BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4042 21. Wahlperiode 19.04.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 12.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Wahlverbot für betreute Menschen mit Behinderung(en) und Psychiatriepatienten /-innen auch in Hamburg? Gemäß § 13 Bundeswahlgesetz und § 7 des Gesetzes über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft sind Menschen, die in allen Angelegenheiten eine/n Betreuer/in benötigen und Menschen, die sich aufgrund von rechtswidrigem Verhalten in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dies betrifft also insbesondere Menschen mit Behinderung (en). Am 13.09.2013 waren 280 Personen in Hamburg vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen, 110 Personen befanden sich zu dem Zeitpunkt ohne aktives Wahlrecht in geschlossenen Einrichtungen (siehe Drs. 20/9348). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Menschen sind zum Stichtag 12.04.2016 vom Wahlrecht in Hamburg ausgeschlossen? Mit Stand vom 12. April 2016 ist im Melderegister für 229 Personen ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht (§ 13 Bundeswahlgesetz beziehungsweise § 7 Bürgerschaftswahlgesetz ) eingetragen. 2. Welche Formen der Behinderung(en) begründen gegenwärtig eine/n Betreuer/in für alle Angelegenheiten und wie viele Menschen mit welchen Behinderung(en) betrifft dies? Nach § 1896 Absatz 1 Satz 1 BGB kann das Betreuungsgericht einen Betreuer bestellen , wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen , geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Neben einer solchen Erkrankung oder Behinderung ist indes auch stets die Erforderlichkeit der Betreuung Voraussetzung der Einrichtung einer Betreuung (siehe insbesondere § 1986 Absatz 2 BGB). Bezüglich der Einrichtung einer sogenannten Totalbetreuung, also einer Betreuung für alle Angelegenheiten, ist in Bezug auf die Praxis der Hamburger Amtsgerichte auszuführen , dass diese dort sehr selten vorkommt. Dies hängt damit zusammen, dass bei der Einrichtung der Betreuung die notwendigen Aufgabenkreise nach dem betreuungsrechtlichen Grundsatz der Erforderlichkeit ausgewählt werden. Regelmäßig richten die Richterinnen und Richter die Betreuung mit einzelnen zugewiesenen Aufgabenkreisen ein, die mitunter auch sehr zahlreich sein können. Zum Teil beruhen die eingerichteten Betreuungen mit dem Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten“ auch darauf, dass diese durch das ursprünglich zuständige Gericht eingerichtet wurden und nunmehr binnen laufender Überprüfungsfrist durch das zuständige Amtsgericht Hamburg beziehungsweise jeweilige Stadtteilgericht übernommen wurden. Drucksache 21/4042 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zur Frage, wie viele Menschen mit welchen Behinderung(en) dies betrifft, kann hier nur eine Beantwortung anhand der bei dem Amtsgericht Hamburg geführten Betreuungsverfahren erfolgen. Die Auswertung der Verfahrenssoftware ergab, dass bei den Amtsgerichten Hamburg insgesamt 91 Betreuungsverfahren zum Stichtag 12. April 2016 mit dem Aufgabenkreis „für alle Angelegenheiten“ geführt werden. In Anbetracht der zum 31. März 2016 anhängigen laufenden Betreuungsverfahren bei den Amtsgerichten Hamburg (26.433) ist die Anzahl der derzeit eingerichteten Betreuungen mit dem Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten“ für 91 Betroffene damit sehr gering (0,34 Prozent). Die Art der Erkrankung im Sinne des § 1896 Absatz 1 BGB wird in den Betreuungsverfahren statistisch nicht erfasst und erfordert eine händische Auswertung. Die innerhalb der Antwortfrist hierfür kurzfristig verfügbaren 78 (von insgesamt 91 einschlägigen) Verfahrensakten hat folgende Erkrankungen ergeben: Schwere geistige Behinderung nach Enzephalitis im sechsten Lebensmonat (1x), Kramer-Pollow-Syndrom (1x), Wachkoma aufgrund eines hypoxischen Hirnschadens nach Reanimation (1x), schwere körperliche und geistige Behinderung (durch Virusinfektion entstandene Mehrfachbehinderung) (1x), Mehrfachbehinderung mit schwerer Intelligenzminderung nach hypoxischer Hirnschädigung unter der Geburt (1x), mehrfache körperliche Behinderung mit u.a. Stammhirndysfunktion (1x), mittelgradig ausgeprägte geistige Behinderung (1x), mittelgradige bis schwerste Intelligenzminderung (4x), appallisches Syndrom (1x), geistige Behinderung schweren Grades (1x), schwere Mehrfachbehinderung infolge eines frühkindlichen Hirnschadens (1x), fortgeschrittene bis schwer ausgeprägte Demenz (4x), schwergradige hirnorganische Wesensveränderung bei Zustand nach Hypoxämie (1x), Down-Syndrom (7x), Wachkoma/ ohne Bewusstsein (2x), geistige Behinderung und Epilepsie (1x), schwere geistige Behinderung (2x), Hirnerkrankung, spastische Lähmung und Blindheit (1x), schwere geistige Mehrfachbehinderung mit spastischer Parese und Blindheit (1x), Hirnschädigung (1x), globale Entwicklungsstörung mit geistiger Behinderung und Autismus mit aggressivem Verhalten (1x), geistige Behinderung, schwerer Grad (ehemaliges Frühchen ) (1x), Zustand nach Schlaganfall (2x), schweres Schädel-Hirn-Trauma (1x), vorgeburtlicher Hirnschaden (1x), schwere zerebrale Dysfunktion mit sensomotorischen Wahrnehmungsstörungen (1x), tiefgreifende Entwicklungsstörung, schwere Intelligenzminderung , erheblich gestörte Sprachentwicklung und Autismus (2x), schwerste Mehrfachbehinderung, schwerste Intelligenzminderung (1x), spastische Tetraparese, Epilepsie, allgemeiner Entwicklungsrückstand, Dysarthrie, Hüftluxation (1x), schweres Schädel-Hirn-Trauma, spastische Bewegungsstörungen und geistige Behinderung (1x), geistige Behinderung, Epilepsie und Bewegungsstörung (1x), Alzheimer- Demenz, rezidivierende Depression (1x), geistige Behinderung (1x), Epilepsie und schwere geistige Behinderung (1x), schwere geistige Retardierung (1x), Erblindung, Debilität und spastische Lähmung (1x), schwere Mehrfachbehinderung (1x), spastische Tetraplegie, ein zerebrales Ausfallsleiden und eine allgemeine Entwicklungsstörung (1x), schwere allgemeine Entwicklungsverzögerung (1x), Spina bifida mit Hydrocephalus und einer daraus folgenden mittelgradigen geistigen Behinderung (1x), schwere Mehrfachbehinderung mit spastischer Tetraparese und Epilepsie (1x), kombinierte pathologische Persönlichkeitsstörung und Intelligenzminderung (1x), schwere geistige und körperliche Mehrfachbehinderung (1x), autistisches Syndrom (3x), schwere mentale Retardierung als Folge einer Chromosomenstörung (1x), schwerste Intelligenzminderung mit multiplen körperlichen Fehlbildungen (1x), schwere Intelligenzminderung bei Tetraparese (1x), schwer mehrfach behindert, nämlich M. Down, mittelgradige Oligophrenie, Epilepsie (1x), Enzephalopathie und Demenz (1x), Cri-duchat -Syndrom (1x), Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma und Hirninfarkt mit dementieller Entwicklung (1x), schweres Residualsyndrom bei ehemaligem Frühgeborenem der 28. Schwangerschaftswoche mit spastisch-athetoider Tetraparese, ventilversorgtem posthämorragischem Hydrocephalus, symptomatische fokale Epilepsie, Microcephalie (1x), Epilepsie mit schweren kognitiven Funktionseinschränkungen (1x), Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (1x), Cerebralparese mit Mehrfachbehinderung (1x), angeborene Hirnwasser-Zirkulationsstörung, schwere geistige Behinderung mit Epilepsie und spastischer Lähmung (1x), Martin-Bell-Syndrom (1x), mittelschwere bis schwere Intelligenzminderung bei frühkindlicher Hirnschädigung, geistige Entwick- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4042 3 lungsstörung und Reifeverzögerung (1x), Pachhygrie, schwere geistige Retardierung (1x), Zustand nach Reanimation mit instabilem Thorax unter Langzeitbeatmung (1x). 3. Wie viele Menschen, die sich aufgrund einer richterlichen Anordnung in einer Psychiatrie befinden, sind vom Wahlrecht zum Stichtag 12.04.2016 ausgeschlossen? 107 der Personen mit einem Ausschluss vom aktiven Wahlrecht befinden sich nach der im Melderegister gespeicherten Wohnanschrift in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung. 4. Welche Maßnahmen ergreift der Senat zu wann und hat er schon ergriffen um Wahlen barrierefrei zu gestalten? Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Maßnahme, konkreter Bezeichnung der Maßnahme zur Herstellung der Barrierefreiheit für welche Form der Behinderung(en). Die Ausgestaltung von Wahlen einschließlich der Maßnahmen zur Barrierefreiheit erfolgt jeweils ereignisbezogen für die konkret durchzuführende Wahl. In Umsetzung des Bürgerschaftlichen Ersuchens Drs. 20/13780 wird jeweils in dem Erfahrungsbericht der Landeswahlleitung, der Bezirkswahlleitungen sowie des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein über die Durchführung einer Wahl in einem gesonderten Kapitel „Barrierefreiheit“ über die konkreten Maßnahmen zur barrierefreien Ausgestaltung der jeweiligen Wahl berichtet. Die Erfahrungsberichte sind im Internet auf der Seite des Landeswahlamts unter www.hamburg.de/navigationerfahrungsberichte / veröffentlicht. 5. Sieht der Senat gegenwärtig Defizite in der barrierefreien Gestaltung der Wahlen? Die Verbesserung der Barrierefreiheit bei Wahlen ist ständiges Ziel der Wahlorganisation . Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 6. Wie verhält es sich zum Stichtag 12.04.2016 mit der Barrierefreiheit der Wahllokale? 7. Wie verhält es sich zum Stichtag 12.04.2016 mit der Barrierefreiheit der Wahlunterlagen? 8. Werden Wahlunterlagen zum Stichtag 12.04.2016 in leichter Sprache, größerer oder kontrastreicher Schrift, Brailleschrift oder eine Blindenschablone zur Verfügung gestellt? a. Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein, um diese Wahlunterlagen für welches barrierefreie Merkmal zu bekommen ? b. Wenn nein, warum nicht? Wahllokale werden jeweils für einen bestimmten Wahltag eingerichtet und die Wahlunterlagen jeweils für eine bestimmte Wahl erstellt. Für den in der Fragestellung angegebenen Stichtag gibt es daher in Hamburg weder Wahllokale noch aktuelle Unterlagen (wie zum Beispiel Stimmzettel, Wahlschein oder ähnliche) für Wahlen.