BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4262 21. Wahlperiode 06.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 28.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Neuer Justizskandal: Sicherungsverwahrter wegen Untätigkeit der JVA auf freiem Fuß Am 26. April 2016 hat das Hanseatische Oberlandesgericht über die Entlassung des 50-jährigen Sicherungsverwahrten B. entschieden, der im Jahre 2004 unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde. Die Sicherungsverwahrung dient dazu, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen; sie knüpft nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe einzig und allein an die Gefährlichkeit des Straftäters für die Allgemeinheit an. Während das Gericht nach der Pressemitteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts seine Entscheidung darauf stützte, dass es bis März 2016 nicht gelungen sei, eine kontinuierliche und tragfähige psychotherapeutische Behandlung des Untergebrachten außerhalb der Anstalt einzurichten, versucht der Justizsenator dies mit unterschiedlichen Auffassungen bei der Abwägung von Resozialisierungsmaßnahmen und Sicherheitsbelangen herunterzuspielen. Nachdem bereits im vergangenen Jahr verurteilte Straftäter wegen überlanger Verfahrensdauern aus der Haft entlassen werden mussten, reiht sich dieser Vorfall in die traurige Folge der Justizskandale unter Senator Steffen ein. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie lautete der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27. März 2015 konkret? Ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 27. März 2015 ist nicht bekannt. Das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) hat in seiner Entscheidung vom 27. März 2015 die Entscheidung des Landgericht Hamburg (LG Hamburg) vom 29. Januar 2015 zur Fortdauer der Unterbringung von B. in der Sicherungsverwahrung bestätigt , den Beschluss jedoch dahin gehend abgeändert, dass die Behandlung durch einen anderen, namentlich benannten Psychotherapeuten erfolgen soll. Hintergrund war, dass der vom LG Hamburg am 29. Januar 2015 namentlich benannte Psychotherapeut die Übernahme der Behandlung zwischenzeitlich abgelehnt hatte. Die JVA Fuhlsbüttel sollte es bis zum 24. April 2015 ermöglichen, bei dem namentlich benannten Psychotherapeuten in seinen Praxisräumen eine psychotherapeutische Behandlung zu ermöglichen. Eine unmittelbare Überwachung durch Vollzugsbedienstete im Therapieraum hat das Gericht dabei ausgeschlossen. Drucksache 21/4262 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Welche Maßnahmen wurden daraufhin jeweils wann von wem ergriffen? Die Aufarbeitung des gesamten Verfahrens einschließlich der internen Abläufe im Vorfeld der Entlassungsentscheidung ist Gegenstand einer Untersuchung, mit deren Durchführung die Leiterin der Personalabteilung der zuständigen Behörde beauftragt wurde. Begrenzt auf die Abläufe in der JVA Fuhlsbüttel kann als vorläufiger Erkenntnisstand mitgeteilt werden: Nach Eingang des Beschlusses des HansOLG vom 27. März 2015 hat die zuständige Vollzugsabteilungsleitung am 8. April 2015 dem Psychotherapeuten den Entwurf eines Behandlungsvertrages übersandt. Der unterzeichnete Vertrag wurde am 13. April 2015 an die Anstalt zurückgesandt. Am 15. April 2015 fand eine Besichtigung der Örtlichkeiten der Praxisgemeinschaft des Psychotherapeuten durch die zuständige Vollzugsabteilungsleitung und die Leitung der Revisionsabteilung der JVA Fuhlsbüttel statt. Die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht von B. während der Therapiesitzung wurden festgelegt. Dazu gehörten die Beaufsichtigung des Umfeldes durch drei Bedienstete, wenn ein Bediensteter vor dem Therapieraum postiert wird, beziehungsweise die Beaufsichtigung durch fünf Bedienstete, wenn dies nicht der Fall ist. Am selben Tag teilte der Psychotherapeut der JVA Fuhlsbüttel mit, dass die Anwesenheit eines Bediensteten vor der Tür des Therapieraums für ihn nicht in Betracht komme. Am 17. April 2015 informierte der Psychotherapeut die Anstalt, dass die Anwesenheit von fünf Bediensteten im Umfeld der Praxis von seinen in der Praxisgemeinschaft tätigen Kolleginnen und Kollegen nicht akzeptiert wird. Ebenfalls am 17. April 2015 versuchte der Psychotherapeut, B. in einem persönlichen Gespräch davon zu überzeugen, die Sitzungen zunächst in der JVA Fuhlsbüttel stattfinden zu lassen, was von B. abgelehnt wurde. Am 23. April 2015 berichtete die JVA Fuhlsbüttel dem LG Hamburg, dass der Beschluss des HansOLG vom 27. März 2015 wegen der Weigerung des Psychotherapeuten nicht umgesetzt werden könne. Darüber hinaus haben im Weiteren verschiedene Maßnahmen der JVA Fuhlsbüttel und des Psychotherapeuten stattgefunden, um B., der im Übrigen regelmäßig in die Abläufe und Kommunikationsangebote der Abteilung für Sicherungsverwahrte der JVA Fuhlsbüttel eingebunden war, die geforderte Psychotherapie zu ermöglichen. So haben insbesondere der Rechtsanwalt von B. und der Leiter der JVA Fuhlsbüttel versucht , B. in persönlichen Gesprächen für eine Aufnahme der Therapie in der JVA Fuhlsbüttel zu gewinnen. Der Psychotherapeut hatte sich bereits ausdrücklich für diese Option ausgesprochen, die aber von. B. weiterhin abgelehnt wurde. 