BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/409 21. Wahlperiode 12.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 05.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Fall Jamie – Wieder ein Fall schwerer Kindesmisshandlung in Hamburg (II) Aus den aktuellen Medieninformationen im Fall des zwei Monate alten Säuglings Jamie geht hervor, dass es bereits vor der Festnahme des Vaters drei Polizeieinsätze in der elterlichen Wohnung gegeben hat. Zwei dieser Einsätze ereigneten sich angeblich bereits kurz nach der Geburt des Kindes. Der Polizeisprecher teilte mit, dass das zuständige Jugendamt des Bezirks Mitte über die Vorfälle informiert wurde. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wie das Jugendamt Mitte mit den polizeilichen Informationen umgegangen ist. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den erfragten Informationen handelt es sich zum Teil um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 60 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X wären nicht nur alle gegebenenfalls in Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des Kindes Sozialdaten , sondern auch alle Daten über ihre Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, erlaubt eine Übermittlung der Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie verlief die Kommunikation zwischen der Polizei und dem zuständigen Jugendamt Mitte? Wann erhielt das Jugendamt im Einzelnen von der Polizei oder anderen Stellen Hinweise bezüglich der Familie von Jamie? Welchen Inhalt hatten diese Hinweise? Die am 20. März 2015 in den späten Abendstunden anlässlich eines Einsatzes „Tätlicher Streit zwischen Mann und Frau“ eingesetzten Polizeibeamten des örtlich zuständigen Polizeikommissariats fertigten nach dem Einsatz einen Bericht wegen Drucksache 21/409 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 des Verdachts der Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt. Die Polizei hat den Bericht über die Schnittstelle ComVor/JUS-IT am Montag, dem 23. März 2015, dem Jugendamt übersandt. Die Polizei schildert in dem Bericht den Ablauf des tätlichen Streits zwischen den alkoholisierten Eltern und beschreibt die von den Beamten in der Wohnung wahrgenommenen und für eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls sprechenden Gesamtumstände. Darüber hinaus weisen die Beamten darauf hin, dass sie bei dem von ihnen schlafend vorgefundenen Kind keinerlei Auffälligkeiten wahrgenommen haben. Der Bericht enthält den Hinweis, dass die Mutter selbst von einer bereits eingesetzten Hilfe des Jugendamtes durch eine Kinderkrankenschwester berichtete. Die Mutter machte auf die eingesetzten Polizeibeamten einen überforderten Eindruck und bat ausdrücklich um weitere Unterstützung durch das Jugendamt. Dem Jugendamt liegt ausschließlich diese Polizeimeldung vor. Erkenntnisse über andere Polizeieinsätze nach der Geburt des Kindes und vor der Verhaftung des Tatverdächtigen am 29. April 2015 liegen dem Jugendamt nicht vor. Darüber hinaus siehe Drs. 21/380 und Vorbemerkung. 2. Wie ging das Jugendamt mit den zugetragenen Informationen um? Sind Mitteilungen an den für den Fall Jamie zuständigen Sachbearbeiter erfolgt? Wenn ja, wann und in welcher Form? Gab es aufgrund von Mitteilungen der Polizei oder anderer Stellen Interventionen, zum Beispiel durch häufigere Kontrollbesuche bei der Familie? Eine Polizeimeldung geht automatisch über die Schnittstelle ComVor/JUS-IT im Gruppenpostfach des zuständigen ASD ein. Das Gruppenpostfach wird von der Geschäftsstelle eingesehen und die Meldung wird umgehend an die fallzuständige Fachkraft des ASD weitergeleitet. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. In dem Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Aufklärung der Vernachlässigung der Kindeswohlsicherung im Fall Yagmur durch staatliche Stellen und Erarbeitung von Empfehlungen zur Verbesserung des Kinderschutzes in Hamburg“ (Drs. 20/14100) sind Empfehlungen des Ausschusses zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ASD und Polizei enthalten. Wurden diese Empfehlungen im Jugendamt Mitte umgesetzt? Wenn ja, welche Maßnahmen wurden dazu genau wann ergriffen? Daneben schlug die Taskforce im genannten Untersuchungsausschuss vor, die Einrichtung einer zweiten Kinderschutzkoordinatorenstelle zu prüfen und ein Expertengremium auf Ebene der BASFI zu bilden, an das sich Fachkräfte bei der Übernahme problematischer Fälle zur Unterstützung wenden können. Ist ein solches Gremium in der Zwischenzeit eingerichtet worden? Die Empfehlung zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern Schule, freie Träger, Polizei, Einrichtungen der Kindertagesbetreuung zu kinderschutzrelevanten Themen wird seit Herbst 2014 im Bezirksamt Hamburg-Mitte unter anderem im Rahmen der Arbeit des bezirklichen „Netzwerk Kinderschutz“ praktisch umgesetzt. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat in seinem Abschlussbericht keine Empfehlung zur Einrichtung eines Expertengremiums ausgesprochen. Im Übrigen siehe Drs. 21/393.