BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/328 21. Wahlperiode 28.04.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 22.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Bekämpfung von Extremismus und Qualitätssicherung in der Flüchtlingsbetreuung Nach Medienberichten war ein bekennender Islamist von Ende 2014 bis Anfang 2015 als Dolmetscher in einer Einrichtung für sogenannte minderjährige unbegleitete Flüchtlinge tätig. Dort soll er auch versucht haben, ideologischen Einfluss auf die Jugendlichen zu nehmen. Es ist höchst besorgniserregend , dass die Sozialbehörde – zumal in diesem hochsensiblen Bereich – erst nach mehreren Monaten auf den extremistischen Mitarbeiter aufmerksam wurde. Insbesondere die Arbeit mit Minderjährigen muss durch geeignetes und sorgfältig ausgewähltes Personal erfolgen. Der Senat darf keine neuen Rekrutierungsfelder für Extremisten entstehen lassen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die besagte Person war nicht als Dolmetscher, sondern als sogenannter Sprach- und Kulturmittler im Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) eingesetzt. Es trifft zu, dass es einen Verdacht gibt, es handele sich bei dieser Person, die befristet für sechs Monate beschäftigt war, um einen Islamisten. Erkenntnisse darüber, ob diese Person versucht hat, ideologischen Einfluss auf Jugendliche zu nehmen, liegen hingegen nicht vor. Entsprechende Beobachtungen am Arbeitsplatz wurden nicht gemacht. Die Antworten beruhen zum Teil auf Angaben des LEB und f & w fördern und wohnen – Anstalt öffentlichen Rechts – (f & w). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie stellt sich der angeführte Fall aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde dar? Der Mitarbeiter wurde nach einem für die Beschäftigten des LEB üblichen Auswahlverfahren für die Funktion eines Sprach- und Kulturmittlers für geeignet gehalten. Zum Auswahlverfahren zählen grundsätzlich: - Die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse gemäß § 72a SGB VIII; - Die Erfüllung der gemäß der Stellenausschreibungen des LEB geforderten Formalqualifikationen . Diese sind je nach Funktion unterschiedlich, in der Regel handelt es sich um Funktionen für ausgebildete Erzieherinnen beziehungsweise Erzieher oder Sozialpädagoginnen beziehungsweise Sozialpädagogen. Für die Einstellung in der Funktion der Sprach- und Kulturmittlung gelten im LEB folgende Anforderungen: - Eigener Migrationshintergrund; Drucksache 21/328 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 - Schulabschluss, der einem deutschen mittleren Bildungsabschluss entspricht, oder ein Bildungsabschluss, der dem deutschen Hauptschulabschluss entspricht plus einer abgeschlossenen Berufsausbildung; - Nachweis über Deutschkenntnisse (zum Beispiel Kompetenzstufe B1 gemäß Deutschtest für Zuwanderer); - Kenntnisse über gesellschaftliche und administrative Strukturen des Herkunftslandes sowie von Deutschland. Ende Januar 2015 wurde der LEB auf einen auffälligen Auftritt des in Rede stehenden Mitarbeiters in einem sozialen Netzwerk aufmerksam gemacht. Daraufhin wurden umgehend eine Expertin der Behörde für Inneres und Sport zur Einschätzung des Sachverhalts eingeschaltet, ein Personalgespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter geführt und alle Informationen bewertet. Da kein indoktrinierendes Verhalten am Arbeitsplatz beobachtet wurde und keine Verstöße gegen die Arbeitspflichten vorlagen, gab es keine arbeitsrechtliche Grundlage für eine vorzeitige Beendigung des bis zum 23. April 2015 befristeten Arbeitsverhältnisses . Der LEB hat sichergestellt, dass der Mitarbeiter bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses sehr eng geführt wurde und unbegleitete Minderjährige nur in Anwesenheit eines weiteren Mitarbeiters betreute. 