BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3399 21. Wahlperiode 01.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Joachim Lenders (CDU) vom 23.02.16 und Antwort des Senats Betr.: Datenschutz gleich Täterschutz? Behindert der Datenschützer in Hamburgs Jobcentern die Festnahme flüchtiger und per Haftbefehl gesuchter Tatverdächtiger? Menschen, die in Hamburg Sozialleistungen über das Jobcenter (Hartz IV beziehungsweise die Grundsicherung) beziehen, erhalten diese Leistungen auch dann, wenn sie einer Straftat dringend verdächtig sind, per Haftbefehl gesucht werden und sich den Strafverfolgungsbehörden durch Flucht entziehen . Die Kooperation der Jobcenter mit der Polizei wird durch das Sozialgesetzbuch (SGB X) normiert. § 68 Absatz 1 Satz 1 SGB X (Übermittlung für Aufgaben der Polizeibehörden , der Staatsanwaltschaften, Gerichte und der Behörden der Gefahrenabwehr ) lautet: „Zur Erfüllung von Aufgaben der Polizeibehörden, der Staatsanwaltschaften und Gerichte, der Behörden der Gefahrenabwehr und der Justizvollzugsanstalten dürfen im Einzelfall auf Ersuchen Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige Anschrift des Betroffenen, sein derzeitiger oder zukünftiger Aufenthaltsort sowie Namen, Vornamen oder Firma und Anschriften seiner derzeitigen Arbeitgeber übermittelt werden, soweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden, und wenn das Ersuchen nicht länger als sechs Monate zurückliegt.“ Dabei geht die Polizei davon aus, dass der Aufenthaltsort flüchtiger, dringend tatverdächtiger Personen auch den tatsächlichen Aufenthalt im Jobcenter einschließt und vom Gesetzgeber so beabsichtigt wurde. Der zuständige Datenschützer für die Jobcenter scheint jedoch offensichtlich die gesetzlichen Vorgaben sehr differenziert auszulegen. Es soll Anweisungen an die zuständigen Sachbearbeiter geben, die erforderlichen Auskünfte der Polizei zu verwehren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten Personen, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind (§§ 8 und 9 SGB II). Der berechtigte Personenkreis ist in § 7 SGB II normiert. Hier ist auch geregelt, wer vom Leistungsbezug ausgeschlossen ist (§ 7 Absatz 4 SGB II). Einer Straftat dringend verdächtigte Personen beziehungsweise Personen, die flüchtig sind oder per Haftbefehl gesucht werden, sind danach nicht grundsätzlich vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Drucksache 21/3399 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Information des Jobcenters über den Aufenthaltsort eines mutmaßlichen Straftäters an die Polizei setzt voraus, dass dem Jobcenter der Umstand flüchtig, per Haftbefehl gesucht oder dringend einer Straftat verdächtigt bekannt ist und ein Ersuchen der Polizeibehörden gemäß § 68 Absatz 1 Satz 1 SGB X vorliegt. Dem Ersuchen sind enge Grenzen gesetzt, so darf lediglich im Einzelfall unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des/der Betroffenen eine Auskunft erfolgen, wenn das Ersuchen nicht älter als sechs Monate ist. Die Polizei stellt regelmäßig Anfragen an Jobcenter team.arbeit.hamburg, sofern der Aufenthaltsort gesuchter Personen nicht auf andere Weise ermittelt werden kann. Ziel der Anfragen ist die Ermittlung des aktuellen Aufenthaltsortes der gesuchten Person. In Ersuchen an das Jobcenter werden regelmäßig das Aktenzeichen und die Personalien der betreffenden Person aufgeführt sowie Formulierungen wie „in einem hier anhängigen Verfahren“ oder „in einem hier anhängigen Fahndungsfall“ bis hin zur Aussage, dass die Person mit Haftbefehl gesucht wird, verwendet. Die dem Ersuchen zugrunde liegende Straftat wird jedoch nicht mitgeteilt. Über das Ermittlungsersuchen entscheidet der Leiter der ersuchten Dienststelle, sein Vertreter oder eine andere von ihm bevollmächtigte Person (§ 68 Absatz 2 SGB X). Bei Jobcenter team.arbeit.hamburg sind zur Entscheidung über solche Ersuchen die Standort- beziehungsweise Bereichsleiter befugt. Liegt ein Ersuchen vor und kann diesem nach Prüfung stattgegeben werden, informiert Jobcenter team.arbeit.hamburg die Polizei über den zukünftigen Aufenthaltsort, das heißt in der Regel über den nächsten Vorsprachetermin im Jobcenter. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf Grundlage von Auskünften von Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) wie folgt: 1. Ist dem Senat bekannt, dass einer Straftat dringend verdächtige Personen , die zudem auf der Flucht vor der Polizei sind und per Haftbefehl gesucht werden, trotz dieser Umstände Sozialleistungen (Hartz IV beziehungsweise die Grundsicherung) vom Jobcenter Hamburg beziehen? 2. Auf welcher Rechtsgrundlage erhalten einer Straftat dringend verdächtige Personen, die flüchtig sind und per Haftbefehl gesucht werden, weiterhin Sozialleistungen? 3. Umfasst diese Rechtsgrundlage auch die Weiterzahlung von Sozialleistungen an flüchtige, mutmaßliche Straftäter von Kapitaldelikten (Mord, Totschlag) und anderen schweren Straftaten (zum Beispiel Vergewaltigung , erpresserischer Menschenraub)? 4. Hält der Senat die Weiterzahlung von Sozialleistungen an flüchtige, mutmaßliche Straftäter für rechtsstaatlich geboten? Siehe Vorbemerkung. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst. 5. Falls nein, beabsichtigt der Senat auf Bundesebene initiativ zu werden, um diese Vorgehensweise zu ändern? Entfällt. 6. Ist dem Senat bekannt, dass Hamburger Jobcenter die Polizei nicht regelhaft informieren, wenn sich in deren Räumlichkeiten mutmaßliche und per Haftbefehl gesuchte Straftäter aufhalten und Mitarbeiter des Jobcenters von diesem Umstand wissen? Falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage wird die Polizei nicht über den Aufenthaltsort mutmaßlicher und per Haftbefehl gesuchter Straftäter informiert? Falls nein, will der Senat zukünftig dafür Sorge tragen, dass Hamburger Jobcenter unverzüglich die Polizei informieren, wenn sich mutmaßliche und per Haftbefehl gesuchte Straftäter im Jobcenter aufhalten und Mitarbeiter der Jobcenter davon Kenntnis haben? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3399 3 7. Falls die Hamburger Jobcenter die Polizei über den Aufenthalt von mutmaßlichen und per Haftbefehl gesuchten Straftätern in ihren Räumlichkeiten nur dann rechtskonform informieren dürfen, wenn Gesetze des Bundes novelliert werden müssen, ist der Senat bereit, auf Bundesebene initiativ zu werden, um diese Informationen der Jobcenter an die Polizei Hamburg zu ermöglichen? Siehe Vorbemerkung. Es besteht eine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Informationsaustausch zwischen Jobcenter und Polizei. Für eine regelhafte unverzügliche Information des Jobcenters an die Polizei gibt es keine Rechtsgrundlage. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst. 8. Hält der Senat die offenkundige Tatsache, dass mutmaßliche, flüchtige Straftäter Sozialleistungen erhalten und somit vom Steuerzahler alimentiert werden und gleichzeitig von staatlichen Strafverfolgungsbehörden gesucht werden, die gleichfalls aus Steuermitteln finanziert werden, für rechtsstaatlich geboten? Siehe Vorbemerkung. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst.