BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/329 21. Wahlperiode 28.04.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding (FDP) vom 22.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Kontenabrufe durch Dienststellen der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) Medien berichten alljährlich von einem erneuten Anstieg des Zugriffs auf Kontodaten von Bürgerinnen und Bürgern durch öffentliche Stellen. Dabei werden von zuständigen Dienststellen beispielsweise auf Grundlage von § 93 AO i.V.m. § 93b AO über das dazu befugte Bundeszentralamt für Steuern Kontostammdaten i.S.v. § 24c Absatz 1 KWG und/oder dort vorliegende Freistellungsauftragsdaten abgefragt und bei entsprechenden Verdachtsmomenten genauere Nachforschungen angestellt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die erfragten Angaben werden teilweise nicht gesondert statistisch erfasst, sondern liegen einzelfallbezogen in den jeweiligen Sachakten vor. Eine Einzelfallauswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit in diesen Fällen nicht möglich, weil hierfür der gesamte Aktenbestand der jeweiligen Behörden entsprechend ausgewertet werden müsste. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Kontenabrufe wurden in den Jahren 2005, 2010, 2011, 2013 und 2014 durch Dienststellen der FHH (inklusive Jobcenter) durchgeführt ? a. Jeweils wie viele davon betrafen natürliche Personen? b. Jeweils wie viele davon betrafen juristische Personen? (Bitte jahresweise auflisten.) Vom Bundeszentralamt für Steuern wurden folgende Kontenabrufe gemäß § 93 AO erledigt: 2005* 2010 2011 2012 2013 2014 Finanzämter 710 4.263 4.424 4.627 4.372 4.028 Grundsicherung für Arbeitssuchende (Sozialgesetzbuch (SGB II) 622 741 766 666 689 Sozialhilfe (SGB XII) - 1 1 5 9 Unterhaltsvorschussgesetz** - - - 1 1 Gerichtsvollzieher*** - - - 1.581 5.284 * Anwendung ab April 2005 ** Aufzeichnung ab August 2013 *** Aufzeichnung ab Mai 2013 (für 2014 wurden die gestellten Anfragen zugrunde gelegt) Drucksache 21/329 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. In jeweils wie vielen Fällen führten die Kontenabrufe in den genannten Jahren zu weiteren Nachforschungen? a. Wie viele Auskunftsersuchen zum Beispiel über Depotbestände, Kontostände und -bewegungen wurden dabei von Hamburger Dienststellen jeweils direkt an Kreditinstitute gerichtet? In der Steuerverwaltung wurden Aufzeichnungen für die Jahre 2005 bis 2007 geführt. Danach wurden im Jahr 2005 in 292 Fällen unbekannte Konten oder Depots aufgedeckt , woran sich weitere Maßnahmen angeschlossen haben. Für den Bereich der Sozialhilfe sind zwei Fälle aus einem Bezirksamt gemeldet, in denen der Hilfeempfänger um die Vorlage von Kontoauszügen gebeten wurde. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . b. In wie vielen Fällen wurden in den genannten Jahren in der FHH richterliche Beschlüsse erwirkt, um weitergehende Daten zum Beispiel über Depotbestände, Kontostände und -bewegungen zu erheben ? Bei den Amtsgerichten und beim Landgericht gibt es in strafrechtlichen Verfahren vereinzelt Auskunftsersuchen an Banken. Im Übrigen: siehe Vorbemerkung. 3. Wie viele der Abrufe wurden jeweils von Sozial- beziehungsweise Arbeitsämtern, von BAföG-Ämtern, von Finanzämtern, von Strafverfolgungsbehörden sowie von Gerichten respektive Gerichtsvollziehern gestartet? Welche sonstigen Dienststellen haben jeweils wie viele Abrufe gestartet? (Bitte jahresweise nach genannten, die Daten abfragenden Dienststellenkategorien differenzieren.) Siehe Antwort zu 1. Kontenabrufe in Bezug auf BAföG sind in den abgefragten Zeiträumen nicht durchgeführt worden. 4. Jeweils wie viele Fälle von Sozialleistungsbetrug, Steuerbetrug/ -hinterziehung sowie von Geldwäsche wurden in den genannten Jahren in der FHH (rechtskräftig) festgestellt? In circa wie vielen sonstigen Strafsachen waren die Kontenabrufe elementar für eine (rechtskräftige) Verurteilung? (Bitte Sozialleistungsbetrugsfälle in Bezug auf BAföG gesondert ausweisen .) Siehe Vorbemerkung. Im Übrigen kann das Ergebnis eines Kontenabrufs lediglich ein Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen und Feststellungen sein, die in ein Verfahren mit dem Ziel der Verurteilung münden. Insofern kann ein Kontenabruf für eine Verurteilung nicht als elementar angesehen werden. 