Why they fall behind and how to help them succeed” (http://www.oecd-ilibrary.org/docserver/download/ 9816011e.pdf?expires=1455613937&id=id&accname=guest&checksum=E899F39F3E DA084B3A0E676FCF4C6F9F) reanalysiert für 64 Staaten Daten aus den internatio- Drucksache 21/3261 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nalen PISA-Studien 2003 bis 2012. Von den oben genannten Ländern werden in der Studie nur für Albanien und Serbien Kompetenzdaten berichtet. Für die in der Studie untersuchten Länder sind die Daten repräsentativ. Da aber mit Blick auf herkunftsbedingte Leistungsmerkmale nicht bekannt ist, welche vermutlich sozial hochselektiven Teilpopulationen schulpflichtiger 15-Jähriger (PISA-Testpopulation) jeweils aus den genannten Ländern nach Deutschland kommen und wie diese sich auf die Länder verteilen, fehlt auf dieser äußerst eingeschränkten Basis eine empirische Grundlage, um Schlussfolgerungen für Maßnahmen in Hamburg zu ziehen. Die Behauptung, zwei Drittel der Flüchtlinge, die zu uns kommen, könnten kaum lesen und schreiben und viele hätten eine miserable Schulbildung, ist deshalb empirisch nicht nachweisbar. Nach ersten noch nicht repräsentativen Ergebnissen des Projektes W.I.R – work and integration for refugees ist bei rund drei Vierteln der dort betreuten Flüchtlinge ein langjähriger Schulbesuch von mehr als acht Jahren, überwiegend sogar mehr als zehn Jahren angegeben worden (siehe Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Integration vom 22. Januar 2016), zum Projekt W.I.R siehe auch Drs. 21/2680). Gleichwohl ist anzunehmen, dass bei vielen zugewanderten Flüchtlingen im schulpflichtigen Alter von einem hohen Förder- und Qualifizierungsbedarf auszugehen ist. Zu den Maßnahmen der zuständigen Behörde siehe Drs. 21/2990, 21/2991, 21/ 21/3051 und 21/3096. 3. Wie und auf welche Weise werden welche erreichten Schulabschlüsse in den Hauptherkunftsländern jeweils anerkannt? Aufgabe der anerkennenden Stelle ist es, ausländische schulische Abschlüsse mit in Hamburg erreichbaren schulischen Abschlüssen zu vergleichen und für die schulische Eingliederung beziehungsweise für die Bewerbung auf dem Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt die Gleichwertigkeit für das Land Hamburg zu bescheinigen. Die Bewertung einer im Ausland erworbenen Hochschulreife im Verhältnis zum Universitätseingangsniveau in Deutschland richtet sich nach bundesweit anerkannten Regelungen, die von der KMK veröffentlicht wurden, siehe Antwort zu 1. Für den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss ist der Nachweis von neun beziehungsweise zehn Schuljahren bei weitgehend allgemeinbildendem Unterricht erforderlich . Es müssen mindestens ausreichende Leistungen in den Fächern (Mutter-) Sprache, Mathematik und in jeweils mindestens einem Fach der naturwissenschaftlichen oder technischen und gesellschafts- oder wirtschaftskundlichen Bereiche erbracht werden. Eine Vorbildung wird als mittlerer Schulabschluss eingestuft, wenn mindestens ausreichende Leistungen in den Fächern (Mutter-)Sprache, Fremdsprache, Mathematik und in jeweils mindestens einem Fach der naturwissenschaftlichen und gesellschaftskundlichen Bereiche erbracht werden. Weitere Voraussetzung sind mindestens zehn besuchte aufsteigende Klassen mit ausschließlich allgemeinbildendem Unterricht. a. Inwiefern spielt der Aufenthaltsstatus hierbei gegebenenfalls eine Rolle? Der Aufenthaltsstatus spielt bei der Anerkennung von Schulabschlüssen keine Rolle. b. Wie wird bei Flüchtlingen ohne Papiere verfahren? Der Vergleich der im Ausland erworbenen Schulabschlüsse mit in Hamburg erreichbaren Abschlüssen setzt grundsätzlich voraus, dass Originalzeugnisse oder beglaubigte Kopien und Übersetzungen einer vereidigten Dolmetscherin beziehungsweise eines vereidigten Dolmetschers vorgelegt werden. 4. Welche Probleme – abgesehen von der Sprachbarriere – bestehen nach Ansicht der zuständigen Behörde bei der Integration von Flüchtlingen in das hamburgische Schulsystem und wie will sie diesen abhelfen? Die heterogenen Bildungsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler stellen unabhängig von den jeweiligen Sprachkenntnissen für ihre Beschulung eine Herausforderung dar. Die zuständige Behörde reagiert darauf mit einem differenzierten Aufnahmesystem für schulpflichtige Flüchtlinge. So bestehen neben den Regelangeboten IVK (internationale Vorbereitungsklasse im allgemeinbildenden Bereich) und AvM- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3261 3 Dual (dualisierte Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten im berufsbildenden Bereich) zum Beispiel spezielle Angebote für nicht in der lateinischen Schrift alphabetisierte Kinder und Jugendliche (Basisklassen beziehungsweise Alphabetisierungsklassen ), für Jugendliche in der Sekundarstufe I mit bereits vorhandenen berufspraktischen Erfahrungen (IBE-Klassen, „Integration durch betriebliche Erfahrung “) und für Jugendliche mit Aussicht auf das Erlangen der Hochschulreife (IVK mit Perspektive Oberstufe). Eine weitere, von den Sprachkenntnissen unabhängige Herausforderung stellt die Orientierung der Kinder und Jugendlichen auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland dar. Demokratie- und Werteerziehung sind deshalb fester Bestandteil der Curricula aller Vorbereitungsmaßnahmen (inklusive der ZEA-Lerngruppen). Die zuständige Behörde hat entsprechende Materialien entwickelt und bildet ihre Lehrkräfte regelhaft in diesen Bereichen fort. Für die Integration von jugendlichen Flüchtlingen an berufsbildenden Schulen besteht ein besonderer Unterstützungsbedarf unter anderem hinsichtlich der Antragstellung für den Bereich Wohn- und Lebenssituation, der Vermittlung von Kontakten zu unterstützenden Einrichtungen sowie der Klärung sozial- und berufspädagogischer Fragen. Daher werden zurzeit unter anderem für diese Aufgaben Stellen für Sozialpädagoginnen und -pädagogen an berufsbildenden Schulen ausgeschrieben (siehe Drs. 21/2644). Eine besondere Herausforderung für die Integration minderjährige Flüchtlinge ist der Übergang in Ausbildung und Beschäftigung. Aus diesem Grund werden seit 1. Februar 2016 neu zugewanderte Jugendliche an berufsbildenden Schulen im Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten (AvM-Dual) beschult. Im Übrigen siehe Drs. 21/2644 und 21/2991.