BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/353 21. Wahlperiode 05.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Dolzer (DIE LINKE) vom 27.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Gefährdung des Studiengangs Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg Die Universität Hamburg ist die einzige Universität in Norddeutschland, die Berufsschullehrer/-innen in der Fachwissenschaft Gesundheit ausbildet. Die Studierenden unterrichten nach Abschluss des Studiums die Auszubildenden in den Gesundheitsfachberufen wie Medizinische Fachangestellte, Zahnmedizinische Fachangestellte, Altenpfleger/-innen und so weiter. In den vergangenen Jahren wurden in diesem Studiengang 60 Prozent der Lehre durch Lehraufträge abgedeckt, obwohl dieser Anteil nicht mehr als 20 Prozent betragen sollte. Dieser hohe Anteil an Lehraufträgen konnte bisher nur durch das extrem hohe Engagement der Mitarbeiter/-innen, die über Drittmittel finanziert wurden, umgesetzt werden. Die dafür nötigen Drittmittel sind nun nicht mehr in bisherigem Umfang verfügbar. Zudem ermöglichte die Universität Hamburg nicht, dass in diesem Studiengang promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen weiterbeschäftigt werden können. Die für den Studiengang Verantwortlichen kritisieren zu Recht, dass sich die Fakultät Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften (MIN) dafür einsetzte ab dem Wintersemester 2015 keine neuen Studierenden mehr in diesem Studiengang zuzulassen, anstatt wie notwendig eine unbefristete wissenschaftliche Mitarbeiterstelle und langfristig eine zweite Professur zu schaffen. Die Umsetzung der Pläne der Fakultät hätte nicht nur das Ende des Studiengangs bedeutet, sondern aufgrund des entstehenden Lehrermangels auch schwerwiegende Folgen für die Beruflichen Schulen, für die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen und somit für die Gesundheitsversorgung insgesamt gehabt. Die für den Studiengang Verantwortlichen mussten im April 2015 zunächst bekanntgeben, dass ab dem Sommersemester 2015 nicht mehr alle Lehrveranstaltungen angeboten werden können und somit für (einzelne) Studierende eine Verlängerung des Studiums über die Regelstudienzeit beziehungsweise im Ernstfall sogar der Abbruch des Studiums droht. Nachdem in den letzten Wochen eine Petition der Studierenden und Lehrenden von mehr als 1.400 Menschen unterzeichnet wurde, hat das Präsidium der Universität Hamburg zugesichert, dass die Gesundheitswissenschaften erhalten bleiben sollen. Nun sollen auch weiterhin Studierende zum Studium zugelassen werden . Für die zunächst abgesagten Lehrveranstaltungen im Sommersemester wurden externe Lehrbeauftragte eingesetzt. Die schlechte personelle Ausstattung in den Gesundheitswissenschaften und vielen weiteren Studiengängen wird sich auf diese Weise allerdings nicht Drucksache 21/353 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ändern. Anstatt die Personalsituation zu verbessern, soll das Curriculum in den Gesundheitswissenschaften nun soweit überarbeitet werden, dass die bereits vorhandenen Finanzmittel ausreichen. Das ist jedoch ohne Einbußen in der Qualität der Lehrerausbildung nicht möglich. Aufgrund insgesamt mangelnder personeller Ausstattung durch die Fakultät Mathematik, Informatik , Naturwissenschaften (MIN) wird der Erhalt des Studiengangs voraussichtlich auch weiterhin in großer Gefahr sein. Der Wissenschaftsrat schreibt in seinen Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen: „Vor dem Hintergrund einer in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu beobachtenden Komplexitätszunahme , einer sich verändernden Arbeitsteilung und der zunehmenden Bedeutung interprofessioneller Zusammenarbeit hält es der Wissenschaftsrat für geboten, die mit besonders komplexen und verantwortungsvollen Aufgaben betrauten Angehörigen der Gesundheitsfachberufe zukünftig bevorzugt an Hochschulen auszubilden.“ Forschung und Lehre sind an den Hamburger Hochschulen im Allgemeinen unterfinanziert und viel zu stark von Drittmitteln abhängig – einzelne Studiengänge und Fachbereiche „überleben“ lediglich wegen ihres guten Fundraisings und/oder der jeweils „gut gegeneinander durchgesetzten Konkurrenz“. Die Lehre wird oft von Doktoranden/-innen in prekären/projektbezogenen Beschäftigungsverhältnissen oder von kurzfristig beschäftigten Menschen im Lehrauftrag betrieben. Fallen Drittmittel weg, bricht das gesamte labile Konstrukt zusammen, wie am oben genannten Studiengang deutlich wird. Mit dem Code of Conduct, in dem würdige Arbeitsverhältnisse und gute Studienbedingungen festgehalten sind, ist die derzeitige Gestaltung der Arbeitsbedingungen und der Lehre an den Hochschulen insgesamt nicht vereinbar. