BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3552 21. Wahlperiode 11.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 04.03.16 und Antwort des Senats Betr.: Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei Flüchtlingen Viele Migranten sollen, bei ihrer Einreise nach Deutschland keine gültigen Ausweispapiere besitzen. Nach Spekulationen über die genaue Dimension des Problems sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministerium: „Im Januar 2016 betraf dies etwa 77 Prozent aller durch die Bundespolizei im Grenzraum festgestellten Migranten.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche erkennungsdienstlichen Maßnahmen werden nach Kenntnis des Senats in Hamburg durch welche Stellen zur Identitätsklärung von Flüchtlingen ohne Ausweispapiere durchgeführt? Bitte unterscheiden nach Asylantragstellung und EASY-Aufnahme. Siehe im Einzelnen § 16 Asylgesetz (AsylG) sowie § 49 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach § 16 Absatz 1 Satz 1 und 2 AsylG ist die Identität eines Ausländers, der um Asyl nachsucht, ab Vollendung des 14. Lebensjahres durch erkennungsdienstliche Maßnahme zu sichern, indem Lichtbilder und Abdrucke aller zehn Finger aufgenommen werden. Nach § 16 Absatz 1a AsylG dürfen auch die gegebenenfalls auf dem elektronischen Speichermedium eines Identitätsdokuments gespeicherten biometrischen Daten verarbeitet werden, zu denen neben den Fingerabdrücken und dem Lichtbild auch die Irisbilder gehören. Gemäß § 16 Absatz 2 sind für diese Maßnahmen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig und, sofern der Ausländer dort um Asyl nachsucht, auch die in §§ 18 und 19 AsylG bezeichneten Behörden sowie die Aufnahmeeinrichtung, bei der sich der Ausländer meldet. In der Aufnahmeeinrichtung werden die Lichtbilder aufgenommen. Die Fingerabdrücke werden anschließend im Rahmen der Asylantragstellung vom BAMF aufgenommen. Bei der ausländerbehördlichen Ersterfassung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge werden die erkennungsdienstlichen Maßnahmen durch das Einwohner-Zentralamt durchgeführt. Mit der Digitalisierung des Asylverfahrens auf der Grundlage des Datenaustauschverbesserungsgesetzes vom 4. Februar 2016 (BGBl. S. 130) wird künftig bereits bei der Äußerung eines Asylbegehrens eine Identitätsprüfung mittels erkennungsdienstlicher Maßnahmen durchgeführt. Zur Zuständigkeit für die nach § 49 Absatz 2 bis 9 AufenthG erforderlichen Maßnahmen siehe § 71 Absatz 4 AufenthG. Die Polizei Hamburg führt bei von ihr überprüften Personen erkennungsdienstliche Maßnahmen durch, wenn Zweifel an der Identität oder den angegebenen Personalien vorliegen und die Personen dem äußeren Erscheinungsbild nach das 14. Lebensjahr überschritten haben. Die Maßnahmen erfolgen in diesen Fällen zur Identitätsfeststel- Drucksache 21/3552 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 lung im Strafverfahren wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise/des unerlaubten Aufenthaltes nach § 95 AufenthG; im Übrigen siehe Drs. 21/3038. 2. Wie häufig wurden nach Kenntnis des Senats welche erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Jahr 2015 und bislang im Jahr 2016 jeweils durchgeführt? Bitte nach folgenden Rechtsgrundlagen aufschlüsseln: a. § 81b 2.Alt. StPO i.V.m. § 49 Absatz 4 AufenthG i.V.m. Artikel 17 Eurodac-VO b. § 49 Absatz 4 AufenthG c. § 49 Absatz 9 AufenthG d. § 16 Absatz 1 AsylG Das nach § 16 Absatz 2 AsylG zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat auf wiederholte Nachfragen mitgeteilt, es sei grundsätzlich nicht verpflichtet und auf freiwilliger Grundlage aufgrund der anhaltenden Arbeitsbelastung aktuell nicht in der Lage, Parlamentarische Anfragen aus Hamburg zu beantworten. Das Einwohner-Zentralamt und die Polizei Hamburg führen keine statistischen Erhebungen über durchgeführte erkennungsdienstliche Maßnahmen im Sinne der Fragestellung . Für eine Beantwortung dieser Frage wäre eine Durchsicht von mehreren Tausend Ausländerakten beziehungsweise Vorgängen beim Erkennungsdienst der Polizei Hamburg erforderlich, die in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 3. Ab welchem Alter werden Asylantragsteller in Hamburg erkennungsdienstlich durch Mitarbeiter des BAMF behandelt? Ab Vollendung des 14. Lebensjahrs, siehe § 16 Absatz 1 Satz 1 AsylG. 4. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, wie hoch der Anteil der Duldungsinhaber ist, bei denen aufgrund fehlender oder unzureichender Mitwirkung bei der Identitätsklärung aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Am 31. Januar 2016 waren 1.663 Personen im Besitz einer Duldung wegen fehlender Reisedokumente. Ob diese Personen wegen unzureichender Mitwirkung oder aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen nicht im Besitz von Reisedokumenten waren, wird statistisch nicht erfasst und würde eine händische Durchsicht aller Einzelakten in den genannten Fällen erfordern. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Ob eine Person ihren Mitwirkungspflichten nachkommt, wird in der ausländerrechtlichen Sachbearbeitung im Einzelfall entsprechend gewürdigt. 5. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, wie viele Verfahren wegen eines Verstoßes gegen § 95 Absatz 1 Nummern 1 und 5 sowie Absatz 2 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz im Jahr 2015 und bislang im Jahr 2016 in Hamburg eingeleitet wurden? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Zu den für das Jahr 2015 in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) registrierten Fällen von unerlaubtem Aufenthalt gemäß § 95 Absatz 1 Nummern 1 und 2 AufenthG (PKS-Straftatenschlüssel 725710) und des Erschleichens eines Aufenthaltstitels gemäß § 95 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG durch unrichtige oder unvollständige Angaben oder Gebrauch eines so beschafften Aufenthaltstitels zur Täuschung im Rechtsverkehr (PKS-Straftatenschlüssel 725300) siehe folgende Tabelle: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3552 3 PKS-Straftatenschlüssel 725710 725300 Anzahl Fälle 4.782 112 Eine gesonderte Erfassung ausschließlich für die Tatbestände der § 95 Absatz 1 Nummern 1 und 5 AufenthG erfolgt in der PKS nicht. Die Aussagekraft der PKS ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch das Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder die Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger Daten in diesem Zusammenhang siehe Drs. 16/4616. Valide Fallzahlen für das Jahr 2016 liegen nicht vor. In dem bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eingesetzten Geschäftsstellen- und Aktenverwaltungsprogramm MESTA sind zum Vorwurf eines Verstoßes gegen § 95 Absatz 1 Nummer 1, § 95 Absatz 1 Nummer 5 oder § 95 Absatz 2 Nummer 2 Aufenth G für die Jahre 2015 und 2016 (Stand: 07.03.2016) in folgender Anzahl Verfahren notiert: Delikt 2015 2016 Js (= bekannte Täter) UJs (= unbekannte Täter) Js UJs § 95 Abs. 1 Nr. 1 4134 34 658 8 § 95 Abs. 1 Nr. 5 - - - - § 95 Abs. 2 Nr. 2 91 0 25 0 Da MESTA nicht für Statistikzwecke konzipiert wurde, erfolgen diese Angaben mit Vorbehalt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. 6. In wie vielen der in Frage 5. genannten Fälle wurde das Verfahren eingestellt ? Bezogen auf die zu 5. aufgeführten Verfahren erfolgte nach dem bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eingesetzten Geschäftsstellen- und Aktenverwaltungsprogramm MESTA eine staatsanwaltschaftliche Einstellung des Verfahrens bei der folgenden Anzahl an Beschuldigten: Az.-Jahrgang Anzahl der Einstellungen Js UJs 2015 3206 33 2016 438 6 Da MESTA nicht für Statistikzwecke konzipiert wurde, erfolgen auch diese Angaben mit Vorbehalt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Inwieweit in den insgesamt 89 Verfahren, in denen jeweils Anklage erhoben oder Strafbefehl beantragt wurde, eine gerichtliche Einstellung erfolgte, kann nicht mitgeteilt werden. Die entsprechende Eintragung in MESTA erfolgt erst zeitverzögert. Eine Durchsicht, Auswertung und Aufbereitung sämtlicher dazugehöriger Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.