5. Welche Veränderungen wurden in Dienst- oder Fachanweisungen oder sonstigen „Handlungsleitfäden“ der FHH hinsichtlich der Nutzung von Kontenabrufen seit 2010 jeweils wann vorgenommen? Seitens der Staatsanwaltschaft erfolgen Ersuchen an Kreditinstitute um Auskunft oder Übersendung von Unterlagen sowie der Automatisierte Abruf von Kontoinformationen nach § 24c Kreditwesengesetz nur, wenn diese Unterlagen für die Ermittlungen erforderlich sind. Die diese Thematik betreffende, aus dem Jahr 2004 stammende behördeninterne Verfügung wurde am 30. April 2014 aufgehoben und durch eine neue Verfügung ersetzt. Die Änderungen betrafen jedoch lediglich die nach dem Justizvergütungs - und Entschädigungsgesetz (JVEG) neu gefassten und zu berücksichtigenden Abrechnungsbeträge sowie den Hinweis auf eine nunmehr geänderte Internetseite. Für den Bereich der Amtsgerichte wurde im Rahmen der Änderung der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) mit Wirkung zum 1. September 2013 der § 141 GVGA geändert. Dieser befasst sich inhaltlich mit der Einholung von Drittauskünften und somit auch mit den Kontenabrufen beim Bundeszentralamt für Steuern. Der § 141 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/329 3 GVGA spiegelt den mit Wirkung zum 1. Januar 2013 einführten § 802l Zivilprozessordnung (ZPO) inhaltlich wider. Mit Einführung der neuen Regelungen sind diese in Dienstbesprechungen und Fortbildungen den Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vermittelt worden. Im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Geschäftsprüfungen bei den Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern wird unter anderem die Einhaltung der für den Datenabruf einschlägigen Normen geprüft. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es nicht im Ermessen des Gerichtsvollziehers liegt, die in § 802l ZPO geregelten Auskünfte einzuholen. Der Gerichtsvollzieher muss einem entsprechenden Antrag des Gläubigers vielmehr nachkommen, wenn die Voraussetzungen einer Auskunftseinholung erfüllt sind. 6. Wurden seit 2010 durch Behörden- oder Amtsleitungen mündlich Anweisungen bezüglich einer (verstärkten) Nutzung der Möglichkeit von Kontenabrufen erteilt? Wenn ja, jeweils wann durch jeweils wen und was besagten diese? Entsprechende Anweisungen sind dem Senat für den abgefragten Zeitraum nicht bekannt. 7. Inwieweit wurde und wird die Praxis der Kontenabfragen durch den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) überprüft? Gab oder gibt es von seiner Seite Beanstandungen am Verfahren? Wenn ja, welche und wie wurde darauf vom Senat bzw. den betroffenen Dienststellen jeweils reagiert? In Angelegenheiten, die ausschließlich die Amtsführung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) berühren, werden dessen Antworten in die Stellungnahme des Senates unverändert übernommen. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit führt immer wieder Prüfungen von Kontoabrufverfahren durch. Zum Teil geben Bürgerbeschwerden Anlass zu Einzelfallprüfungen; darüber hinaus wurden zuletzt im Dezember 2014 als Behördenprüfung die bezirklichen Grundsicherungsämter überprüft. Für die Jobcenter ist jedoch gemäß § 50 Absatz 4 Satz 3 SGB II die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zuständig; Gleiches gilt für die Bundesagentur für Arbeit. Bei den geprüften Fällen aus dem Bereich Sozialhilfe (SGB XII) wurden keine Verstöße gegen die zugrunde liegenden Verfahrensvorschriften festgestellt. Bei einem an sich nicht zu beanstandenden Abrufverfahren durch einen Gerichtsvollzieher im Auftrag der Justiz musste nur an die Löschverpflichtung gemäß § 802 l Absatz 2 ZPO erinnert werden.