BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/386 21. Wahlperiode 12.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 04.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Schwarzfahren in Hamburgs Bussen und Bahnen Justizsenator Steffen hat angekündigt, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen , dass die von ihm als Bagatelldelikte bezeichneten Straftaten wie beispielsweise das Erschleichen von Leistungen nach § 265a StGB (hier: „Beförderungserschleichungen“ in öffentlichen Verkehrsmitteln) künftig nicht mehr als Straftaten, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden. Damit könnte selbst notorischen Schwarzfahrern, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, die sie nicht bezahlen, das Gefängnis erspart bleiben . Die Idee des Justizsenators ist nicht neu. Einen entsprechenden Gesetzesantrag gab es in Hamburg schon 1994. Er konnte sich zu Recht auf Bundesebene nicht durchsetzen. Nun scheint der Senator diese Idee wieder aufwärmen zu wollen. Seine Forderung wird derzeit allein öffentlich unterstützt vom Fraktionschef der Piraten in Berlin. Die Beförderungserschleichung schadet der Allgemeinheit und den ehrlichen Fahrgästen. Der HOCHBAHN und der Deutschen Bahn entstehen jährlich rund 20 Millionen Euro Schaden durch Schwarzfahrer. Im Jahr 2013 wurden in Hamburgs Bussen und Bahnen 115.000 Personen ohne gültigen Fahrausweis erwischt. Zur Abschreckung der Täter, zum Schutze der redlichen, zahlenden Fahrgäste und zum Schutz der Verkehrsbetriebe ist es erforderlich, dass renitenten Schwarzfahrern angemessene Strafen drohen. Was nützt die Verhängung von Bußgeldern, wenn dem Staat im Falle der Nichtzahlung keine weitere Handhabe bleibt. Im Übrigen wären die Verfahren auch als Ordnungswidrigkeitenverfahren von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zu bearbeiten. Auch gegen Bußgeldbescheide können Betroffene Einspruch erheben, was zu gerichtlicher Verhandlung führte. Personal würde daher nicht eingespart werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV), der Hamburger Hochbahn AG (HOCHBAHN), der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein AG (VHH), der S-Bahn Hamburg GmbH (SBahn ) sowie der AKN Eisenbahn AG (AKN) wie folgt: 1. Wie viele Fahrgäste wurden im Jahr 2014 sowie im 1. Quartal 2015 bei Kontrollen des ÖPNV ohne gültigen Fahrausweis angetroffen? 2014 2015 (1. Quartal) HOCHBAHN 69.368 16.630 VHH 11.610 3.209 Drucksache 21/386 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2014 2015 (1. Quartal) S-Bahn 82.970 38.172 AKN 8.043 2.019 2. Wie viele dieser Fahrgäste haben nachträglich eine persönliche Fahrkarte vorgelegt? 2014 2015 (1. Quartal) HOCHBAHN 11.469 2.265 VHH 1.800 430 S-Bahn 12.897 5.102 AKN 1.235 350 3. Wie hat sich die Anzahl der durchgeführten Kontrollen im ÖPNV seit dem Jahre 2011 entwickelt? Bitte pro Jahr darstellen. HOCHBAHN: Durchgeführte Fahrscheinkontrollen (nach Personen) 2011 2.981.059 2012 2.804.036 2013 2.760.460 2014 2.742.092 Bei der VHH liegen keine Daten über die Zahlen kontrollierter Fahrgäste vor. Nach Angaben der DB AG liegen die Prüfstunden konstant bei circa 71.000 Stunden pro Jahr. Die AKN hat keine Mengenangaben gemacht. Konzept „Einstieg vorn“ im Busbereich: Der „Einstieg vorn“ ist Teil des Ende 2010 eingeführten neuen HVV-Fahrkartenprüfkonzepts. Dieses Konzept sieht unter anderem vor, die Prüfvorgaben im Busbereich um 50 Prozent zu erhöhen und eine intensivere Zusammenarbeit der Unternehmensprüfdienste bei Schwerpunktkontrollen zu organisieren. Beim „Einstieg vorn“ führen die Busfahrerinnen und Busfahrer eine sogenannte Sichtkontrolle durch, die nicht die Fahrkartenkontrollen durch das Prüfpersonal ersetzt. Gleichwohl hat dies zu einem signifikanten Anstieg des Volumens verkaufter Fahrkarten geführt. 