BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/380 21. Wahlperiode 08.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 30.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Fall Jamie – Wieder ein Fall schwerer Kindesmisshandlung in Hamburg Erneut macht ein schwerer Fall von Kindesmisshandlung in Hamburg Schlagzeilen . Der zwei Monate alte Jamie schwebt in Lebensgefahr, nachdem sein Vater das Kind schwer misshandelt und lebensgefährlich verletzt hat. Wieder liegt die Zuständigkeit für diesen Fall im Bezirksamt Mitte, das Amt, welches für die ebenfalls durch Kindesmisshandlung zu Tode gekommenen Mädchen Yagmur († 2013), Chantal († 2012) und Lara-Mia († 2009) zuständig war. Die Eltern des Kindes standen seit der Geburt unter Beobachtung des Jugendamtes , da Probleme in der Familie bereits seit Geburt des Kindes bekannt waren. Der Tod der kleinen Yagmur, deren Betreuung ebenfalls in der Zuständigkeit des Bezirksamts Mitte lag, ist nicht einmal anderthalb Jahre her. Es ist tragisch, dass erneut ein Kind, dessen Eltern nach gegenwärtigem Stand seit der Geburt des Kindes vom Jugendamt überwacht wurden, fast bis zum Tode misshandelt wurde. Dies wirft Fragen auf. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den erfragten Informationen handelt es sich zum Teil um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 60 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X wären nicht nur alle gegebenenfalls in Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des Kindes Sozialdaten, sondern auch alle Daten über ihre Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, erlaubt eine Übermittlung der Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Stellen über die Umstände der schweren Kindesmisshandlung des kleinen Jungen vor? Drucksache 21/380 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht der Verdacht, dass der Vater von Jamie am 29. April 2015 in der gemeinsam genutzten Familienwohnung zwischen 0 Uhr und 07.30 Uhr schlagend auf den Kopf seines Sohnes so einwirkte, dass das Kind nach einer ersten medizinischen Beurteilung eine lebensbedrohliche diffuse Schwellung im gesamten Hirnbereich davontrug. Es ist Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen erlassen worden . Die Ermittlungen dauern an. Der Senat sieht im Hinblick auf die mögliche Beeinträchtigung der Ermittlungen von der Mitteilung weiterer Erkenntnisse ab. 2. Wann wurde der zwei Monate alte Junge wo geboren und wer hatte das Sorgerecht zu welcher Zeit für das Kind? Das Kind wurde am 3. Februar 2015 in Hamburg geboren; die Mutter hat die alleinige elterliche Sorge. 3. Seit wann und wie lange waren jeweils welche staatlichen Stellen mit dem zwei Monate alten Jungen beschäftigt? a. Welche Abteilung/-en des zuständigen Jugendamts waren mit dem Fall im Einzelnen betraut? Waren Abteilungen und/oder Mitarbeiter mit dem vorliegenden Fall befasst, die auch mit dem Fall Yagmur, Chantal oder Lara-Mia befasst waren? b. Wie viele Kontakte des zuständigen Jugendamtes gab es zu dem Kind und seinen Eltern seit der Geburt des Kindes und wann fanden diese in welcher Form statt? c. Wann und wie lange wurde die Familie durch wen in welcher Leistungsart und in welchem Umfang betreut? d. Welche Entscheidungen zu diesen Hilfen im Hinblick auf Ausweitung oder Kürzung gab es jeweils wann und durch welche Stellen? e. Gab es nach der schweren Körperverletzung eine Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII? Falls ja, wann, für wie lange und wo wurde das Kind gegebenenfalls untergebracht? f. Welche Mitarbeiter welcher Stellen haben den zwei Monate alten Jungen wann zuletzt aus welchem Anlass gesehen? g. Wurde das Kind dabei in Augenschein genommen? Falls ja, was wurde dabei festgestellt? Falls nein, weshalb nicht? Das Kind befindet sich seit seiner Geburt in der Betreuung des Fachamtes Jugendund Familienhilfe (Jugendamt) des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. Am 29. April 2015 hat der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamtes das Kind in Obhut genommen und einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge und Übertragung auf das Jugendamt – Abteilung Amtsvormundschaften – gestellt. Ein Beschluss liegt noch nicht vor. Polizeibeamte des örtlich zuständigen Polizeikommissariats 47 haben das Kind am 20. März 2015 anlässlich eines Einsatzes „Tätlicher Streit zwischen Mann und Frau“ in der Wohnung schlafend gesehen. Auffälligkeiten beim Kind sind dabei nicht wahrgenommen worden. Aufgrund der Gesamtumstände in der Wohnung hat die Polizei eine Meldung an das zuständige Jugendamt gefertigt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Laut Medienberichten sei der Vater des Kindes polizeilich bekannt gewesen und durch mehrfache Körperverletzung und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in Erscheinung getreten. Zudem sei es aufgrund von Streitigkeiten und Drohungen mehrfach zu Polizeieinsätzen bei der Familie gekommen. Welche genauen Erkenntnisse liegen dem Senat dazu vor? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/380 3 Der Tatverdächtige ist seit Oktober 2007 polizeilich mehrfach mit Gewaltdelikten, aber auch mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Eigentumsdelikten in Erscheinung getreten. Nach den Erkenntnissen der Polizei hat es vor dem 29. April 2015 drei Einsätze in der Familie gegeben: Im Dezember 2013 (vor Geburt des Kindes ) und im März 2015 jeweils aufgrund des Verdachts einer Körperverletzung sowie im April 2015 wegen eines Streits.