3. Aus welchem Grund hat welche Stelle wann entschieden, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer, mit dem die Justizvollzugsanstalt verpflichtet wurde, dem Untergebrachten bis zum 24. April 2015 eine therapeutische Behandlung in den Praxisräumen eines externen Therapeuten zu ermöglichen, nicht umzusetzen? Im Beschluss des HansOLG vom 27. März 2015 wurde die JVA Fuhlsbüttel verpflichtet , dem Untergebrachten zu ermöglichen, bis zum 24. April 2015 eine Psychotherapie in der Praxisgemeinschaft eines namentlich benannten Psychotherapeuten aufzunehmen . Dabei blieb die JVA Fuhlsbüttel allein für die Gewährleistung der ausreichenden Sicherungsmaßnahmen verantwortlich. Das HansOLG konnte vor dem Hintergrund der gesetzlichen Aufgabenverteilung allein über die erforderlichen Therapiemaßnahmen entscheiden. Der Psychotherapeut lehnte dann allerdings unter den von der JVA Fuhlsbüttel vorausgesetzten Sicherungsmaßnahmen eine Therapie in seinen Räumen ab. B. wiederum lehnte eine Therapie in den Räumen der JVA Fuhlsbüttel ebenso ab wie im weiteren zeitlichen Verlauf von der JVA Fuhlsbüttel unterbreitete Behandlungsangebote . So fanden in der Zeit zwischen dem 30. Juni 2015 und dem 15. Juli 2015 mehrere erfolglose Gespräche zwischen der Anstaltsleitung der JVA Fuhlsbüttel und B. über Therapiegespräche in der Anstalt statt. Am 9. September 2015 und 21. Januar 2016 versuchte der Psychologische Dienst der JVA Fuhlsbüttel vergeblich, B. für die Teilnahme an einer Behandlungsgruppe für Sicherungsverwahrte zu gewinnen. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4262 3 4. Welche psychologische/psychiatrische Betreuung hat der Untergebrachte seit Beginn seiner Sicherungsverwahrung im Jahre 2008 erhalten? B. hat die Sicherungsverwahrung am 20. August 2008 angetreten. Zeitraum Betreuungsmaßnahme 08/2010 – 06/2012 Regelmäßige Einzelgespräche mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 08/2012 – 05/2013 Behandlung durch einen externen Psychotherapeuten in der JVA Fuhlsbüttel; die Psychotherapie konnte letztlich nicht fortgeführt werden, da der Psychotherapeut aufgrund eigener Entscheidung andere berufliche Schwerpunkte setzte 06/2012 – 04/2014 Regelmäßige Einzelgespräche mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 09.07.2014 Motivationsgespräch mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 02/2015 Kontakte zu einem weiteren externen Psychotherapeuten mit dem Ziel einer Behandlung in der JVA Fuhlsbüttel; eine Behandlungsvereinbarung kam nicht zustande, weil der Therapeut seine Bereitschaft zur Übernahme der Behandlung zurückzog seit 08.05.2015 fortlaufend bis zur Entlassung am 02.05.2016 Regelmäßige motivierende und stabilisierende Einzelgespräche mit einem Psychologen der JVA Fuhlsbüttel im Abstand von zwei Wochen seit 10.03.2016 bis zur Entlassung am 02.05.2016 Psychotherapie außerhalb der JVA Fuhlsbüttel 5. Befand er sich – zwischenzeitlich – auch in der Sozialtherapeutischen Anstalt? Falls ja, von wann bis wann? Falls nein, weshalb nicht? B. befand sich während des Vollzuges der vorangegangenen Freiheitsstrafe von April 2007 bis Dezember 2007 als Sexualstraftäter gemäß § 10 Absatz 1 Hamburgisches Strafvollzugsgesetz in der Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Fuhlsbüttel. Die Unterbringung in der Sozialtherapie musste beendet werden, weil B. nicht über die erforderliche Therapiebereitschaft und -fähigkeit verfügte. Im Anschluss war B. in einer Station für Gefangene mit langen Freiheitsstrafen untergebracht , die aufgrund ihrer Straftaten für die Sozialtherapie vorgesehen, dafür aber nicht beziehungsweise noch nicht geeignet sind. Ein Antrag von B. vom 14. Januar 2010 auf eine erneute Aufnahme in die Sozialtherapie wurde mit dem Hinweis auf seine mangelnde Therapiefähigkeit abgelehnt. Im weiteren Verlauf der Sicherungsverwahrung wurde eine erneute Verlegung in die Sozialtherapeutische Anstalt von B. abgelehnt. 