BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4178 21. Wahlperiode 03.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 25.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Justizvollzug Hamburg 2020 In der Sitzung des Justizausschusses am 19. Februar 2016 präsentierte der Senat sein Modell eines zukunftsfähigen Hamburger Justizvollzugs „Justizvollzug Hamburg 2020“. Eines der diesem Modell zugrunde liegenden Strukturprobleme sei der akute Personalmangel, der schon jetzt zu nicht besetzten Dienstposten und deutlichen Leistungseinschränkungen im Justizvollzug führe . Daneben sei im Altbestand der JVA Hahnöfersand mit größerem Sanierungsaufwand zu rechnen. Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf, um eine tragfähige Vollzugsstruktur zu entwickeln, die den aktuellen Gegebenheiten einerseits und den Anforderungen an einen hochqualitativen, modernen Justizvollzug andererseits gerecht wird. Aus diesem Grund wurde vom Justizsenator eine aus fünf zusätzlichen Stellen bestehende Projektgruppe eingesetzt, die sich mehrere Jahre mit der Prüfung und Entwicklung eines Konzepts zum Ausbau der Kooperation mit Schleswig-Holstein im Bereich des Frauen- und des Jugendvollzuges zu einem länderübergreifenden Verbundsystem beschäftigen soll. Plan ist zudem, die Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand zu schließen; dies würde zu einer Personalbedarfsreduzierung führen. Allein die Personalkosten für dieses Projekt belaufen sich im ersten Jahr auf rund 430.000 Euro. Die notwendigen weiteren Mittel konnten im Dezember 2015 noch nicht einmal beziffert werden, Drs. 21/2595. In der Präsentation waren unter den Erwägungen zu einer Neustrukturierung (S. 6) dennoch Alternativen genannt: „A: Verbleib der JugendUH in der JVA Hahnöfersand, Kooperation im Übrigen“, „B. Jugendvollzug in Haus I der JVA Fuhlsbüttel“, „C: Neubau Jugendanstalt“. In Anbetracht der steigenden Gefangenenzahlen werden Hamburgs Haftplatzkapazitäten in der Untersuchungshaftanstalt, in der JVA Fuhlsbüttel, in der JVA Billwerder sowie in der Jugenduntersuchungshaft der JVA Hahnöfersand inzwischen äußerst knapp, wie die Antwort des Senats auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/3877 deutlich zeigt: Am 1. April 2016 waren - die Untersuchungshaftanstalt zu 101 Prozent, - die JVA Fuhlsbüttel zu 94 Prozent, - die JVA Billwerder zu 96 Prozent und - die Jugenduntersuchungshaft zu 100 Prozent belegt. Drucksache 21/4178 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Hinzu kommt, dass auch in Schleswig-Holstein die Zahl der jugendlichen und weiblichen Insassen stetig steigt. Am 6. April 2016 befanden sich dort 41 Frauen in Strafhaft und acht in Untersuchungshaft. Die erst im März neu eröffnete Teilanstalt für Frauen (TAF) in der JVA Billwerder umfasst 102 Haftplätze, von denen 54 durch Hamburger Frauen belegt waren, Drs. 21/3877. Bereits jetzt würden die Kapazitäten in der TAF also nicht ausreichen , um die weiblichen Gefangenen aus Schleswig-Holstein aufzunehmen. Vor demselben Problem steht Schleswig-Holstein im Hinblick auf die Kapazitäten für die Aufnahme von Hamburger Jugendstrafgefangenen in den Justizvollzugsanstalten Neumünster und Schleswig. Auch wenn der Justizsenator über seine Sprecherin gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ mitteilen ließ, es handele sich nur um „saisonale Schwankungen “, ist zu berücksichtigen, dass die flüchtlingsbedingte Zuwanderung zwangsläufig auch zu einem Anstieg der Gefangenenzahlen führen wird. Der Bundesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) äußerte deshalb bereits im vergangenen Herbst besorgt: „Bei einer prognostizierten Zuwanderung in Höhe von einer Million Menschen werden voraussichtlich in rund 30.000 Fällen Strafverfahren durchgeführt werden müssen, die erfahrungsgemäß zu rund 2.000 Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung führen werden. Für diese Fälle werden die Bundesländer zusätzliche Haftplatzkapazitäten vorhalten müssen.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie ist der aktuelle Sachstand zur Besetzung der Projektgruppe? Seit Projektbeginn nimmt ein zur Justizbehörde vorübergehend abgeordneter Jurist Aufgaben des Projekts wahr. Die Position der Projektleitung ist seit dem 1. Mai 2016 besetzt. Für die Position des Juristen beziehungsweise der Juristin, des Wirtschaftswissenschaftlers beziehungsweise der Wirtschaftswissenschaftlerin sowie des Koordinators beziehungsweise der Koordinatorin wurde jeweils eine Auswahl getroffen; eine zeitnahe Besetzung ist geplant. Die Besetzung der Position des Bauingenieurs/ Architekten beziehungsweise der Bauingenieurin/der Architektin ist intern zum 1. Mai 2016 erfolgt. 