BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3468 21. Wahlperiode 08.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 29.02.16 und Antwort des Senats Betr.: Qualitative und quantitative Aspekte der Jugendkriminalität in Hamburg – Evidente Zunahme im Jahr 2014 Aktuellen Medienberichten zufolge häufen sich in Hamburg seit einiger Zeit Straftaten, die von minderjährigen Tätern begangen werden. Als paradigmatisch dafür können mehrere Fälle gelten, über die das „Hamburger Abendblatt “ 2016 berichtete. Am 24. Februar setzte die Zeitung die Öffentlichkeit über einen Ermittlungserfolg der Polizei in Kenntnis, die eine Einbruchsserie von 42 Fällen aufdecken konnte, für die man zwei Männer im Alter von 19 und 20 Jahren verantwortlich macht. Die Tatverdächtigen, die bereits zuvor auffällig geworden waren, wurden nun auf frischer Tat ertappt und sitzen seither in Untersuchungshaft.1 In einer Meldung vom 13. Januar ist zu lesen, ein polizeibekannter Fünfzehnjähriger sei von der Polizei wegen des Verdachts festgenommen worden, in St. Georg in ein Internet-Café eingebrochen zu sein und dort Mobiltelefone, Schmuck und Bargeld gestohlen zu haben.2 In derselben Ausgabe berichtete das „Hamburger Abendblatt“ davon, ein 21 Jahre alter Mann habe am Hauptbahnhof einen Mitarbeiter der Deutschen Bahn geschlagen und mit Pfefferspray attackiert, weil er wegen der Wartung eines Automaten keinen Fahrschein kaufen konnte. Bei dem Angriff habe das Opfer Verletzungen an Oberlippe und Knie sowie Reizungen am Auge erlitten.3 Einem Bericht vom 18. Januar 2016 zufolge wurde ein 15 Jahre alter Taschendieb von der Bundespolizei festgenommen, nachdem er dabei erwischt worden war, wie er schlafende Fahrgäste der S-Bahn-Linie S3 nach Wertgegenständen abtastete und dabei einem Mann das Mobiltelefon raubte. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass es sich bei dem Täter um einen sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtling (UMF) marokkanischer Abstammung handelte, der gegenwärtig in Stade untergebracht ist. Nach seiner polizeilichen Erfassung wurde der Jugendliche wieder freigelassen.4 In einem anderen Fall, über den das „Hamburger Abendblatt“ in derselben Ausgabe berichtete, waren der Polizei bei einer Verfolgungsjagd zwei Einbrecher entwischt, nachdem sie in Osdorf Schmuck aus einem Reihenhaus gestohlen hatten. Da am Tatort jedoch die Festnahme eines Komplizen gelang, gewan- 1 Confer „Zwei Haftbefehle. Polizei klärt 42 Einbrüche auf. „Hamburger Abendblatt“ vom 24. Februar 2016. Seite 11. 2 Confer „Video überführt 15 Jahre alten Einbrecher“. „Hamburger Abendblatt“ vom 13. Januar 2016. Seite 11. 3 Confer „21-Jähriger attackiert Bahnmitarbeiter mit Reizgas“. Confer ibidem. 4 Confer „15-Jähriger will schlafende S-Bahn-Fahrgäste bestehlen“. „Hamburger Abendblatt“ vom 18. Januar 2016. Seite 11. Drucksache 21/3468 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nen die Beamten die Erkenntnis, dass es sich bei den Tätern um Mitglieder einer professionellen chilenischen Einbrecherbande handelte.5 Den oben genannten Fällen kann man entnehmen, dass jugendliche Straftäter in Hamburg verschiedene Delikte verüben, wozu mitunter schwerwiegende Verbrechen zählen, und sie dabei nicht selten in kriminelle Netzwerke integriert sind und darüber hinaus teilweise auch zur Gruppe der Flüchtlinge zählen. Wie erwähnt, sind die zitierten Fälle allesamt paradigmatischer Natur und können somit gut für eine Momentaufnahme herangezogen werden. Um das Phänomen der Jungendkriminalität in Hamburg darüber hinausgehend zu vertiefen, muss man unbedingt die offiziellen Kriminalstatistiken zur Kenntnis nehmen, die die Hamburger Polizei zuletzt in ihrem „Jugendlagebild 2014 – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung in Hamburg“ veröffentlicht hat.6 Hier wird deutlich, dass es in der Hansestadt 2014 im Vergleich zum Vorjahr zu einem evidenten Anstieg der Jugendkriminalität, nämlich um 2.218 auf 16.002 Fälle (+ 16,1 Prozent), gekommen ist. Dieser