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen nach Angaben der Universität Hamburg (UHH): 1. Seit wann hatten die MIN-Fakultät und das Präsidium der Universität Hamburg Kenntnis von der sich zuspitzenden Personalsituation in den Gesundheitswissenschaften? Nach Auskunft der UHH haben die von der Universität und der Fakultät zur Verfügung gestellten Ressourcen in der Vergangenheit stets ausgereicht, um das erforderliche Lehrangebot in der beruflichen Fachrichtung Gesundheitswissenschaften aufrechterhalten zu können. Auch sei zum Sommersemester 2015 keine Mittelkürzung erfolgt. Das Lehrangebot für das Sommersemester 2015 sei ursprünglich bereits sichergestellt gewesen; alle erforderlichen Lehrveranstaltungen seien samt Veranstalterinnen beziehungsweise Veranstaltern beschlossen, angekündigt und auch für die Studierenden zur Anmeldung freigegeben gewesen. Erst am 26. März sei dem Fachbereich Chemie und der MIN-Fakultät mitgeteilt worden, dass Personen, die ihre Bereitschaft zur Lehre erklärt hätten, ihre Bereitschaft nun zurückgezogen hätten. Von der akuten Zuspitzung der Personalsituation habe die MIN-Fakultät erst zu diesem Termin erfahren . Das Präsidium habe in seiner Sitzung am 30. März durch die ressortzuständige Vizepräsidentin von der Angelegenheit Kenntnis erhalten und die verantwortliche Fakultät zur unverzüglichen Lösung der Problematik aufgefordert sowie die Berichterstatterin gebeten, den Vorgang zu begleiten. Bislang wurden einzelne Lehrveranstaltungen im Rahmen des Studiengangs von Lehrbeauftragten angeboten, die gleichzeitig in anderen Drittmittelprojekten beschäftigt waren. Die Lehre wird aber nicht im Rahmen der Drittmittelprojekte, sondern über vergütete Lehraufträge im Rahmen einer Nebentätigkeit erbracht. Die Lehrbeauftragten haben ohne eine gleichzeitige Beschäftigung an der Universität kein Interesse mehr an Lehraufträgen gehabt. Daraufhin wurden der zuständigen Professorin befristet zwei zusätzliche Doktorandenstellen angeboten, um den Wegfall zu kompensieren. Die Personalsituation wurde also nicht durch Mittelkürzungen bei den Gesundheits- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/353 3 wissenschaften verursacht, sondern es wurden sogar zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt. 2. Auf welchen Ebenen der Universität und des Senats fanden zwischen wem Gespräche statt, um Lösungen zu entwickeln? (Bitte nach inneruniversitärer , universitär-politischer und politischer Ebene differenzieren.) Die Dekanate der Fakultäten MIN und Medizin haben im Laufe des vergangenen Jahres mehrere Gespräche in dieser Sache geführt. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob eine langfristige Sicherung des Studiengangs durch eine Ansiedlung der Professur für Gesundheitswissenschaften in der medizinischen Fakultät möglich sei. Das Gespräch am 10. Februar 2015 hatte das Ergebnis, dass dies nicht möglich ist, da der Studiengang nicht in die Lehrstruktur der medizinischen Fakultät passt. Nach Auftreten des akuten Problems befinden sich Präsidium und MIN-Dekanat in kontinuierlichem Austausch. Das MIN-Dekanat hat ferner kurzfristig die Studierbarkeit wiederhergestellt, indem umgehend für Ersatz für die abgesagten Veranstaltungen gesorgt wurde. Unterstützung wurde vor allem vom Fachbereich Bewegungswissenschaften der Fakultät Psychologie und Bewegungswissenschaften geleistet. Zwecks Überarbeitung des Studiengangs wurde ein Runder Tisch eingerichtet, an dem das MIN-Dekanat, Mitglieder des Präsidiums und der Präsidialverwaltung, die Studiengangsverantwortlichen , die Fakultäten Medizin, Erziehungswissenschaften und Psychologie und Bewegungswissenschaften, das Zentrum für Lehrerbildung sowie betroffene Studierende beteiligt sind. Ziel dieses Runden Tisches ist es, durch die Gewinnung und Beteiligung von kompetenten universitären Partnern den Anteil von Lehraufträgen unter Beibehaltung (beziehungsweise gegebenenfalls sogar Erhöhung) der Qualität des Studiengangs senken zu können. Die gemeinsam von Fakultät und Präsidium geführten Gespräche galten und gelten jedoch nicht nur der Frage nach der Ansiedlung des Studiengangs und der Sicherstellung des Studienangebots, sondern auch der Qualitätssicherung der Lehre im Sinne der Studierenden und der beruflichen Praxis. Auf weiteren Ebenen fanden bislang keine Gespräche statt. 3. Gibt es seitens Senat oder der Universitätsleitung Überlegungen hinsichtlich einer Verlagerung des Studiengangs in die medizinische oder andere Fakultäten? Nein. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Die Universität beabsichtigt kurzfristig eine „Reform“ des Curriculum, um dieses an die personelle Besetzung anzupassen. Das Curriculum wurde im Rahmen der Sozietätenarbeit gemeinsam mit allen an Lehrerbildung beteiligten Akteuren vor Jahren entwickelt und erfolgreich implementiert. Die Durchführung der nun geplanten Anpassung erfolgt „fachfremd“ durch die MIN-Fakultät. Wie kann unter diesen Umständen die Qualität und Kontinuität gesichert werden? Die qualitative Sicherstellung des Lehrangebots obliegt der Fakultät MIN. Diese wird bei der erforderlichen Reform des Curriculums die erforderliche Sachexpertise einbinden , um ein auskömmliches (das heißt dem geltenden Curricularwert angepasstes) und den Anforderungen des Lehramtes Rechnung tragendes Curriculum zu erarbeiten . 5. Wie passen die genannten Planungen nach Ansicht des Senats in die Qualitätsoffensive Lehrerbildung? Die ergriffenen Maßnahmen finden nach Auskunft der UHH im Kontext eines regelhaften Qualitätssicherungssystems statt, das neben inhaltlicher Qualität auch die Prüfung der Auskömmlichkeit von Curricula zum Gegenstand hat. 6. Wer verantwortet in den Studiengängen der Universität Hamburg die Inhalte und das Leistungsniveau? Die zuständige Fakultät zeichnet hierfür verantwortlich. Bei erfolgreicher Teilsystemakkreditierung der Lehramtsstudiengänge (Verfahren ist angelaufen) werden in Drucksache 21/353 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Zukunft regelmäßige interne und externe Evaluationen der Studien- und Teilstudiengänge als Instrumente der Qualitätssicherung zur Verfügung stehen. 7. Gibt es seitens Senat oder Universitätsleitung Überlegungen hinsichtlich einer Verlagerung des Studiengangs an die HAW? Wenn ja: Wie wäre das mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates in Einklang zu bringen? Nein. 8. Hamburg ist das einzige Bundesland im Norden, das an einer Hochschule Lehrer/-innen in den Gesundheitswissenschaften ausbildet. Wie wird diese Situation mit den anderen Bundesländern kommuniziert und abgestimmt ? Eine diesbezügliche Abstimmung hat nicht stattgefunden. Sie ist auch nicht erforderlich , weil die Nachfrage nach einer Ausbildung in Hamburg bestand und besteht und die Absolventinnen und Absolventen dieses Studiengangs im Hamburger Schuldienst benötigt werden. 9. Mit welchen konkreten Maßnahmen beabsichtigt der Senat die Unterfinanzierung der Hamburger Hochschulen zu beheben? (Bitte über die Verteilung von zusätzlich 8 Millionen Euro auf die sechs staatlichen Hochschulen hinausgehende Maßnahmen benennen, da diese Mittel voraussichtlich nicht einmal ausreichen, die Lücke zur Preis- und Tarifentwicklung zu schließen.) Der Senat steht am Beginn eines Dialogprozesses mit den Hochschulen. Ziel des Dialogprozesses ist, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie der Hochschulstandort gestärkt werden kann. Im Rahmen dieses Prozesses sollen konkrete Handlungsschritte verabredet werden. 10. Wie beabsichtigt der Senat zu verhindern, dass Mittelkürzungen und die Konkurrenz zwischen den Fakultäten und Studiengängen in Zukunft zu vielen weiteren Situationen führen, wie jetzt im Studiengang Lehrerausbildung im Gesundheitswesen? Wie aus den Antworten zu dieser Anfrage ersichtlich, handelt es sich um ein singuläres Problem des Lehramtsfaches Gesundheitswissenschaften. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. 11. Wie beurteilt der Senat in Anbetracht der Situation im genannten Studiengang (und vielen weiteren) die Umsetzung des Code of Conduct a. in Bezug auf die Qualität der Lehre? b. in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Lehrenden? c. in Bezug auf eine gesicherte Zukunftsplanung aller Beteiligten? Der Code of Conduct soll in erster Linie die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern (Drs. 20/10837). Diese ist hier im Kern nicht betroffen. Er enthält auch den Aspekt der Evaluierung des Umfangs von Lehraufträgen. Wie insbesondere aus der Antwort zu 2. hervorgeht, bemühen sich die Verantwortlichen der UHH um zukunftsfähige Lösungen, die insbesondere der Qualität der Lehre und die Arbeitsbedingungen der Lehrenden (Absenkung der Lehraufträge) betreffen. Im Übrigen siehe Antwort zu 10.