2. Wann hat die Projektgruppe ihre Arbeit aufgenommen? Ungeachtet der noch nicht vollständigen Besetzung der Projektgruppe wurde mit der Arbeit am 22. Januar 2016 begonnen. 3. Kann die zuständige Behörde die für das Projekt neben den Personalkosten notwendigen weiteren Mittel zwischenzeitlich beziffern und falls ja, wie hoch werden sie jährlich veranschlagt und wie untergliedern sie sich? Falls nein, weshalb nicht? Die weiteren Mittel für das Projekt wurden nicht konkret beziffert, da die Justizbehörde hier von einem geringen Betrag ausgeht. Derartige Sachkosten werden im laufenden Geschäft finanziert. 4. Wie lautet der konkrete Projektauftrag? a. Welche Kriterien sollen bei der Entwicklung des Konzepts im Einzelnen berücksichtigt werden? Im Rahmen der Einsetzungsverfügung wurden der Projektauftrag und die Kriterien wie folgt festgelegt: „Um die Handlungsfähigkeit des Hamburger Justizvollzuges auch mittel- und langfristig zu sichern, bedarf es einer grundlegenden organisatorischen Reform. Strukturelle Probleme vor dem Hintergrund gesunkener Belegungszahlen erschweren die Durchführung eines anspruchsvollen Justizvollzuges. Hinzu kommt der bereits heute deutli- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4178 3 che, sich in den kommenden Jahren noch verschärfende Personalmangel. Eine ausreichende Personalausstattung ist Voraussetzung für das Erreichen der Vollzugsziele. Um eine sachgerechte Resozialisierung der Gefangenen und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten auch künftig sicherzustellen, sind grundlegende organisatorische Veränderungen erforderlich. Ziel ist es, den Justizvollzug in Hamburg einer zukunftsfähigen Struktur zuzuführen, die einem hohen qualitativen Anspruch an die Erfüllung seiner Aufgaben gerecht wird. Vor diesem Hintergrund hat der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg am 15. Dezember 2015 beschlossen, die Justizbehörde zu beauftragen, eine Strukturverdichtung durch Schließung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand und Ausbau der Vollzugskooperation mit dem Land Schleswig-Holstein im Bereich des Frauen- und des Jugendvollzuges zu einem länderübergreifenden Verbundsystem zu prüfen. Vor dem dargestellten Hintergrund wird im Amt für Justizvollzug und Recht, Abteilung Justizvollzug, ein Projekt mit dem Ziel eingesetzt, I. ein Konzept für eine Vollzugsstruktur nach den oben genannten Maßgaben zu entwickeln und gegen Alternativen abzuwägen (Prüfungsphase) und II. im Falle der Entscheidung für die Realisierung des Konzepts die Durchführung vorzubereiten und zu begleiten (Umsetzungsphase).“ Im Übrigen siehe Drs. 21/2595 und 21/2913. b. Inwiefern werden auch die in der dem Justizausschuss vorgestellten Präsentation genannten Alternativen A bis C detailliert geprüft? Derzeit wird eine Kooperation mit dem Land Schleswig-Holstein auf dem Gebiet des Jugend- und Frauenvollzugs vertieft geprüft. Darüber hinaus erfolgt im Rahmen des Projekts auch die Prüfung möglicher Alternativen, darunter auch der genannten Alternativen A bis C. c. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 20/1466 gab der Senat an, dass die äußere und innere Grundinstandsetzung (insbesondere Dach, Fassade, Fenster, Heizung, Elektro, Sanitär und Sicherheitstechnik) des Hafthauses I der JVA Fuhlsbüttel 14 Millionen Euro kosten würde. i. Wie viele Haftplätze könnten mit dieser Sanierung geschaffen werden? Wie viele Haftplätze nach einer Grundsanierung zur Verfügung stehen, hängt von dem jeweiligen Nutzungskonzept und der baulichen Ausgestaltung ab. Eine konkrete Planung liegt derzeit dazu nicht vor. ii. Wäre es möglich, dort sowohl den geschlossenen Jugendvollzug , die Jugenduntersuchungshaft sowie/oder den Jugendarrest unterzubringen? Falls nein, weshalb nicht? Dies wird im Rahmen des Projekts geprüft. iii. Wie viele Freistundenhöfe, Sportstätten und Räumlichkeiten für Betriebe sind im Bereich des Hafthauses I der JVA Fuhlsbüttel zurzeit ungenutzt? Derzeit werden drei Freistundenhöfe nicht genutzt. Nutzbare Sportstätten sind nicht vorhanden. Alle Räumlichkeiten für Betriebe im Bereich des Hauses I werden entsprechend genutzt. d. Welche Flächen kämen für den unter Alternative C. genannten Neubau einer Jugendanstalt in Betracht? Dies wird im Rahmen des Projekts geprüft. 