Wert ergibt sich aus der Registrierungsanzahl sogenannter unter 21 Jahre alter Tatverdächtiger (TVu21).7 In Hinblick auf die Entwicklung der Gesamtkriminalität, für die ein Anstieg um 1.979 auf 239.998 Fälle (+ 0,8 Prozent) kalkuliert worden ist, kann man konstatieren, dass das Phänomen der Jugendkriminalität insgesamt einer deutlich stärkeren Dynamik unterliegt. Darüber hinaus sind aber auch die Daten für den Bereich der sogenannten Gewaltkriminalität erhellend. Den aktuellen Daten zufolge ist hier 2014 ein Anstieg um 100 auf 2.246 Fälle (+ 4,7 Prozent) zu verzeichnen; dabei sticht besonders der Anteil von Tätern nicht deutscher Herkunft hervor. Denn die Straffälligkeit dieser Personengruppe stieg um 1.379 auf 5.856 Fälle an, was einer Zunahme von 30,8 Prozent entspricht.8 Allerdings muss man sehen, dass diese Erhebung keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Denn wie sich zeigt, bezieht sie sich ausschließlich auf Tatverdächtige, bei denen es sich um keine Deutschen im Sinne des Grundgesetzes handelt. Für eine adäquate Analyse der Jugendkriminalität im Bereich von Straftaten, denen Delikte physischer Gewalt zugrunde liegen, ist es jedoch notwendig, auch Tatverdächtige miteinzubeziehen, die einen Migrationshintergrund aufweisen und gleichzeitig über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Schließlich erweisen sich aber auch die Angaben zur Gruppe der UMF als relevant. Denn wie die Polizei herausstellt, werden Tatverdächtige aus diesem Milieu nicht gesondert in der Kriminalitätsstatistik erfasst.9 Dies ist jedoch gerade deshalb verwunderlich, da aus dem Jugendlagebild eindeutig hervorgeht, dass eine kleine Gruppe krimineller Angehöriger der UMF für eine „große Anzahl von Taten verantwortlich ist“.10 Da der Hamburger Senat diese Problematik bislang nicht berücksichtigt, ist es nicht möglich, eine größere Einblickstiefe in diesen Bereich zu erlangen. Um dieses Dunkelfeld dennoch ein wenig auszuleuchten, kann man die Erhebungen des Bremer Senats heranziehen, der als einzige Landesregierung in Deutschland entsprechende Angaben macht. Dabei zeigt sich, dass 10 Prozent der tatverdächtigen Jugendlichen in Bremen zur Personengruppe der UMF zählen und für insgesamt 29 Prozent aller von Jugendlichen registrierten Straftaten verantwortlich sind.11 Da die Hansestadt Hamburg bis Ende Januar 2016 insge- 5 Confer „Einbrecher lassen Unfallauto und dritten Mann zurück“. Confer ibidem. 6 Hierzu „Jugendlagebild 2014 – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung in Hamburg“. Abrufbar unter: http://www.hamburg.de/contentblob/4504172/data/jugendlagebild-2014-do.pdf. 7 Confer Jugendlagebild 2014. Seite 3. 8 Confer ibidem. 9 Confer ibidem. Seite 5. 10 Confer ibidem. 11 Confer ibidem. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3468 3 samt 19.155 UMF aufgenommen hat12, darf man annehmen, dass die Dimension der UMF-Kriminalität mindestens auf demselben Niveau, wenn nicht noch höher liegt. Ein ebenfalls wichtiger Faktor, der für die Entwicklung von Jugendkriminalität im Milieu von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund beziehungsweise ausländischer Staatsangehörigkeit eine Rolle spielt, besteht in der Bevölkerungsstruktur einzelner Stadtteile. Denn wie man weiß, haben etwa in Harburg 47,5 Prozent der Bevölkerung im Alter von null – 17 Jahren einen Migrationshintergrund; auf der Veddel und in Wilhelmsburg beträgt der Vergleichswert gar 93,3 beziehungsweise 77,6 Prozent.13 Diese Daten müssen insofern berücksichtigt werden, als sie eine Altersgruppe beschreiben, die – sofern hier Straftaten begangen werden – in den Phänomenbereich der Jugendkriminalität fallen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie stark ist Jugendkriminalität in Bezirken mit einem Migrantenanteil von über 50 Prozent an der Bevölkerung im Alter von null – 17 Jahren ausgeprägt? Bitte am Beispiel der folgenden Stadtteile angeben: Hammerbrook , Billstedt, Billbrook, Rothenburgsort, Veddel, Wilhelmsburg