2. Gibt es bestimmte Voraussetzungen, die Bewerber erfüllen müssen, um für die Freie und Hansestadt Hamburg in der Betreuung von a. Flüchtlingen und anderen illegal eingereisten Personen b. minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen und anderen illegal eingereisten Minderjährigen tätig zu sein? Wenn ja, welche Voraussetzungen sind dies jeweils? Wenn nein, warum nicht? Für alle Bewerberinnen und Bewerber, mit denen ein Arbeitsverhältnis mit der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) begründet werden soll, gilt, dass sie sich der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verpflichten und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. Als Teil seines Schutzkonzeptes gemäß § 79a SGB VIII verlangt der LEB künftig von allen neu einzustellenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Unterzeichnung einer Selbstverpflichtungserklärung. Diese Selbstverpflichtungserklärung beinhaltet neben der Verpflichtung auf ein angemessenes Verhalten in der Jugendhilfe unter anderem auch die Verpflichtung, die Kultur, Religion und ethnische Herkunft der Betreuten zu respektieren und sie nicht von der eigenen religiösen oder ideologischen Haltung zu überzeugen. 3. Welche Möglichkeiten gibt es, derart tätig zu sein (zum Beispiel Dolmetscher , Kulturvermittler)? Bitte jeweils mit konkreten Personenzahlen versehen . Sprach- und Kulturmittler/-innen werden nur in der Jugendhilfe und hier fast ausschließlich in der Erstversorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) eingesetzt. Darüber hinaus gibt es in Nachfolgeeinrichtungen Sprach- und Kulturmittler zur Unterstützung der Betreuungsarbeit mit unbegleiteten Minderjährigen. Aktuell arbeiten im LEB 68 Beschäftigte für die Sprach- und Kulturmittlung. Mit Dolmetschern wird sowohl im LEB als auch bei f & w kein Arbeitsverhältnis begründet. Dolmetscherleistungen werden stundenweise je nach aktuellem Bedarf im Rahmen von Dienstleistungsverträgen mit - Einzelpersonen oder - gewerblichen Dolmetscherdiensten erbracht. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/328 3 4. Insbesondere Dolmetscher nehmen sowohl den eingereisten Personen als auch anderen Mitarbeitern gegenüber eine besondere Vertrauensstellung ein, da ihre Tätigkeit einer Kontrolle zum Großteil entzogen ist und sie unmittelbar Einfluss zum Beispiel durch eine falsche Übersetzung nehmen können. a. Müssen Dolmetscher im Hinblick auf diesen sensiblen Tätigkeitsbereich besondere Voraussetzungen erfüllen? Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht? b. Finden besondere Maßnahmen zur dauerhaften Qualitätssicherung und Kontrolle der Dolmetscher statt? Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht? Voraussetzung für die Dolmetschertätigkeit bei f & w ist die Akzeptanz der Dolmetscher durch die betroffenen Flüchtlinge. Seit 2011 ist die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses bei Honorarverträgen Vertragsbestandteil. Es werden Gespräche (Feedback) mit den Flüchtlingen in Bezug auf eine Rückmeldung zu den begleitenden Übersetzern geführt und versucht, so eine Einschätzung zur Akzeptanz und Qualität der Tätigkeit zu bekommen. Im LEB regelhaft eingesetzte Dolmetscher müssen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis nach § 72a SGB VIII vorlegen. Auch sie müssen künftig eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen, siehe Antwort zu 2. Die Dienstleistungsverträge beinhalten darüber hinaus die sogenannte Scientology-Klausel. Die Rahmenverträge mit Dolmetscherdiensten im LEB beinhalten folgende Anforderungen an das eingesetzte Personal: - Es muss über die erforderlichen Sprachkenntnisse zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistung verfügen; - Der Dolmetscherauftrag muss nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Berufsausübung sorgfältig ausgeführt werden, das heißt, dass die Übersetzungen wortund inhaltsgetreu vorzunehmen sind und eigene Anmerkungen nur mit Zustimmung des Auftraggebers in die Übersetzung eingebracht werden dürfen; - Es muss sich gegenüber den Betreuten in den Einrichtungen, dem Personal des Auftraggebers sowie gegenüber Dritten im Rahmen der Leistungserbringung angemessen auftreten und entsprechend verhalten; - Es muss über die Bedeutung und den Inhalt der Datenschutzregelungen belehrt und auf deren Beachtung förmlich (schriftlich) verpflichtet werden. Auf Verlangen muss diese Verpflichtung dem Auftraggeber vorgelegt werden. 