BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3986 21. Wahlperiode 15.04.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 07.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Evaluation der Sprachstandserhebung und Sprachförderung in Hamburger Kindertageseinrichtungen Die Sprachförderung und die daran anschließende Sprachstandserhebung in Kindertageseinrichtungen sind wesentliche Bestandteile der frühkindlichen Bildung. Um eine fundierte und wissenschaftlich abgesicherte Weiterentwicklung der Sprachförderung zu gewährleisten und mögliche Potenziale der aktuellen Programme zu erkennen, ist eine regelmäßige Evaluation unerlässlich . Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern in sozial belasteten Stadtteilen wurde 2013 das Hamburger „Kita-Plus-Programm“ gestartet. Kindertageseinrichtungen , die besonders hohe Anteile an Kindern mit nicht deutscher Familiensprache und Kindern aus sozial benachteiligten Familien aufweisen, erhalten durch Kita-Plus eine zusätzliche Personalausstattung im Umfang von 12 Prozent im Krippen - und Elementarbereich. Ziel des Kita-Plus-Programms ist die Umsetzung eines Konzepts zur inklusiven Bildung, zur qualifizierten alltagsintegrierten sprachlichen Bildung, zur Vernetzung der Kita im Sozialraum sowie zu einer an ihren Bedürfnissen orientierten Zusammenarbeit mit den Eltern. Die frühe Förderung der sprachlichen Entwicklung und Bildung nimmt hierbei eine zentrale und grundlegende Rolle ein. Im Förderzeitraum 2016 – 2019 nehmen rund 320 der gut 1.000 Hamburger Kindertageseinrichtungen am Kita-Plus-Programm teil. Eine Evaluation durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. aus Frankfurt bestätigte die positiven Wirkungen des Kita-Plus-Programms. Kitas, die die Anforderungen für Kita-Plus nicht erfüllen, aber einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit einer nicht deutschen Familiensprache aufweisen, erhalten eine um 4 Prozent verbesserte Personalausstattung beim Erziehungspersonal im Krippen- und Elementarbereich. Mit dem Zusatzentgelt soll die alltagsintegrierte sprachliche Bildung in rund 60 Hamburger Kitas intensiviert werden. Tageseinrichtungen, in denen der Anteil der Kinder mit nicht deutscher Familiensprache während der Laufzeit deutlich ansteigt, zum Beispiel durch die Aufnahme von Flüchtlingskindern, haben die Möglichkeit einer nachträglichen Aufnahme in das Kita- Plus-Programm oder können nachträglich Mittel für eine intensivierte alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Sprachförderung erhalten. Für das Kita-Plus-Programm und die intensivierte alltagsintegrierte sprachliche Bildung stellt die Freie und Hansestadt Hamburg 2016 rund 16 Millionen Euro zur Verfügung . Gemäß den für alle Kitas verbindlichen „Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen“ ist Sprachförderung als Drucksache 21/3986 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 durchgängiges Prinzip in den Kitas fest verankert. Sie erfolgt alltagsintegriert und basiert auf der systematischen Beobachtung und Dokumentation der allgemeinen und sprachlichen Entwicklung der Kinder. Darüber hinaus erfolgt Sprachförderung auch im Rahmen von Kleingruppenangeboten oder Einzelförderung. Die konkrete fachliche Ausgestaltung der sprachförderlichen Aktivitäten, Sprachstandsfeststellung und Dokumentation erfolgen auf Grundlage trägerindividueller Konzepte, Programme und Verfahren. Festzustellen ist, dass eher schematisch angelegte „Sprachförderprogramme“ von Wissenschaft und Praxis in ihrer Wirkung zunehmend skeptisch beurteilt werden. Mit Blick auf eine positive sprachliche Entwicklung der Kinder wird eine alltagsintegrierte sprachliche Bildung als zielführender Förderansatz angesehen. Diese Entwicklung wird durch die Ausgestaltung einschlägiger Bundesprogramme unterstrichen. Im Rahmen des am 1. Januar 2016 gestarteten Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ nehmen circa 90 Hamburger Kitas teil, diese erhalten jeweils eine zusätzliche halbe Stelle aus Bundesmitteln. Jeweils zehn bis 15 Kitas schließen sich zu einem Verbund zusammen und werden durch eine halbe Fachberatungsstelle unterstützt. Inhaltlich stehen die Themen alltagsintegrierte sprachliche Bildung, Inklusion und Zusammenarbeit mit den Eltern im Fokus des