BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4150 21. Wahlperiode 29.04.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 21.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Wie sieht die Entlastung Hamburgs bei den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen aus? Obwohl die Zahl der zu betreuenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ständig sinkt, Ende März waren es nur noch 1.498 Personen, erhöht der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) weiter sein Personal in diesem Bereich. Ende März waren 498,03 VZÄ mit der Betreuung der jungen Menschen befasst. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In Drs. 21/3806 betont der Senat, dass es derzeit keinen Personalüberhang beim LEB im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gäben würde. Das reine Zahlenverhältnis vermittelt allerdings den Eindruck , dass auf ein VZÄ drei Flüchtlinge kommen, was einem Betreuungsschlüssel entsprechen würde, von dem Krippen in Hamburg nur träumen können. Wie ist der wirkliche Betreuungsschlüssel und welchen strebt der LEB an? Die genannte Zahl von 498,03 VZÄ beinhaltet neben dem pädagogischen Betreuungspersonal in den Erstversorgungseinrichtungen und in den Einrichtungen, in denen speziell für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) Anschlusshilfen nach dem Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (SGB VIII) durchgeführt werden, auch Personal für Sprach- und Kulturmittlung, Leitung, Verwaltung und Hauswirtschaft. Ebenso sind in der genannten Anzahl auch Fachkräfte des Fachdienstes Flüchtlinge für die jugendamtlichen Aufgaben enthalten. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei der Unterbringung von UMF mit dem Personal ein 24-Stunden-Betrieb an sieben Tagen in der Woche sicherzustellen ist. In den rund um die Uhr betreuten Erstversorgungseinrichtungen gilt ein Betreuungsschlüssel von 1:3 als Zielwert (eine pädagogische Fachkraft: drei unbegleitete minderjährigen Flüchtlinge). Der aktuelle Betreuungsschlüssel in den Erstversorgungseinrichtungen beträgt 1:3,97 und liegt damit unterhalb des angestrebten Schlüssels von 1:3. Bei Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII als Anschlusshilfe ist der Betreuungsschlüssel abhängig von der Angebotsform und stellt sich wie folgt dar: - Ambulant Betreutes Wohnen (gemäß § 30 SGB VIII), 1:5,3 - Bezirkliche Jugendwohnung (gemäß § 30 SGB VIII), 1:9,08 - Jugendwohnung (gemäß § 34 SGB VIII) 1:2,4 - Pädagogisch Betreute Wohngruppe (gemäß § 34 SGB VIII/rund um die Uhr Betreuung), 1:2,01 Drucksache 21/4150 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der aktuelle Betreuungsschlüssel für diese Anschlusshilfen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung entspricht im Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) den festgelegten Standards. 2. Welche Aufgaben übernimmt der LEB bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge? Der LEB ist in Hamburg gemäß § 42 a beziehungsweise § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII für die Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und alle jugendamtlichen Aufgaben während der Inobhutnahme einschließlich ihrer Beendigung zentral zuständig. Der Fachdienst Flüchtlinge – beziehungsweise außerhalb der regelmäßigen täglichen Dienstzeiten der Ambulante Notdienst des Kinder- und Jugendnotdienstes (KJND) – trifft in der Rolle des zuständigen Jugendamtes die Entscheidung über eine vorläufige Inobhutnahme gemäß § 42 a Absatz 1 SGB VIII sowie über die Unterbringung der aufgenommenen Person. In der Regel erfolgt die Unterbringung in der Erstaufnahme des KJND, Mädchen beziehungsweise junge Frauen, Kinder sowie Minderjährige, für die dies aus individuellen Gründen kein geeigneter Betreuungsort ist, werden in anderen Einrichtungen untergebracht. Sofern die UMF gemäß § 42 (1) Nummer 3 SGB VIII in Obhut genommen werden und in Hamburg verbleiben, erfolgt die Aufnahme in der Regel in einer der Erstversorgungseinrichtungen . Dort werden die jungen Flüchtlinge versorgt und betreut; im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII wird eine Anschlusshilfe geplant. Für einen Verbleib nach der Inobhutnahme kommen in der Regel Hilfen zur Erziehung gemäß § 27 fortfolgende SGB VIII in einer Einrichtung nach § 34 oder 35 SGB VIII oder in einer ambulant betreuten Wohnform (§ 30 SGB VIII) oder Hilfen nach § 19 SGB VIII in Betracht. Diese Betreuung findet bei freien Trägern der Jugendhilfe statt, auch der LEB hält entsprechende Angebote vor. 3. Werktags besuchen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die Schule oder berufsvorbereitende Maßnahmen. Inwieweit ist hier auch Personal des LEB gebunden? Zu den Aufgaben im Rahmen der Erstversorgung gehören die Organisation des Alltags und die Unterstützung der Minderjährigen in allen Lebensbereichen, dazu zählt auch die Unterstützung in schulischen Angelegenheiten und die Begleitung des Bildungsweges . Durch die eigentliche Beschulung in Basis- beziehungsweise Vorbereitungsklassen an allgemeinbildenden Schulen oder in der Ausbildungsvorbereitung in den beruflichen Schulen oder gegebenenfalls in einer dualen Ausbildung wird kein Personal des LEB gebunden. 