BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3517 21. Wahlperiode 08.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Daniel Oetzel (FDP) vom 02.03.16 und Antwort des Senats Betr.: Vergewaltigung einer 14-Jährigen in Hamburg – Welche Kenntnisse hatten die zuständigen Behörden? Nach Medienberichten wurde eine 14-Jährige am 11. Februar 2016 im Hamburger Stadtteil Harburg von vier jungen Männern erst unter Alkohol gesetzt und danach in einer Wohnung an der Bornemannstraße vergewaltigt. Das Opfer soll unter Aufsicht des Jugendamtes stehen und in einer Jugendwohnung im Bezirksamt Wandsbek gewohnt haben. Das Jugendamt soll das Mädchen 24 Stunden am Tag betreut habe. Gerade eine Kontrolle des Aufenthaltsortes in der Tatnacht habe aber nicht stattgefunden. Nach der Tat hätten die mutmaßlichen Täter im Alter zwischen 14 und 21 Jahren das Mädchen in einem Hinterhof zurückgelassen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Täter nicht nur wegen Vergewaltigung, sondern auch wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes. Drei Verdächtige sollen in Untersuchungshaft sitzen. Zwei Täter befinden sich auf der Flucht und könnten sich in ihre Heimat nach Serbien absetzen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Bei den erfragten Informationen handelt es sich überwiegend um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 61 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X sind nicht nur alle in den Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des betroffenen Kindes Sozialdaten, sondern auch alle Daten über seine Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt derzeit nicht vor. Auch der Umstand, dass viele Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, rechtfertigt eine Übermittlung von Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/3517 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Warum steht das Opfer seit wann unter Obhut von welchem Jugendamt? In welcher Situation befindet und befand sich die 14-Jährige? Welche Maßnahmen wurden vom zuständigen Jugendamt und anderen zuständigen Stellen warum veranlasst? Siehe Vorbemerkung. 2. Wie und in welchem Umfang wurde die 14-Jährige durch wen abends betreut? Wie sah die Betreuung der 14-Jährigen tagsüber aus? Durfte das Mädchen zum Beispiel ohne sich abzumelden in die Disco gehen oder sich bei anderen Jugendlichen aufhalten oder andere Aktivitäten selbständig durchführen, ohne das die Betreuer informiert wurden (bitte kurz erläutern)? War die bei dem 14-jährigen Opfer durchgeführte Betreuung aus Sicht des Senats für ihr Alter üblich? Wenn ja, bitte begründen? Wenn nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/3515. 3. Wie sah die Betreuung des Opfers durch das zuständige Jugendamt, den freien Träger in der Tatnacht aus (bitte erklären, wie viele Personen zu welcher Zeit das Opfer wie betreuten.)? Wie hat das zuständige Jugendamt die Betreuung des Opfers überwacht, dokumentiert? 4. Warum wurde der Fall auch der Fachaufsicht des Jugendamtes zunächst nicht gemeldet? Wann wurde der Fall von welcher zuständigen Stelle dem Jugendamt gemeldet? Siehe Vorbemerkung. 5. Wie viele Jugendliche betreut der freie Träger, der das Opfer betreute, insgesamt? Wie gestalten sich die Kontrollen durch das Jugendamt? Mit Stand 27. Februar 2016 sind in JUS-IT Datawarehouse 100 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in ambulanter oder stationärer Betreuung bei dem freien Träger registriert. Die für die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII zuständige Behörde soll nach § 46 SGB VIII nach den Erfordernissen des Einzelfalls an Ort und Stelle überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII weiter bestehen. Das für Hilfegewährung zuständige Jugendamt soll nach § 36 SGB VIII regelmäßig prüfen, ob die im Einzelfall gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. 6. Wurde die Staatsanwaltschaft vom Jugendamt über deren Kenntnisse und die Art der Betreuung des Opfers informiert? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht? Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft besteht in der Verfolgung von Straftaten. Ohne besonderen Anlass wird sie durch das Jugendamt nicht über die Betreuung einer Jugendlichen benachrichtigt. Im Übrigen siehe Antwort zu 8. c. 7. Welche Kenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde über die mutmaßlichen Täter vor? Wo leben die mutmaßlichen Täter? a. Sind die mutmaßlichen Täter vorbestraft? Wenn ja, in welchen Jahren haben sie welche Straftaten in Hamburg und/oder außerhalb Hamburgs begangen (bitte die genauen Orte der Taten nach Jahren und Ausgang der Verfahren darstel- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3517 3 len)? In welchen Zeiträumen waren welcher der Täter in welcher JVA inhaftiert? Siehe Drs. 21/3515. b. Standen die mutmaßlichen Täter unter Betreuung oder unter Aufsicht des Jugendamtes? Falls ja, wer, seit wann und durch welches Jugendamt? Welche Beobachtungen wurden festgehalten? Wie viele Personen von welcher zuständigen Stelle haben die mutmaßlichen Täter in welchem Zeitraum mit welchem Ergebnis beaufsichtigt oder betreut? Dazu liegen der Staatsanwaltschaft Hamburg noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Welche Kenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde von der Tat? a. Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen? Wegen welcher Straftat wird nun gegen welchen der Täter ermittelt? Es wurden gegen fünf Beschuldigte Haftbefehle erwirkt, von denen bislang vier vollstreckt werden konnten. Gegen drei Beschuldigte wird wegen gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen sowie wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Gegen einen Beschuldigten wird wegen gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger Personen sowie wegen versuchten Totschlages durch Unterlassen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Gegen eine Beschuldigte wird wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen sowie wegen versuchten Totschlages durch Unterlassen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Die Ermittlungen dauern an. b. Seit wann ermittelt die Staatsanwaltschaft? Die polizeilichen Ermittlungen begannen am 11. Februar 2016. Am 12. Februar 2016 wurde die Staatsanwaltschaft vom LKA 42 über das Verfahren und den Stand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt. Am 18. Februar 2016 wurde das Verfahren der Staatsanwaltschaft vorgelegt. c. Wann wurde das Jugendamt zu dem Opfer mit welchen Ergebnissen befragt? Das Jugendamt ist bisher nicht befragt worden, weil hierzu kein Anlass bestand. d. Stimmt es, dass die Täter im Alter zwischen 14 und 21 Jahren das betrunkene und nur leicht bekleidete Opfer bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt in einen Hinterhof geworfen haben? Wenn ja, wie lange lag das Mädchen dort? Es besteht der Verdacht, dass das Tatopfer in den frühen Morgenstunden des 11.02.2016 von den Beschuldigten, deren Alter zwischen 14 und 21 Jahren liegt, aus der Tatwohnung auf einen abgeschirmten Innenhof verbracht und dort auf einem Bettlaken abgelegt wurde. Die Außentemperatur lag um den Gefrierpunkt. Wegen einer möglichen Gefährdung des Untersuchungszweckes – die Ermittlungen dauern insoweit an – können keine Angaben zu der Frage, wie lange die Zeugin auf dem Hinterhof lag, gemacht werden. e. Wann ist die Polizei zum Tatort gelangt? Am 11. Februar 2016 um 7 Uhr. f. Sind zwei der mutmaßlichen Täter auf der Flucht und besteht die Gefahr, dass diese sich in ihre Heimat nach Serbien absetzen? Gibt es Einzelheiten zu deren Aufenthaltsort? Ein Beschuldigter ist flüchtig. Gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen; es wird nach ihm mithilfe einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht. Auf Hinweise, die zu seiner Ergreifung Drucksache 21/3517 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 führen, wurde eine Belohnung ausgesetzt. Weitere Einzelheiten können wegen einer Gefährdung des Untersuchungszweckes nicht beantwortet werden. 9. Waren die mutmaßlichen Täter der Polizei bekannt beziehungsweise mit welchen Delikten wann aufgefallen? Vier der Tatverdächtigten sind der Polizei bekannt, im Übrigen siehe Antwort zu 7. a. 10. Welche weiteren Behörden, Ämter und zuständigen Stellen waren bisher mit dem Opfer und/oder den mutmaßlichen Tätern befasst? Was wurde von welcher Stelle wegen welchen Verhaltens der mutmaßlichen Täter wann veranlasst? Siehe Vorbemerkung. 11. Welche Konsequenzen zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde aus dem Vorfall? Welche konkreten Maßnahmen, zum Beispiel präventive, werden von welcher Stelle nun ergriffen? Die für die Jugendhilfe zuständige Fachbehörde bewertet die bestehenden Regelungen als ausreichend. Den Betreuerinnern und Betreuer der Jugendhilfeeinrichtungen obliegt die Aufsichtspflicht gemäß § 1631 BGB. Diese ist konsequent wahrzunehmen. Präventive Maßnahmen sind Bestandteil der Betreuungskonzepte der Einrichtungen und der für jede betreute Jugendliche und jeden betreuten Jugendlichen individuell vorzunehmenden Hilfeplanung.