BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/393 21. Wahlperiode 12.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 04.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Fall von Kindeswohlgefährdung in Hamburg-Mitte Medienberichten der letzten Woche zufolge ist es im Bezirk Hamburg-Mitte im Stadtteil Finkenwerder zu einem schweren Fall von Kindeswohlgefährdung in einer Familie gekommen, die vom Jugendamt betreut wurde. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den erfragten Informationen handelt es sich zum Teil um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 60 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X wären nicht nur alle gegebenenfalls in Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des Kindes Sozialdaten, sondern auch alle Daten über ihre Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, erlaubt eine Übermittlung der Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt Stellung: 1. Seit jeweils wann standen die Eltern in Kontakt mit jeweils welchen Jugendämtern der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH)? a. Inwieweit fand in diesem Zeitraum gegebenenfalls ein Fallzuständigkeitswechsel statt? b. Welche ASD-Abteilung war zuletzt ab wann für den Fall zuständig? c. Wann fand der jeweils letzte persönliche Kontakt zwischen fallführender Fachkraft (FFK) und Kindsvater sowie Kindsmutter statt? Siehe Drs. 21/380 und Vorbemerkung. 2. Ist die zuletzt zuständige ASD-Abteilung als „notleidend“ identifiziert gewesen? Drucksache 21/393 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn ja, wann genau erhielt sie welche Personalaufstockung (in VZÄ sowie konkreten Personalzugängen)? Nein. Wie jede ASD-Abteilung im Rahmen der Stabilisierungsmaßnahmen im ASD hat auch die zuständige Abteilung Stellenaufstockungen für stellvertretende ASD-Leitungen sowie JUS-IT-Multiplikatoren erhalten. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. a. a. Wie sahen Stellenplan sowie die tatsächliche Stellenbesetzung zum 01.12.2014 und zum 15.04.2015 aus? Die planmäßige und tatsächliche Besetzung (ohne Leitungs- und Verwaltungskräfte) betrug - zum Stichtag 1. Dezember 2014: 12,5 Stellen, besetzt mit 11,07 Vollzeitäquivalenten (VZÄ); - zum Stichtag 15. April 2015: 13,44 Stellen, besetzt mit 12,23 VZÄ. b. Wie viele Tage krankheits- oder anderweitig bedingter Ausfallzeiten gab es in dieser Abteilung in den Monaten seit Dezember 2014? (Bitte monatsweise auflisten.) Ausfallzeiten in der Abteilung Monat Gesamtausfallzeit in Kalendertagen 12/2014 15 01/2015 7 02/2015 35 03/2015 14 04/2015 23 Quelle: Bezirksamt Hamburg-Mitte; nicht vollkraftbereinigt c. Wie viele Überlastungsanzeigen wurden von Beschäftigten dieser Abteilung jeweils wann seit Anfang 2014 gestellt? In der Abteilung insgesamt gab es im Frühjahr 2014 zwei individuelle Überlastungsanzeigen , davon jedoch keine aus dem für den Jugendhilfefall zuständigen Team. Für das Jahr 2015 gibt es keine Überlastungsanzeigen. 3. Ist der konkrete Fall vollumfänglich in JUS-IT dokumentiert beziehungsweise war er dies am 29.04.2015? Wenn nein, welche Lücken weist er gegebenenfalls auf? Was sind die Gründe dafür? Der Jugendhilfefall war am 29. April 2015 nicht vollumfänglich in JUS-IT dokumentiert. Die Polizeimeldung vom 20. März 2015 und die darauf erfolgte Reaktion waren in JUS-IT dokumentiert. Die Papierakte ist führend. Daher wurden im Jugendamt zunächst in Papierform alle relevanten Informationen dokumentiert. Es hat zuerst die fachlich erforderlichen Aufgaben zeitnah erledigt und in der Papierakte dokumentiert; anschließend erfolgt die Dokumentation in JUS-IT. 4. Welche konkreten Hilfsmaßnahmen wurden im konkreten Fall jeweils wann in welchem wöchentlichen Stundenumfang beschlossen? Seit jeweils wann wurden sie durch jeweils welche Träger durchgeführt? Siehe Vorbemerkung. 5. Wurden durch diese Träger oder Dritte Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung festgestellt und an das Jugendamt gemeldet oder hatte das Jugendamt entsprechende eigene Erkenntnisse? Wenn ja, (seit) jeweils wann? Siehe Drs. 21/380 und Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/393 3 6. Welche Vorgaben und Kontrollmechanismen bestehen seitens der Jugendämter gegenüber Jugendhilfe-Trägern hinsichtlich der Beurteilung möglicher Kindeswohlgefährdungslagen? In der Rahmenvereinbarung zum Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 8a Absatz 4 und 72a Absätze 2 und 4 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sowie der Anlage 1 zur Umsetzung des Schutzauftrages gemäß § 8a Absatz 4 SGB VIII sind die Vorgaben und Kontrollmechanismen der Jugendämter gegenüber den Trägern der Jugendhilfe geregelt: http://www.hamburg.de/contentblob/119002/data/rahmenvereinbarung.pdf. Dieser Rahmenvereinbarung sind alle Spitzenverbände beigetreten. Ihre Regelungen sind somit für alle den Verbänden angehörenden Träger verbindlich. Darüber hinaus werden im Einzelfall konkrete Absprachen, auch zur Beurteilung einer möglichen Kindeswohlgefährdung bzw. zur Sicherstellung des Kindeswohls, im Rahmen von Hilfeplangesprächen und im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte gemäß § 36 SGB VIII zwischen den Beteiligten, also Jugendämtern, Familien und Trägern, getroffen. 7. Welche der Empfehlungen des PUA Yagmur, insbesondere hinsichtlich der besseren Kooperation zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Familiengerichten und Jugendämtern, wurden bislang in welchen Hamburger Jugendämtern, insbesondere in Hamburg-Mitte, in welcher Weise umgesetzt ? Die Kooperationen zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Familiengerichten und Jugendämtern sind in allen Bezirksämtern etabliert und wurden intensiviert. Dazu haben in allen Bezirksämtern Informations- und Fachaustauschveranstaltungen mit Beteiligung der Kooperationspartner (Familiengericht/Partner-Staatsanwaltschaft/Jugendschutzbeauftragte der Polizei) stattgefunden. In begründeten Einzelfällen findet ein fachlicher Austausch direkt zwischen den unterschiedlichen Dienststellen statt. Die gemeinsam erarbeiteten Handreichungen unterstützen die Kommunikation in der direkten Fallbearbeitung. 8. Inwieweit werden (öffentliche) Profile und Einträge in sozialen Netzwerken von Jugendämtern und freien Trägern bei der Bewertung der familiären Situation von Kindern berücksichtigt? Welche Dienstanweisung oder Ähnliches gibt es gegebenenfalls bezüglich des Umgangs mit entsprechenden Informationen? Die Jugendämter sind zunächst verpflichtet, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Daten bei den Betroffenen selbst zu erheben. Die häufig nicht verlässlichen und verifizierbaren Einträge in (öffentlichen) Profilen und sozialen Netzwerken werden nicht regelhaft in die Bewertung einer familiären Situation einbezogen. Die Recherche in diesen Netzwerken stellt kein Instrument der jugendamtlichen Aufgabenerfüllung dar. Somit ist eine Dienstanweisung bezüglich der Nutzung dieser Medien nicht erforderlich .