4. Immer mehr unbegleitete minderjährig eingereiste Flüchtlinge leben als Volljährige in Hilfen für junge Volljährige nach dem SGB VIII. Was genau beinhalten diese Hilfen in Bezug auf Unterkunft, Versorgung materieller und finanzieller Art und in Bezug auf die Betreuung? Die Ausgestaltung der Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII erfolgt analog der in der Jugendhilfe üblichen Angebotsformen und richtet sich nicht speziell an junge Flüchtlinge. Da jungen Flüchtlingen in der Regel eigener Wohnraum nicht zur Verfügung steht, beinhaltet die Hilfe die Bereitstellung von Wohnraum. Zu unterscheiden sind dabei ambulante und stationäre Formen: - Bei ambulant betreuten Wohnformen überlässt der betreuende Träger dem Betreuten den trägereigenen Wohnraum. Die materielle Versorgung, das heißt die Finanzierung des Wohnraums und des Unterhalts, erfolgt über Sozialleistungen (Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), SGB XII, SGB II). Die pädagogische Betreuung erfolgt als Jugendhilfeleistung. - Bei stationären Angeboten erfolgt die materielle und pädagogische Versorgung über das Leistungsentgelt nach § 78 b SGB VIII. Das heißt, dass der Träger der Maßnahme die volle Versorgung sicherstellen muss. Älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird aus dem Entgelt dann ein Betrag zur Selbstversorgung zusätzlich zum Barbetrag zur freien Verfügung („Taschengeld“) ausgezahlt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4150 3 In den Hilfen zur Erziehung und der Volljährigenhilfe als Folgeeinrichtungen wird die Hilfeplanung und Betreuung auf das Ziel ausgerichtet, das Recht auf Förderung der Entwicklung und Erziehung junger Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit sicherzustellen, und zwar durch - die Förderung der individuellen und sozialen Entwicklung, insbesondere in den Bereichen Alltagsbewältigung, Problemlösungsfähigkeit, Umgang mit den Sorgeberechtigten und Angehörigen, sofern sich diese in Deutschland aufhalten; - gezielte pädagogische Förderung, insbesondere in den Bereichen Bildung (Schule, berufliche Qualifikation), Gesundheit (zum Beispiel verantwortungsbewusster Umgang mit dem eigenen Körper) und soziale Integration; - Schutz von Jugendlichen und jungen Volljährigen vor Gefahren für ihr Wohl (zum Beispiel im Hinblick auf ein straf- und suchtfreies Leben); - Unterstützung der Privat- oder Amtsvormünder im Hinblick auftretender Erziehungsfragen sowie Unterstützung in aufenthaltsrechtlichen Fragen; Beratung und Unterstützung der Eltern, insbesondere mit dem Ziel einer qualitativen Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung, soweit sich Eltern ebenfalls in Deutschland aufhalten ; - einen Beitrag, positive Lebensbedingungen für Jugendliche und junge Volljährige zu schaffen, insbesondere durch die Erschließung sozialräumlicher Ressourcen, zum Beispiel durch Nutzung weiterer Unterstützungsangebote im Stadtteil. Für junge Flüchtlinge gilt im Besonderen, dass sie am Ende ihres Aufenthaltes in der Einrichtung - im Rahmen des Asylverfahrens oder sonstiger ausländerrechtlicher Aufenthaltsbestimmungen orientiert sind und ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen wissen ; - ausreichend Wissen über kulturelle, strukturelle und politische Zusammenhänge in ihrem Gastland erhalten haben; - weiterführende Unterstützungsangebote aufsuchen und nutzen können; - im Rahmen ausländerrechtlicher Möglichkeiten an Bildungsangeboten partizipieren ; - sowohl Organisationen des eigenen Kulturkreises als auch Angebote deutscher oder interkultureller Organisationen kennen und in der Lage sind, dort Kontakte zu knüpfen; - Optionen einer Rückkehr in ihr Heimatland durchdacht haben und diese Optionen in der Lebensplanung gegenwärtig sind. 5. Erhalten automatisch alle jungen Volljährigen unter den Flüchtlingen diese Hilfen? Wenn nein, warum nicht? Volljährigenhilfe nach § 41 SGB VIII wird ausschließlich auf Antrag des jungen Menschen gewährt. Sie soll für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann keine Hilfe gewährt werden. 6. Da die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aufgrund sinkender Zugangszahlen und dem Erreichen der Volljährigkeit vieler Minderjähriger zurückgeht: Ist geplant, Einrichtungen in Unterkünfte ausschließlich für junge Volljährige umzuwandeln? Wenn ja, welche, zu wann, mit jeweils wie vielen Plätzen und warum? Mit Wirkung vom 1. April 2016 wurde eine erste Erstversorgungseinrichtung (EVE 7, Cuxhavener Straße) mit 48 Plätzen in eine Einrichtung für junge volljährige Flüchtlinge umgewandelt. Ob weitere entsprechende Umwandlungen geprüft und realisiert wer- Drucksache 21/4150 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 den, ist abhängig von der Fallzahlentwicklung beim Zuzug unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge nach Hamburg, die derzeit nicht verlässlich prognostiziert werden kann.