5. In welchem rechtlichen Rahmen finden diese Tätigkeiten jeweils statt? Bitte jeweils mit konkreten Personenzahlen versehen. Mit Dolmetschern oder gewerblichen Dolmetscherdiensten werden Dienstleistungsverträge abgeschlossen. Dem Einsatz einer für Leistungen gemäß eines Rahmenvertrages mit einem gewerblichen Dolmetscherdienst eingesetzten Person kann der LEB widersprechen, wenn die persönlichen Anforderungen nicht erfüllt sind. Das Recht des Widerspruchs besteht auch für den Fall, dass sich das Personal während der Leistungserbringung als nicht geeignet erweist und die Leistungserbringung abgebrochen werden muss. Seit Januar 2015 kamen bislang 35 von 64 registrierten Dolmetschern (Einzelpersonen) zum Einsatz . 6. Wie werden diese Tätigkeiten jeweils vergütet? Der Stundensatz für externe Dienstleister liegt zwischen 20 Euro und 25 Euro. Für Einsätze zu ungünstigen Zeiten werden Aufschläge zwischen 15 Prozent und 20 Prozent gezahlt. Drucksache 21/328 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Vergütung für die Beschäftigten der Sprach- und Kulturmittlung richtet sich nach Entgeltgruppe E 5 TV-L. Der Stundensatz für Honorarkräfte beträgt derzeit zwischen 11 Euro und 15 Euro. 7. Wie läuft der Bewerbungsprozess für diese Tätigkeiten jeweils ab? Für Dolmetscherleistungen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages (Honorartätigkeit ) gibt es keinen Bewerbungsprozess. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 8. Gibt es bestimmte Verfahren, mit denen auch Hintergrundinformationen zu den Bewerbern eingeholt werden? Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht? Nein, dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage. 9. Findet insbesondere eine Kooperation der zuständigen Behörden mit den Sicherheitsbehörden (insbesondere dem Verfassungsschutz) statt? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, sind Vorgaben in dieser Hinsicht geplant und wenn ja, welche ? Nein, nicht im Rahmen von Personalauswahlverfahren der zuständigen Behörden. Es gibt keine entsprechenden Planungen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 10. Gibt es Qualifikations- und Schulungsangebote für derartige Mitarbeiter? Wenn ja, um was für Angebote handelt es sich? Wenn nein, warum nicht? 11. Sind bestimmte Qualifikations- oder Schulungsmaßnahmen verpflichtend , um derart tätig zu sein? f & w schult eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter je nach ihrer Funktion über Pflichtveranstaltungen zum Beispiel zum Ausländerrecht. Darüber hinaus gibt es ein breites Angebot an Schulungen und Fortbildungen, die freiwillig wahrgenommen werden können. Für Honorarkräfte gibt es kein gesondertes Fortbildungsprogramm. Die Beschäftigten für die Sprach- und Kulturmittlung im LEB erhalten wie alle anderen neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Einführungsschulung, mit der wesentliche Informationen über den LEB als Jugendhilfeträger und über die Rechte und Pflichten von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, speziell der Jugendhilfe, vermittelt werden. Darüber hinaus werden bei Bedarf zum Beispiel Deeskalationstrainings angeboten. Außerdem stehen den Beschäftigten für die Sprach- und Kulturmittlung wie allen anderen Beschäftigten vielfältige Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung . Weiterhin hat der LEB ein Weiterbildungsangebot aufgelegt, das diesen Beschäftigten ermöglicht, eine berufsbegleitende Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin beziehungsweise Erzieher zu machen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 12. Wird der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Konsequenzen aus dem oben angeführten Vorfall ziehen? Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht? Siehe Antwort zu 2. bis 2. b. Ein Anlass darüber hinaus besteht nicht.