Kleiner Grasbrook, Dulsberg, Jenfeld, Steilshoop, Harburg Neuland/Gut. 2. Wie ist die Ausprägung von Jugendkriminalität in Bezirken beschaffen, in denen der Anteil von Migranten an der Bevölkerung im Alter von null – 17 Jahren unter 50 Prozent liegt? Bitte am Beispiel der folgenden Stadtteile angeben: Moorburg/Altenwerder, Tatenberg, Billwerder, Reitbrook, Kirchenwerder, Neuengamme, Altengamme, Bergstedt, Volksdorf, Wohldorf-Ohlstedt. Der Begriff „Migrant“ ist kein Erfassungs- und damit Auswertungsmerkmal der polizeilichen Kriminalstatistik. Erfasst werden nicht deutsche Tatverdächtige, wobei sich die Lebens- und Aufenthaltssituation dieser Menschen in Deutschland sehr unterschiedlich darstellt. Im Übrigen siehe Anlage. 3. Welchen Anteil an Jugendkriminalität haben Täter, die zur Gruppe der unbegleiteten männlichen Flüchtlinge (UMT) zählen? Bitte anhand der folgenden Zeiträume angeben: Januar 2013 bis Januar 2014; Januar 2014 bis Januar 2015; Januar 2015 bis Januar 2016. 4. Wie hoch ist der Anteil von UMT begangenen Straftaten in den in Fragen 1. und 2. genannten Bezirken? In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die Merkmale „Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling“ oder „Unbegleiteter Minderjähriger Männlicher Flüchtling“ nicht erfasst; siehe auch Drs. 21/299. Zur Beantwortung der Fragenstellungen wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraumes bei der Polizei erforderlich. Eine Auswertung mehrerer Hunderttausend Akten ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . 12 Confer Drs. 21/3227. Seite 5. 13 Confer Drs. 21/2403. St ra fta te n in sg es am t ( P K S -- -- ) Ta tv er dä ch tig e na ch W oh no rt E rf as st e Er fa ss te Er fa ss te Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he St ad tte ile in sg es am t U 18 vo n TV U 18 in sg es am t U 18 vo n TV U 18 in sg es am t U 18 vo n TV U 18 H am m er br oo k 2. 15 0 22 4 6 4 2. 01 7 18 1 4 3 2. 50 1 28 2 73 69 B ill st ed t 8. 30 0 3. 09 7 45 6 14 4 7. 96 4 3. 18 8 49 8 14 4 7. 84 6 2. 83 8 44 6 13 9 B ill br oo k 76 3 24 0 50 43 88 6 27 5 74 67 74 0 22 5 60 57 R ot he nb ur gs or t 1. 55 0 40 7 48 18 1. 60 4 49 1 56 25 1. 55 3 42 2 52 17 V ed de l 93 7 23 8 25 13 1. 06 6 24 8 35 15 97 7 19 2 30 18 W ilh el m sb ur g 6. 96 2 2. 15 4 30 2 12 8 6. 64 1 2. 33 1 36 6 14 3 6. 77 3 2. 22 7 32 2 13 3 G ra sb ro ok 34 2 85 4 1 36 9 85 5 1 26 7 66 3 2 D ul sb er g 1. 43 2 67 5 63 19 1. 71 1 73 7 68 21 1. 44 1 62 7 64 17 Je nf el d 2. 56 9 96 3 10 8 19 2. 40 7 1. 01 5 13 5 27 2. 26 9 96 1 11 9 28 S te ils ho op 1. 92 3 81 0 12 3 36 1. 77 3 81 6 15 4 50 1. 90 0 75 4 13 1 29 H ar bu rg 69 95 1. 10 6 10 3 40 7. 25 0 1. 15 0 11 2 48 8. 15 2 1. 49 2 16 0 81 N eu la nd 32 1 43 6 3 28 5 61 16 9 27 9 46 4 2 G ut M oo r 6 5 0 0 6 6 0 0 11 8 0 0 St ra fta te n in sg es am t ( P K S -- -- ) E rf as st e Er fa ss te Er fa ss te Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he Fä lle TV TV N ic ht de ut sc he St ad tte ile in sg es am t U 18 vo n TV U 18 in sg es am t U 18 vo n TV U 18 in sg es am t U 18 vo n TV U 18 W oh ld or f-O hl st ed t 19 2 53 12 0 22 9 64 19 0 25 7 70 15 4 B er gs te dt 33 7 97 13 1 34 8 10 6 20 2 42 9 95 22 1 V ol ks do rf 1. 30 3 25 0 48 5 1. 26 5 26 1 70 8 1. 29 5 22 7 53 7 A lte ng am m e 43 21 6 0 50 29 7 0 51 30 10 1 N eu en ga m m e 76 46 8 1 90 57 8 1 78 55 4 0 K irc hw er de r 29 5 12 3 28 2 27 0 14 7 39 3 26 5 13 5 17 0 R ei tb ro ok 32 5 0 0 18 6 0 0 17 10 0 0 B ill w er de r 47 4 15 3 1 0 40 3 16 0 4 1 35 9 14 5 7 2 Ta te nb er g 37 9 3 0 38 10 3 0 27 9 3 2 M oo rb ur g 65 39 7 0 56 20 3 0 66 21 1 0 A lte nw er de r 10 2 18 2 0 94 10 0 0 87 5 0 0 Ta tv er dä ch tig e (T V) Ta tv er dä ch tig e (T V) Ta tv er dä ch tig e (T V) Ja hr 2 01 3 Ja hr 2 01 4 Ja hr 2 01 5 Ja hr 2 01 3 Ja hr 2 01 4 Ja hr 2 01 5 Ta tv er dä ch tig e (T V) Ta tv er dä ch tig e (T V) Ta tv er dä ch tig e (T V) Drucksache 21/3468 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage 3468ska_Text 3468ska_Anlage Tabelle1