Programms. Laufzeit des Programms ist Anfang 2016 bis Ende 2019. Das Programm „Sprach-Kitas“ ist das Nachfolgeprogramm des Bundesprogrammes „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“, welches Ende 2015 auslief und an dem rund 4.000 Kitas, davon rund 100 aus Hamburg, teilnahmen. Auch dieses Programm setzte den fachlichen Schwerpunkt auf eine alltagsintegrierte sprachliche Bildung. Im Auftrage des Bundesfamilienministeriums wurde diese Maßnahme durch einen Verbund mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen evaluiert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Programme zur Sprachförderung werden in Hamburger Kitas angeboten? Informationen zu einrichtungs- beziehungsweise trägerspezifischen Sprachförderkonzepten und -programmen liegen der zuständigen Behörde nicht vor. Sie hat deshalb hierzu die Vertragspartner des Landesrahmenvertrages „Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen “ (Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Hamburg e.V.; Caritasverband Hamburg e.V.; Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Hamburg; Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Hamburg e.V.; Diakonisches Werk Hamburg e.V.; Kindermitte e.V. – Bündnis für Soziales Unternehmertum und Qualität in der Kindertagesbetreuung e.V.; SOAL – Alternativer Wohlfahrtsverband e.V. Landesverband Hamburg; Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kitas gGmbH) um Auskunft gebeten. In der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit ging eine Rückmeldung der Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kitas gGmbH ein. Die Elbkinder haben ein eigenes Rahmenkonzept zur alltagsintegrierten Sprachlichen Bildung entwickelt, welches sich im Wesentlichen auf die folgenden, wissenschaftlich anerkannten Konzepte bezieht: Konzepte zur sprachlichen Bildung und Förderung des Deutschen Jugendinstituts (Jampert, Karin et al. (2009) & (2011); Laier, Mechthild/Nunnenmacher, Sabine (2014). Konzept des dialogischen Lesens. Vergleiche Jugendamt der Stadt Nürnberg (Hrsg.) 2006. Konzept zur Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita (Ruberg/Rothweiler 2012). Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Werden die Programme zur Sprachförderung nach 1. in regelmäßigen Abständen evaluiert? a. Wenn ja, in welchen Abständen werden die Programme evaluiert? b. Wenn ja, nach welchen Kriterien werden die Programme evaluiert? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3986 3 c. Wenn ja, besteht eine Metastudie zur Gesamtevaluationen der Einzelevaluationen ? d. Wenn nein, warum besteht keine regelmäßige Evaluation der Sprachförderung? Eine regelmäßige Evaluation der in den Hamburger Kitas eingeführten konkreten Sprachförderkonzepte beziehungsweise -programme erfolgt nicht, da eine Evaluation dieser Maßnahmen wissenschaftlich hochkomplex und sehr aufwändig ist. Bei der Auswahl geeigneter Konzepte sind die Träger daher in der Regel auf entsprechende Studien und Evaluationsergebnisse der Wissenschaft angewiesen. Zudem wurde in mehreren Studien festgestellt, dass vor allem die Qualifikationen der Pädagogischen Fachkräfte zentrale Faktoren für den Erfolg sind. Aus diesem Grunde haben das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Kultusministerkonferenz und die Konferenz der Jugend- und Familienminister der Länder beschlossen, im Rahmen der gemeinsamen Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) die in den Bundesländern eingeführten Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik im Elementar-, Primar- und Sekundarbereich im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Effizienz wissenschaftlich überprüfen zu lassen. Dabei arbeiten Verbünde aus Kindertageseinrichtungen eng mit qualifizierten Wissenschaftlern zusammen und setzen abgestimmte Maßnahmen der Sprachbildung und Sprachförderung um. Eine Auswahl der im Rahmen des BiSS-Programms durchgeführten Maßnahmen wird wissenschaftlich evaluiert. Das Ziel der Evaluationen besteht darin, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Umsetzungsqualität zu erhalten und zu erfahren, welche Konzepte Kinder besonders wirksam in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützen. Ein begleitendes Forschungsprogramm untersucht parallel Fragen von besonderer Dringlichkeit und trägt so zur Entwicklung neuer Instrumente im Bereich Diagnostik, Förderung und Professionalisierung bei. Ergebnisse werden voraussichtlich frühestens in 2019 vorliegen. Hamburg beteiligt sich im Elementarbereich an der Initiative „BiSS“ mit einem Verbund, bestehend aus sechs Wilhelmsburger Einrichtungen (siehe Drs. 20/13636). Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Werden in Hamburger Kitas regelmäßige Sprachstandserhebungen durchgeführt? a. Wenn ja, in welchen Abständen, seit wann und in welchem Umfang werden welche Sprachstandserhebungen durchgeführt? b. Wenn nein, warum werden keine Sprachstandserhebungen durchgeführt ? Gemäß § 9 Absatz 2 des Landesrahmenvertrages Kindertagesbetreuung in Tageseinrichtungen werden die sprachlichen Kompetenzen aller in Hamburger Kitas betreuten Kinder circa anderthalb Jahre vor deren voraussichtlicher Einschulung im Rahmen einer ausführlichen und differenzierten Einschätzung des individuellen Entwicklungsstandes schriftlich dokumentiert. Diese Kompetenzeinschätzung erfolgt verbindlich und anhand standardisierter Einschätzungsbögen. Die darin abgefragten Bereiche orientieren sich an den in den „Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen“ formulierten Kompetenz- und Bildungsbereichen . Zur Einschätzung der Sprachkompetenz im Bereich der deutschen Sprache und gegebenenfalls in einer anderen Sprache werden die Kompetenzen der Kinder zum Beispiel im Hinblick auf das Hörverstehen, den Wortschatz, die Grammatik und die Artikulation eingeschätzt. Sofern das Einverständnis der Eltern vorliegt, wird eine Zusammenfassung der Kompetenzeinschätzungen im Rahmen des kooperativen Vorstellungsverfahrens für Viereinhalbjährige an die jeweils regional zuständige Grundschule weitergeleitet. Diese ergänzt die Kompetenzeinschätzungen aus der Kita mit den eigenen Beobachtungen aus dem Vorstellungsgespräch in der Schule, sodass die Perspektiven beider Institutionen in die Dokumentation des Sprachentwicklungsstands der Kinder eingehen kön- Drucksache 21/3986 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 nen. Zur Einschätzung des Sprachstands des Kindes durch die Grundschule werden von der für Bildung zuständigen Behörde standardisierte Beobachtungsverfahren (so genannte Bildimpulse) bereitgestellt. Wenn bei einem Kind durch die Grundschule abschließend ein ausgeprägter Sprachförderbedarf festgestellt wird, nimmt es nach § 28a des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG) im Jahr vor der geplanten Einschulung verbindlich an einer Maßnahme zur additiven Sprachförderung teil. 4. Werden die durchgeführten Sprachstandserhebungen regelmäßig evaluiert ? a. Wenn ja, in welchen Abständen werden die Erhebungen evaluiert? b. Wenn ja, nach welchen Kriterien werden die Erhebungen evaluiert? c. Wenn ja, besteht eine Metastudie zur Gesamtevaluationen der Einzelevaluationen ? d. Wenn nein, warum besteht keine regelmäßige Evaluation der Sprachförderung? Die Ergebnisse der Sprachstandseinschätzungen im Rahmen des Vorstellungsverfahrens für Viereinhalbjährige werden von den zuständigen Behörden jährlich erfasst, systemisch ausgewertet und im zeitlichen Verlauf abgebildet. Ein zentraler Befund dieser Auswertungen ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Sie zeigt, dass der Anteil der Kinder mit einem ausgeprägten Sprachförderbedarf mit zunehmender Dauer des Kitabesuchs deutlich sinkt: Dauer des Kitabesuchs Anteil der Kinder mit ausge-prägtem Sprachförderbedarf bis 11 Monate 26,5% 12 bis 23 Monate 14,7% 24 bis 35 Monate 9,6% mehr als 35 Monate 3,8% Quelle: Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung. Das Verfahren zur Vorstellung Viereinhalbjähriger in Hamburg, Ergebnisse für das Schuljahr 2014/2015. Werden nur die Kinder mit einem Migrationshintergrund betrachtet, sind die Unterschiede noch ausgeprägter. Bei einer Dauer des Kitabesuchs von bis zu elf Monaten beträgt der Anteil der Kinder mit einem ausgeprägten Sprachförderbedarf 38,6 Prozent . Bei Kindern, die mehr als 35 Monate eine Kita besucht haben, beträgt der Anteil nur noch 8,4 Prozent. Zusätzlich werden Befragungen von Kita- und Schulleitungen zur Umsetzung des Vorstellungsverfahrens durchgeführt, um Hinweise zur Optimierung des Verfahrens zu erhalten.