BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3638 21. Wahlperiode 22.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 14.03.16 und Antwort des Senats Betr.: Missbrauch von Kindern – Wie hoch ist die Dunkelziffer? Gemäß aktueller Medienberichterstattung hat der Hamburger Verein Allerleirauh e.V. Schätzungen über die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Freien und Hansestadt Hamburg ermittelt. Der Verein schätzt, dass im Jahr 2014 mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von einschließlich 16 Jahren Opfer von sexualisierter Gewalt in Hamburg waren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 2015 insgesamt 1.321 Sexualstraftaten aus. Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: 1. Wie bewerten der Senat und die zuständige Behörde die durch den Verein Allerleirauh ermittelte Dunkelziffer? 2. Inwieweit weicht diese Dunkelziffer von den Annahmen zu einer Dunkelziffer der zuständigen Behörden ab? Dem Senat und den zuständigen Behörden ist nicht bekannt, aus welchen Quellen die vom Verein angenommene Dunkelziffer hergeleitet wird. Empirische Daten, aus denen die Häufigkeit von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Hamburg abgeleitet werden könnten, sind in Bezug auf das Dunkelfeld nicht vorhanden. Dies wird gestützt durch die aktuelle Expertise des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, die zu dem Ergebnis kommt, dass es in Deutschland an validen Zahlen zur Häufigkeit von sexuellem Missbrauch fehlt. Die Expertise weist zudem darauf hin, dass der Vergleich der vorliegenden Hell- und Dunkelfeldstudien aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Studiendesigns sowie zum Teil deutlich abweichender Daten zur Häufigkeit kaum möglich ist (siehe https://beauftragtermissbrauch .de/presse-service/hintergrundmaterialien/). 3. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um die Zahl der Opfer bei Kindern und Jugendlichen von sexualisierter Gewalt zu verringern? Mit den Angeboten der Träger Allerleirauh e.V., Dolle Deerns e.V., Zornrot e.V., Zündfunke e.V., basis-praevent, dem Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen sowie zwei Kinderschutzzentren finanziert Hamburg ein Netz von Anlauf- und Beratungsstellen für von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche sowie deren Angehörige. Zu den Aufgaben dieser Beratungsstellen gehört die kontinuierliche Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Fachöffentlichkeit zum Thema sexualisierte Gewalt. Gezielte Präventionsmaßnahmen in Kitas und Schulen, die sich an Kinder, Eltern und Fachkräfte richten, werden ebenfalls von den Fachberatungsstellen durchgeführt. Drucksache 21/3638 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zum Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege siehe Drs. 20/10994. Für die Schulen legen die Bildungs-und Rahmenpläne zur Sexualerziehung fest, dass das Thema sexualisierte Gewalt in allen Jahrgangsstufen und Schulformen angemessen bearbeitet wird. Zu den in Schulen durchgeführten Maßnahmen gehören beispielsweise die interaktive Ausstellung „Echt Klasse“, das Theaterstück „Mein Körper gehört mir“ sowie das bundesweite Präventionsprojekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) „Trau dich“. Die Kampagne „Trau dich“ wird seit 2015 an Hamburger Grundschulen mit Beteiligung der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) und der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) sowie den Fachberatungsstellen zu sexualisierter Gewalt durchgeführt. Damit wurden im Jahr 2015 22 Grundschulen mit 1.844 Kindern der dritten und vierten Klassen erreicht. Weiterführende Schulen arbeiten beispielsweise mit der interaktiven Ausstellung „Echt krass“ sowie mit Unterrichtseinheiten zur sexualisierten Gewalt in sozialen Medien. Kinder und Jugendliche lernen im Rahmen dieser Präventionsangebote zudem bundesweite und Hamburger Beratungsangebote kennen. Zusätzlich werden Elternveranstaltungen in Unterrichtsprojekten zu übergreifenden Themen wie zum Beispiel „Wie schütze ich mein Kind?“ „Gewaltprävention“, „Chancen und Risiken von sozialen Medien“ durchgeführt. Zur Sensibilisierung, Aufklärung und Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern werden seit 2012 an Hamburger Grundschulen Kinderschutzfachkräfte ausgebildet. Weiterhin werden für schulische Fachkräfte regelhaft allgemeine Fortbildungen und zielgruppenspezifische Fachveranstaltungen angeboten. Hinweise zur Prävention und Intervention erhalten schulische Fachkräfte auf den Internetseiten des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) http://li.hamburg.de/sexualerziehung sowie der Beratungsstelle für Gewaltprävention: http://www.hamburg.de/kein-raum-fuer-missbrauch/. Zur Qualifizierung und Sensibilisierung von Fachkräften in den Arbeitsfeldern der Jugendhilfe bietet das Sozialpädagogische Fortbildungszentrum (SPFZ) der BASFI regelmäßig Fortbildungen zu den Themenstellungen „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, „Körperliche und seelische Misshandlung“ sowie „Häusliche Gewalt“ an, die sich an sozialpädagogische Fachkräfte im ASD, bei Trägern der Hilfen zur Erziehung, in Kindertagesstätten und der ReBBZ wenden. Das Thema Kinderschutz ist auch integraler Bestandteil der verpflichtenden Weiterbildung „Neu im ASD“ für neu eingestellte Fachkräfte der Hamburger ASD sowie der Grundkurse „Kinderschutz für pädagogische Fachkräfte in Einrichtungen“ und wird im Rahmen der Weiterbildung „Sexualpädagogische Kompetenz in Kindertagesstätten“ thematisiert. Pro Jahr werden circa 180 – 210 Fachkräfte mit Fortbildungen zu diesen Themenstellungen erreicht. Im Zuge der Umsetzung des 2014 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetzes (BKiSchG) wurde die zwischen der BASFI und den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege getroffene Rahmenvereinbarung zum Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 8a Absatz 4 und 72 Absätze 2 und 4 SGB VIII neu gefasst. Damit ist unter anderem verpflichtend die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Diensten und Einrichtungen der Jugendhilfe vorgesehen. Ebenfalls im Rahmen der Umsetzung des BKiSchG müssen alle Kitas und Einrichtungen der Jugendhilfe Schutzkonzepte zum Schutz von Kindern vor sexueller (und anderer) Gewalt in Einrichtungen entwickeln. Damit sind vor allem Strukturen und Maßnahmen zu implementieren, die dazu beitragen, sexuelle oder andere gewalttätige Übergriffe durch Mitarbeitende der Einrichtung zu verhindern. Diese Schutzkonzepte sind verpflichtende Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis oder einer finanziellen Förderung. Auch Maßnahmen, die im Rahmen der polizeilichen Kriminalprävention und des polizeilichen Opferschutzes durchgeführt werden, sollen zur Reduzierung sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen beitragen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3638 3 a. Hält der Senat seine Anstrengungen angesichts der ermittelten Dunkelziffern für ausreichend? Wenn ja, warum? Wenn nein, was beabsichtigt der Senat zu ändern? Der Senat hält Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt für eine dauerhafte Aufgabe, die einer kontinuierlichen qualitativen Weiterentwicklung bedarf. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 2. b. Evaluiert der Senat die Wirksamkeit seiner Maßnahmen? Wenn ja, mit welcher Regelmäßigkeit? Wenn nein, warum nicht? Die den Hamburger Schulen vom LI empfohlenen Präventionsprojekte sind beziehungsweise werden evaluiert. So wird zum Beispiel die Initiative „Trau dich“ durch ein bundesweites Fachgremium wissenschaftlich begleitet. Andere Projekte und Präventionsangebote werden anlassbezogen überprüft, zum Beispiel im Rahmen des Zuwendungsverfahrens .