BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3922 21. Wahlperiode 29.04.16 Große Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann, Prof. Dr. Jörn Kruse, Dr. Bernd Baumann, Detlef Ehlebracht, Dr. Joachim Körner (AfD) und Fraktion vom 04.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Paris – Brüssel – Hamburg? Was tut der Senat, um die Hansestadt vor terroristischen Anschlägen zu schützen? Die Anschläge von Brüssel, die Terroristen am 22. März 2016 im Namen des Islam in der Hauptstadt der Europäischen Union verübt haben, sind das jüngste Kapitel eines Krieges, den extremistische Muslime weltweit gegen die westliche Staaten- und Wertegemeinschaft führen. Von der kaltblütigen Perfidie solcher Angriffe einmal abgesehen, die sich gemeinhin darin manifestiert , an öffentlichen Plätzen Bomben zu zünden, mit dem Ziel, möglichst viele Menschen zu töten, zeichnen sich die Anschläge von Brüssel vor allem dadurch aus, dass sie sich nicht etwa im luftleeren Raum ereigneten, sondern unmittelbar nach den Bluttaten von Paris erfolgten. Nachdem damals die Fassungslosigkeit über das Ausmaß der Anschläge vom 13. November 2015 der Erkenntnis hatte weichen müssen, der zufolge die Vorstellung, in europäischen Großstädten in Sicherheit zu leben, nichts weiter war als eine trügerische Illusion, gelangte man schnell zu dem Entschluss, die Sicherheitsvorkehrungen mit sofortiger Wirkung drastisch verschärfen zu müssen. Schon damals war klar, dass anstelle von Paris grundsätzlich auch jede andere europäische Metropole zum Opfer von Terroranschlägen hätte werden können. Vor diesem Hintergrund machte die AfD-Fraktion am 14.12.2015 eine Schriftliche Große Anfrage1 in der Bürgerschaftskanzlei anhängig, in welcher der Senat in Hinblick auf die Gefahr von Terroranschlägen zu Konzeption und Effektivität seiner Sicherheitsarchitektur für Hamburg befragt wurde. In seiner Antwort erklärte der Senat, alles dafür zu tun, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und versicherte, die islamistische Szene Hamburgs mit sämtlichen verfügbaren Mitteln zu überwachen. Anlass zu gesteigerter Besorgnis erkannte er jedoch nicht, hätte es doch keine Anzeichen dafür gegeben, dass Hamburg in Zukunft zum Angriffsziel von Terroristen werden könnte. Doch wie die Anschläge von Brüssel nun offenbaren, scheint zu große Selbstsicherheit in erheblichem Maße mit dafür verantwortlich gewesen zu sein, dass es erneut zu einem Anschlag kommen konnte. Denn im Gegensatz zu den Franzosen, deren Reaktion auf die Angriffe gegen ihre Hauptstadt in einer sichtbaren Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen bestand, versicherte die belgische Regierung ihre Bürger auch weiterhin des Trugschlusses , dass Brüssel und Belgien sicher seien. Seit dem 22. März 2016 wissen wir nun, dass es sich dabei um einen fatalen Irrtum handelt. Selbst die in den Medien als Schlag gegen den islamistischen Terrorismus gefeierte 1 Confer Drs. 21/2590. Drucksache 21/3922 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Verhaftung von Salah Abdeslam hat nichts an der Gesamtlage geändert. Die zentrale Erkenntnis, die man aus den Ereignissen dieses Tages gewinnen kann, muss lauten, dass unsere Vorstellung von Sicherheit in weiten Teilen offenbar nicht mit der Realität konform geht. Auch deuten sie darauf hin, dass man nicht gründlich genug gearbeitet hat, als es darum ging, eine gleichermaßen effektive wie gründliche Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die dazu in der Lage ist, bestehende Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu agieren. Obwohl der Senat wiederholt versichert hat, die gegenwärtige Bedrohungslage , die sich aus der Aktivität der islamistischen Szene in Hamburg ergibt, in gebührender Weise zu überwachen, dürfen die Anschläge von Brüssel nicht folgenlos an der Politik von Deutschlands zweitgrößter Metropole vorübergehen . Vielmehr müssen sie Anstoß geben, den eigenen Umgang mit der Bedrohung des islamistischen Terrorismus erneut kritisch zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Nahezu alle Staaten der EU stehen im erklärten Zielspektrum international agierender Organisationen, die sich zur Begründung terroristischer Aktionen auf den Islam berufen . Die Reihe jihadistisch motivierter Anschläge in Europa in den letzten Jahren bis hin zu den Anschlägen in Paris im November 2015 und in Brüssel im März 2016 belegen die bisherigen Gefährdungsbewertungen für europäische Staaten. Die Gefahr jihadistisch motivierter Gewalttaten im Bundesgebiet ist vor dem Hintergrund der weltweiten