4. Wie hat sich die Anzahl der Kontrolleure im ÖPNV seit dem Jahre 2011 entwickelt? Bitte pro Jahr darstellen. HOCHBAHN: 2011 2012 2013 2014 20151 Mitarbeiter Prüfdienst HHW 87 87 88 89 91 Ein Teil der Mitarbeiter der Hochbahn-Wache ist multifunktional ausgebildet und kann sowohl im Prüfdienst als auch im Sicherheitsdienst eingesetzt werden. Die Berechnung der Mitarbeiterzahl für den Prüfdienst ergibt sich daher aus der Umrechnung der Prüfstunden. Die Verteilung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Prüfdienstes auf U-Bahn und Bus erfolgt seit 2012 im Verhältnis von ungefähr 50:50. Nach Angaben der VHH ergibt sich die Arbeitsleistung im Prüfdienst aus den Vorgaben des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV). Die Vorgaben haben sich wie folgt entwickelt: VHH: 2011 2012 2013 2014 2015 Mitarbeiter 14,3 14,5 15,1 15,8 16,1 1 Bis 28. Februar. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/386 3 Bis zum Jahr 2013 gab es separate Prüfvorgaben für PVG und VHH. Bei der VHH wird der Prüfdienst in der Regel über sogenannte Mischarbeitsplätze abgedeckt. Dies bedeutet, dass rund die Hälfte der Arbeitszeit tageweise im Fahrdienst und die andere Hälfte im Prüfdienst abgeleistet wird. Im angefragten Zeitraum waren jeweils 35 bis 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Prüfung beauftragt. Derzeit sind es 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die AKN setzt keine eigenen Fahrkartenkontrolleure ein. Die Prüfung erfolgt über einen externen Dienstleister. Durchschnittlich werden jährlich etwa 8.500 Prüferstunden für den gesamten AKN-Bereich beauftragt. Weitere Angaben hat die AKN nicht gemacht. Der Prüfdienst der DB Sicherheit übernimmt die Prüftätigkeiten in den Zügen und an den Stationen. Das Team besteht aus circa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darüber hinaus sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DB Sicherheit prüfberechtigt , das heißt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheits- und Ordnungsdienstes im Einsatzgebiet der S-Bahn Hamburg kontrollieren ebenfalls die Fahrkarten. Weitere Angaben hat die DB AG nicht gemacht. 5. Auf wieviel Prozent schätzt die zuständige Behörde den Anteil der Schwarzfahrer in Hamburgs Bussen und Bahnen? 6. Welcher Schaden ist dem ÖPNV im Jahre 2014 durch Beförderungserschleichung entstanden? Nach Angaben des HVV liegen die Schwarzfahrerquoten im HVV zwischen 2,5 Prozent und 3,0 Prozent. Der jährliche Schaden durch Beförderungserschleichung liegt nach Angaben des HVV bei rund 20 Millionen Euro. Die Einnahmenverluste durch Schwarzfahren betrugen vor Einführung des „Einstiegs vorn“ im Busbereich (März 2012) etwa 30 Millionen Euro. Dies entsprach einer Quote von 4,5 Prozent. 7. Die Beförderungserschleichung stellt den Hauptanwendungsfall des Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a StGB dar. Wie viele Ermittlungsverfahren gemäß § 265a StGB wurden seit dem Jahr 2011 jährlich eingeleitet? Bitte pro Jahr darstellen. Seit 2011 wurde folgende Anzahl von Ermittlungsverfahren eingeleitet, in welchen im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg, das nicht als Statistikprogramm konzipiert ist, als Tatvorwurf (unter anderem ) § 265a StGB erfasst ist2: Az.-Jahrgang Anzahl Js-Verfahren Anzahl UJsVerfahren 3 Anzahl Beschuldigte 2011 10474 30 10679 2012 10342 44 10582 2013 9891 44 10073 2014 10406 48 10585 20154 3382 16 3415 8. Wie viele Personen wurden wegen Erschleichens von Leistungen seit dem Jahr 2011 jährlich a. zu Geldstrafen, b. zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung, c. zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt? 2 Alle Angaben bezüglich MESTA stehen unter dem Vorbehalt der vollständigen und richtigen Erfassung. 3 Unbekannt-Verfahren. 4 Stichtag: 5. Mai 2015. Drucksache 21/386 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Ausweislich MESTA wurden Beschuldigte in den (unter anderem) wegen des Tatvorwurfs des Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a StGB geführten Verfahren seit 2011 wie folgt verurteilt5: Az.-Jahrgang Geldstrafe Freiheitsstrafe mit Bewährung Freiheitsstrafe ohne Bewährung 2011 2133 74 30 2012 1865 74 27 2013 1379 73 17 2014 1186 16 16 20156 121 0 0 Die Jahreszahlen beziehen sich dabei nicht auf das Jahr der Verurteilung, sondern auf das Jahr, in dem das Verfahren eingeleitet wurde. 9. Wie viele Personen, die wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, haben im Jahr 2014 sowie im 1. Quartal 2015 Ersatzarbeitsstunden abgeleistet? Ausweislich MESTA haben im angegebenen Zeitraum insgesamt 117 Personen, gegen die als Vorwurf § 265a StGB notiert ist und die zu einer (Gesamt-)Geldstrafe verurteilt wurden, im Rahmen der Vollstreckung der Strafe (unter anderem) gemeinnützige Arbeit geleistet. 10. Wie viele zu Geldstrafen verurteilte Personen insgesamt haben im Jahr 2014 sowie im 1. Quartal 2015 Ersatzarbeitsstunden abgeleistet? Ausweislich MESTA haben im angegebenen Zeitraum insgesamt 668 Personen, die zu einer (Gesamt-)Geldstrafe verurteilt wurden, im Rahmen der Vollstreckung der Strafe (unter anderem) gemeinnützige Arbeit geleistet. 11. Wie viele zu Geldstrafen verurteilte Personen haben im Jahr 2014 sowie im 1. Quartal 2015 eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt? Bitte jeweils zum Stichtag 1. eines Monats angeben. Ausweislich MESTA haben im angegebenen Zeitraum insgesamt 1.155 Personen, die zu einer (Gesamt-)Geldstrafe verurteilt wurden, im Rahmen der Vollstreckung dieser Strafe zumindest einen Teil der Strafe in Form der Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt7. In MESTA ist im angegebenen Zeitraum differenziert nach Monaten hinsichtlich folgender Anzahl von Personen als Vollstreckungserledigungsart die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe verzeichnet, wobei es sich dabei um sämtliche Vollstreckungen von Ersatzfreiheitsstrafen handelt, also nicht nur um Personen, die wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden sind: Jan. Feb. Mär z April Mai Juni Juli Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. 2014 68 72 95 77 68 82 88 68 75 84 83 74 2015 80 54 87 12. Justizsenator Dr. Steffen plant, Bagatelldelikte wie beispielsweise die Beförderungserschleichung künftig nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. 5 Aus MESTA lässt sich nicht zuverlässig entnehmen, ob im Einzelfall tatsächlich (nur) eine Anklage/Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen erfolgte oder (auch) wegen etwaiger anderer Delikte, beispielsweise wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB oder Betruges gemäß § 263 StGB. 6 Stichtag: 5. Mai 2015. 7 In vielen Fällen wird die Geldstrafe teilweise durch Zahlung oder Erbringung von gemeinnützi- ger Arbeit getilgt und nur noch ein Teil in Form der Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/386 5 a. Wie soll nach Ansicht der zuständigen Behörde die Zahlung des im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens verhängten Bußgeldes erfolgen, wenn der Betroffene zahlungsunfähig ist? b. Wie sollen nach Ansicht der zuständigen Behörde zahlungsunfähige Schwarzfahrer künftig von weiteren Taten abgehalten werden? Der Prozess der Willens- und Meinungsbildung zur Frage des Umgangs mit Bagatellkriminalität und den Folgen ist in der zuständigen Behörde noch nicht abgeschlossen. Es soll zunächst der Bericht der unter der Federführung des Landes Niedersachsen eingesetzten länderübergreifenden Arbeitsgruppe „Umgang mit Bagatellkriminalität“ abgewartet werden.