BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3660 21. Wahlperiode 22.03.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 15.03.16 und Antwort des Senats Betr.: Rückläufige Flüchtlingszahlen – Ursachen und Folgen für Hamburg Das „Hamburger Abendblatt“ titelt am 9. März 2016, dass täglich nur noch 80 Flüchtlinge in Hamburg ankämen. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der faktischen Schließung der Balkan-Route, wie sie derzeit Gegenstand der Verhandlungen im Europäischen Rat ist, drängt sich dabei natürlich auf. Im Einzelnen seien nach Angaben des „Hamburger Abendblatts“ nach den bereits rückläufigen Vormonaten November, Dezember und Januar im Februar nur noch 2.841 Schutzsuchende in Hamburg erfasst worden. Davon seien 2.342 in Hamburg verblieben, von denen 2.156 in öffentlichen Einrichtungen untergebracht werden mussten. Das BAMF hat demgegenüber am 8. März 2016 bekannt gegeben, dass im Februar 2016 nur noch 61.428 Flüchtlinge über das EASY-System registriert wurden. Nach Maßgabe des Königsteiner Schlüssels erhält Hamburg rund 2,53 Prozent der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge. Bei 61.428 durch das EASY-System registrierten Flüchtlingen müssten demnach 1.554 nach Hamburg verteilt worden sein. Die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge in Deutschland nimmt rapide ab. Nach Berichten der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 13. März 2016 waren es im Januar laut offiziellen Zahlen aus Regierungskreisen, die der „Bild am Sonntag“ vorliegen, noch 64.700, kamen im Februar 37.600 und in den ersten zehn Tagen im März nur noch rund 2.900 Flüchtlinge nach Deutschland. Am 9. März waren es 89, am Tag darauf 92 Flüchtlinge. Insgesamt wurden somit in diesem Jahr bis zum 10. März bundesweit rund 105.000 Migranten erfasst. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie erklärt der Senat die Differenz zwischen den 2.342 in Hamburg verbliebenen Flüchtlingen und der Zahl 1.554, was 2,53 Prozent aller im Februar bei EASY Registrierten entspricht? Für die Differenz gibt es verschiedene Gründe. Die maßgeblichen Faktoren sind: In EASY werden nur Personen erfasst, die sich zum ersten Mal in Deutschland als asylsuchend gemeldet haben. Nicht erfasst sind demnach Personen, die bereits ein Asylverfahren in Deutschland betrieben haben und nun ein zweites Mal nach Deutschland eingereist sind. Bei diesen Personen lebt die getroffene Verteilungsentscheidung wieder auf und der Asylfolgeantrag muss an dem Ort gestellt werden, an dem das Erstverfahren betrieben wurde. Derzeit melden sich auch Personen in der Harburger Poststraße, die sich nach eigenen Angaben bereits länger in Hamburg aufhalten, bislang weder einen Asylantrag Drucksache 21/3660 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gestellt haben noch Unterbringungsbedarf geltend gemacht haben, dieses jetzt aber tun. Ende Januar wurde die Soll/Ist-Differenz in EASY geändert (siehe auch Antwort zu 2. b)), weshalb im Februar viele Personen durch EASY auf Hamburg verteilt wurden, um die Minusquote auszugleichen. Außerdem ist zu beachten, dass die EASY-Statistik nur aussagt, wie viele Menschen bundesweit auf Hamburg verteilt worden sind. Wann diese Menschen tatsächlich in Hamburg ankommen, variiert von Fall zu Fall. Die EASY-Zahl liefert somit nur einen Anhaltspunkt, mit welchen Zugängen Hamburg rechnen muss. Die Zahl der tatsächlich Schutzsuchenden entspricht der Zahl der real existierenden Menschen, die in Hamburg aufgenommen wurden. 2. Im Februar soll ein Sonderkontingent von 10.000 Flüchtlingen aus Bayern auf die anderen Bundesländer verteilt worden sein. a) Galt auch hier der Königsteiner Schlüssel? Wenn nicht, wie viele Flüchtlinge wurden in Prozent an welche anderen Bundesländer umverteilt? Ja. b) Wer hat über diese Verteilung nach welchen Kriterien entschieden? Das System EASY verfügt über eine Aufstellung der Ist/Soll-Differenzen. Hier wird angezeigt, ob das jeweilige Bundesland auf Basis des Königsteiner Schlüssels seine Aufnahmeverpflichtung erfüllt hat oder zu viele beziehungsweise zu wenige Menschen aufgenommen wurden. In dieser Übersicht wurden Bayern 10.000 Personen „gutgeschrieben “, die auf Grundlage des Königsteiner Schlüssels (anhand eines Berechnungsmodells des BAMF) den anderen Länder abgezogen wurden. In der Konsequenz heißt das, Bayern hat mit Vollzug dieser Buchungen ein großes Verteilungsplus erreicht, während viele andere Länder (wie auch Hamburg) ins Minus gerutscht sind. Das hatte nur die Auswirkung, dass Bayern bei folgenden EASY-Verteilungen etwas geschont wurde und alle anderen Bundesländer mehr Personen aufnehmen mussten. c) Wieso kam es überhaupt zu dieser Verteilung? Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) fasste einen entsprechenden Beschluss im Oktober 2015 in Bremen. Anlass waren die aufgrund der hohen Flüchtlingszugänge an der deutsch-österreichischen Grenze in den bayerischen Orten Feldkirchen und Erding geschaffenen grenznahen Wartezentren mit insgesamt bis zu 10.000 Unterbringungsplätzen . 3. Im Februar sollen überproportional viele Flüchtlinge mit Verteilungsentscheid für Hamburg aus anderen Bundesländern angekommen sein. Ist dem so und wenn ja, wie ist das zu erklären? Das bedeutet zunächst, dass viele der Direktzugänge in Hamburg verblieben sind. Ob zudem noch sehr viel mehr Personen von außerhalb nach Hamburg verteilt worden sind als in den vorherigen Monaten, kann nicht ohne weiteres beurteilt werden. Hierzu müssten die Zugangslisten der letzten Monate händisch nach den Behörden, die die Verteilungsentscheidung getroffen haben, ausgewertet werden. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Drs. 21/3639. 4. Wie bewertet der Senat die in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“/„Bild am Sonntag“-Berichterstattung genannten erheblich niedrigere Zahl von 37.600 Flüchtlingen für Februar 2016 und demnach nach Königsteiner Schlüssel nur 940 Flüchtlingen (ohne Bayernkontingent) für Hamburg? Wie erklärt sich die Diskrepanz zu den vom Senat genannten Zahlen? Im Monat Februar 2016 wurden gemäß EASY-Statistik 61.428 Zugänge von Asylsuchenden registriert. Darüber hinaus siehe Antwort zu 1. Im Übrigen äußert sich der Senat nicht zu Medienberichten. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3660 3 5. Ist es zutreffend, dass Ende Februar 2016 täglich etwa 80 Flüchtlinge in Hamburg ankamen? Wie viele sind es derzeit? Der Zugang schwankt aktuell montags bis freitags zwischen 60 und 90 Personen, am Wochenende kommen weniger Menschen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 6. Führt der Senat die rückläufige Zahl der in Hamburg ankommenden Flüchtlinge auf die sogenannte faktische Schließung der Balkan-Route zurück? Welche anderen Ursachen sieht der Senat gegebenenfalls noch? 7. Geht der Senat davon aus, dass die Zahl der in Hamburg ankommenden Flüchtlinge weiterhin rückläufig bleibt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, von welchen Größenordnungen geht der Senat zukünftig aus? 8. Gelangt der Senat vor dem Hintergrund rückläufiger Flüchtlingszahlen zu einer Neubewertung der Frage, ob die geplanten Großunterkünfte für Flüchtlinge ein geeignetes Instrument zur Unterbringung und Integration sind? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Aufgrund der Entwicklungen auf der Balkanroute sind die Zugangszahlen derzeit rückläufig . Auch die jüngst geschlossene Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei scheint dabei eine positive Wirkung zu entfalten. Allerdings ist nicht absehbar, ob diese Entwicklung von Dauer ist. Die Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge hat sich nicht wesentlich verändert beziehungsweise stabilisiert. Ob es zu Ausweichbewegungen kommt, bleibt abzuwarten. In Hamburg sind die Kapazitäten weiterhin ausgelastet und es müssen weiterhin neue Kapazitäten geschaffen werden. Wenn auch weniger, so sind doch täglich neue Ankünfte zu verzeichnen. Etwa 7.000 Schutzsuchende sind immer noch unzureichend in ehemaligen Baumärkten und Gewerbehallen untergebracht. Hamburg wird deshalb den Kapazitätsaufbau planmäßig fortsetzen. Damit ist die Stadt auch auf einen erneuten Anstieg der Zahlen vorbereitet. Sollte dieser ausbleiben soll vorrangig die Belegung in den schlechteren Unterkünften wie Baumarkthallen reduziert werden und Zentrale Erstaufnahmen in öffentliche rechtliche Unterbringungen umgewandelt werden. Dies ist in der Regel mit einer Verminderung der Platzzahl verbunden . Bei den geplanten Quartieren der Flüchtlingsunterkünfte mit der Perspektive Wohnen handelt es sich weder quantitativ noch qualitativ um Großunterkünfte beziehungsweise Großwohnsiedlungen. Als Großwohnsiedlungen werden solche Siedlungen verstanden , die mindestens 1.000 Wohnungen umfassen, wobei andere Definitionen deutlich höhere Werte annehmen (zum Beispiel 2.000 Wohneinheiten). An keinem der in den Bezirken vorgesehenen Standorte plant der Senat derartige Siedlungen beziehungsweise Großunterkünfte. Beabsichtigt sind vielmehr dauerhafte Wohnquartiere im Standard des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, um eine bessere Integration zu ermöglichen und die Unterbringung in provisorischen beziehungsweise mobilen Unterkünften abzulösen. Dabei werden frühzeitig alle Erfahrungen der Stadt- und Stadtteilentwicklung berücksichtigt. Im Übrigen siehe Drs. 21/1838.