5. Wie beurteilt die zuständige Behörde den Umstand, dass die Kapazitäten der TAF bereits jetzt nicht ausreichen, um alle weiblichen Insassen Drucksache 21/4178 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 (geschlossener Vollzug/Untersuchungshaft) aus Schleswig-Holstein aufzunehmen ? a. Welche Möglichkeiten sieht sie, um die Haftplatzkapazitäten der TAF zu erweitern? b. Ist es von der jetzt vorhandenen Fläche her möglich, auf dem Gelände der JVA Billwerder ein weiteres Gebäude für den Frauenvollzug zu errichten? Dies wird im Rahmen des Projekts geprüft. Im Übrigen siehe Drs. 21/2252 und 21/1723. c. Ist es von der jetzt vorhandenen Fläche her möglich, auf dem Gelände der JVA Billwerder zusätzlich die vom Senator favorisierte Jugenduntersuchungshaftanstalt zu errichten? Dies wird im Rahmen des Projekts geprüft. Im Übrigen siehe Drs. 21/2595. d. Welche Kosten würden in etwa voraussichtlich i. durch den Bau einer Jugenduntersuchungshaftanstalt, ii. durch eine für den Fall der Übernahme der Frauen aus Schleswig -Holstein vermutlich erforderliche Erweiterung der Haftplatzkapazitäten der TAF entstehen und welches Land würde die Kosten für eine etwaige Erweiterung der TAF tragen? Siehe Antworten zu 5. bis 5. b. sowie 5. c. 6. Wie hoch ist der aktuelle Tageshaftkostensatz jeweils im Frauen- und im Jugendvollzug? Der aktuelle Tageshaftkostensatz im Justizvollzug beträgt 173,84 Euro. Für den Jugend- und Frauenvollzug wird kein eigener Tageshaftkostensatz ermittelt. 7. Gibt es neue Erkenntnisse aus den Gesprächen mit Schleswig-Holstein im Hinblick auf die Frage der Übernahme der hamburgischen Jugendstrafgefangenen ? Falls ja, welche und seit wann? Nein. 8. Nach Angaben der Justizbehörde soll die Schließung einer Anstalt zu einer wesentlichen Personalreduzierung führen. a. Wie viel Personal in welchen konkreten Bereichen würde dadurch tatsächlich eingespart werden? Bitte eingesparte VZÄ pro Bereich/ Dienstposten angeben. b. Wie viel Personal in welchen konkreten Bereichen würde für eine, wie in den Planungen des Senators favorisierte, in der JVA Billwerder neu zu errichtende Jugenduntersuchungshaftanstalt benötigt werden? Bitte VZÄ pro Bereich/Dienstposten angeben. c. Würde die Schaffung einer Jugenduntersuchungshaftanstalt auf dem Gelände der JVA Billwerder die Errichtung einer zweiten Pforte erfordern? Dies wird im Rahmen des Projekts geprüft. 9. Nach Angaben der Justizbehörde führt der akute Personalmangel im Bereich des AVD schon jetzt zu nicht besetzten Dienstposten und deutlichen Leistungseinschränkungen im Justizvollzug. a. Wie viele Dienstposten waren seit April 2015 jeweils monatlich insgesamt in den einzelnen Justizvollzugsanstalten Hamburgs nicht besetzt? (Sofern der Senat aus zwingenden Sicherheitsgründen an Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4178 5 der Beantwortung der Frage im Hinblick auf die einzelnen Justizvollzugsanstalten gehindert ist, wird um entsprechenden Hinweis und um Angabe der nicht besetzten Dienstposten pro Monat über alle Justizvollzugsanstalten hinweg gebeten.) Bei der Besetzung der Dienstposten sind die Dienstposten des Tagesdienstes (Frühund Spätdienst) und des Nachtdienstes montags bis freitags sowie die Besetzung der Dienstposten am Wochenende sowie feiertags differenziert zu betrachten. Hierfür müssten die Dienstpläne aller Justizvollzugsanstalten an sämtlichen Tagen seit April 2015 ausgewertet werden, mithin über 2.190 Dienstpläne. Dies in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . b. Wie häufig waren seit April 2015 Schichten jeweils in den einzelnen Justizvollzugsanstalten mit weniger als 50 Prozent der vorgesehenen AVD-Sollstärke besetzt? (Sofern der Senat aus zwingenden Sicherheitsgründen an der Beantwortung der Frage im Hinblick auf die einzelnen Justizvollzugsanstalten gehindert ist, wird um entsprechenden Hinweis und um Angabe der Unterschreitung pro Monat über alle Justizvollzugsanstalten hinweg gebeten). An keinem Tag. c. Welche deutlichen Leistungseinschränkungen im Justizvollzug wurden wann bereits vorgenommen? Einschränkungen im Justizvollzug sind spürbar, führen aber nicht zu erheblichen Einschränkungen im alltäglichen Ablauf des Justizvollzugs. In der Regel stellen sie sich anstaltsbezogen stunden- oder tageweise dar. Die Einschränkungen werden nicht systematisch erfasst, sie betreffen aber unter anderem die Ausgestaltung der Beaufsichtigung von Gefangenen auf den Stationen, der Stationsfreizeit und der Freizeitangebote der Gefangenen, die Anzahl der Angebote des Sozialen Trainings, der Arbeitsbetriebe, von Ausführungen und begleiteten Ausgängen und von Besuchen der Gefangenen.