Entwicklungen im Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus anhaltend hoch. Sie kann sich jederzeit in Form von Gewalttaten und Anschlägen konkretisieren . Konkrete Erkenntnisse über Anschlagsvorhaben in Hamburg liegen den Sicherheitsbehörden derzeit nicht vor. Im Übrigen siehe Drs. 21/2303 und 21/2590. Die zuständige Behörde sieht von der Beantwortung einzelner, auf konkrete Maßnahmen oder Erkenntnisse zielende Fragen ab, wenn zu befürchten ist, dass öffentliche Auskünfte die Wirksamkeit von Maßnahmen gefährden könnten. Die vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Nach den Anschlägen von Paris hat der Senat erklärt2, dass es nicht erforderlich sei, die Sicherheitsarchitektur der Hansestadt noch einmal kritisch zu prüfen oder gar zu verändern. Hat sich daran durch die Anschläge von Brüssel etwas geändert? Falls nein, warum nicht? Die Bekämpfung des jihadistischen Terrorismus und die Verhinderung von entsprechenden Gewalttaten hat für die Polizei hohe Priorität und wird mit großer Intensität betrieben. Die Gefährdungsbeurteilung hat sich nach den Anschlägen von Brüssel grundsätzlich aber nicht verändert. Aktuelle Entwicklungen werden durch die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder fortwährend betrachtet und lageorientiert neu bewertet. Es findet hierzu ein regelmäßiger und intensiver Informationsaustausch statt. Entsprechend werden Lagebewertungen und daraus resultierende Maßnahmen fortlaufend angepasst und abgestimmt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. In Zusammenhang mit der Festnahme des IS-Terroristen Salah Abdeslam wird immer wahrscheinlicher, dass der Islamische Staat Terroranschläge künftig auch in Deutschland plant. Wie ernst nimmt der Senat diese Vermutung und welche Konsequenzen zieht er daraus? 3. Hat der Senat seit November 2015 sowie durch die Anschläge von Brüssel neue Erkenntnisse gewonnen, die auf eine mittel- beziehungsweise unmittelbare Bedrohung für Hamburg schließen lassen? 2 Confer Drs. 21/2590. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3922 3 4. Welche Maßnahmen hat der Senat bisher konkret unternommen, um Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund zu vermeiden? Werden bekannte Jihadisten künftig stärker überwacht? Der Senat hat wiederholt in verschiedenen Drucksachen und Stellungnahmen erläutert , dass die Gefährdungslage für Europa und Deutschland nach wie vor hoch ist und dass die Hamburger Sicherheitsbehörden dieser Gefahr mit einem Maßnahmenpaket begegnen. Deutschland steht seit Langem im Fokus islamistischer Terroristen, auch vor den jüngsten Anschlägen von Brüssel im März 2016 und Paris im November 2015. So hat der sogenannte Islamische Staat (IS) bereits im Herbst 2014 auch Deutschland als mögliches Anschlagsziel genannt. Ankündigungen dieser Art finden sich regelmäßig im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken. Im Übrigen siehe Drs. 21/3887, 21/2590, 21/2370 sowie 21/2303. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 5. Hat der Senat Kenntnis davon, dass Hamburger Salafisten mit Gesinnungsgenossen aus Belgien beziehungsweise dem übrigen EU-Ausland in Verbindung stehen? Den zuständigen Behörden liegen keine entsprechenden Informationen vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/2590. 6. Der Islamische Staat hat öffentlich erklärt, Hunderte seiner Anhänger auf „Spezialmissionen“ nach Europa geschickt zu haben. Angesichts der unkontrollierten Zuwanderung, die seit September 2015 nach Deutschland stattfindet, muss man davon ausgehen, dass ein Teil dieser Leute als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen ist. Wie schätzt der Senat diese Gefahr gegenwärtig ein? Aufgrund der Tatsache, dass einige der Attentäter von Paris (Anschläge im November 2015) als Flüchtlinge getarnt in den Schengen-Raum eingereist sind, geht das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg bereits seit Längerem jedem Hinweis auf mögliche oder angebliche IS-Hintergründe von Flüchtlingen, die sich in Hamburg aufhalten, nach. Bisher haben sich die Verdachtsmomente aber in keinem Fall bestätigt . Im Übrigen siehe Drs. 21/2303 und 21/1542. Eine Einreise von Personen, die in Teilen nicht oder nur unzureichend registriert werden , ist unter Sicherheitsaspekten kritisch zu bewerten. Die festgestellten Reisebewegungen einiger Täter der Anschläge von Paris und Brüssel belegen diese Einschätzung . Im Bereich der Zuwanderung von Flüchtlingen erfolgen derzeit tagesaktuell die erforderlichen Registrierungen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1.