6. In der Mitteilung der Pressestelle des Senats heißt es, dass es unterschiedliche Auffassungen bei der Abwägung von Resozialisierungsmaßnahmen und Sicherheitsbelangen zwischen JVA Fuhlsbüttel und Gericht gegeben habe. Welche unterschiedlichen Auffassungen wurden jeweils wann vertreten? Am 27. März 2015 hat das HansOLG entschieden, dass die JVA Fuhlsbüttel es B. bis zum 24. April 2015 zu ermöglichen hat, in den Praxisräumen eines namentlich benannten Psychotherapeuten eine psychotherapeutische Behandlung, beginnend mit den üblichen probatorischen Sitzungen, aufzunehmen. Während das HansOLG die Sicherheitsbedenken der JVA Fuhlsbüttel bei der Anhörung des Untergebrachten am 18. März 2015 nicht in vollem Umfang teilte und das LG Hamburg in seinem Beschluss vom 23. Februar 2016 die Sicherheitsanforderungen der JVA Fuhlsbüttel an die Durchführung der Therapie in den Praxisräumen des Psychotherapeuten für deutlich überzogen hielt, war nach Maßgabe der JVA Fuhlsbüttel Drucksache 21/4262 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 bei B. von einem hohen Fluchtrisiko auszugehen. Die JVA Fuhlsbüttel teilte hier die Auffassung des Sachverständigengutachtens vom 8. August 2014, dass bei B. in Bezug auf einzeltherapeutische Sitzungen außerhalb der Anstalt in der derzeitigen Situation eine hohe Flucht- und Missbrauchsgefahr angenommen werden müsse. Der Sachverständige sprach die Empfehlung aus, Ausführungen zur Therapie nur dann zu ermöglichen, wenn das Therapiezimmer des Therapeuten keine Flucht ermöglicht. Die JVA hat daher entschieden, die Therapiegespräche nur zu ermöglichen, wenn während der Therapiesitzung potenzielle Fluchtwege in der Praxis abgesichert sind. Die vorgesehene Überwachung des Umfelds der Praxisräume mit mehreren Bediensteten wurde wiederum von dem Psychotherapeuten abgelehnt. Das Angebot des Psychotherapeuten , die Sitzungen in der Anfangsphase stattdessen in der Anstalt durchzuführen , wurde von B. nicht angenommen. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 7. Wann wurde die Behördenleitung über den Vorfall informiert und was hat sie daraufhin veranlasst? Im Vorfeld der Entscheidung des HansOLG vom 27. März 2015 hat es im Februar und März 2015 mehrere Gespräche über den Fall mit der damaligen Behördenleitung gegeben. Am 24. Februar 2016 erfuhr die Staatsrätin der zuständigen Behörde von einem Richter , dass in einer Strafvollstreckungssache angeblich die Entlassung eines Sicherungsverwahrten wegen fehlender Therapie drohe. Hierüber informierte sie am 25. Februar 2016 den Leiter des Präsidialstabs der zuständigen Behörde, der daraufhin den Leiter des Amtes für Justizvollzug und Recht um einen kurzfristigen Bericht im anstehenden Jour fixe mit der Behördenleitung bat. Dies geschah am 1. März 2016 durch den stellvertretenden Leiter des Amtes für Justizvollzug und Recht. Dabei informierte er über den am 1. März 2016 in der Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde eingegangenen Entlassungsbeschluss des LG Hamburg vom 23. Februar 2016. Es wurde daraufhin sichergestellt, dass gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt wird, B. in den neuen Praxisräumen des genannten Psychotherapeuten behandelt wird und zugleich alle Vorbereitungen für den Fall getroffen werden, dass das HansOLG die Entlassung von B. bestätigt. 8. Wann wird die Entlassung des Sicherungsverwahrten erfolgen? B. wurde am 2. Mai 2016 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. 9. Wie wird gewährleistet, dass er nicht gegen das Verbot, mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten, verstößt? B. untersteht der Führungsaufsicht und der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Darüber hinaus hat das Gericht weitere Weisungen beschlossen. B. wurde für die Dauer der Führungsaufsichtszeit der Aufsicht und Leitung einer besonderen Abteilung der Bewährungshilfe unterstellt, zu der er regelmäßig persönlich Kontakt halten muss. Der Konsum von Alkohol und Suchtmitteln wurde ihm verboten, und er hat sich vom Gericht angeordneten Alkohol- und Suchtmittelkontrollen zu unterziehen. Weiter hat B. die in der Sicherungsverwahrung begonnene Psychotherapie bei dem namentlich benannten Psychotherapeuten fortzusetzen. 10. Wie, durch wen und in welchen Abständen wird sein Aufenthaltsort mittels der elektronischen Fußfessel überprüft? Die Aufzeichnung der Daten aus der elektronischen Fußfessel erfolgt bei der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD). Es findet eine laufende Erfassung statt, wobei es im Fall eines Verstoßes gegen die zu erlassende Gebietsverbotsanweisung, bei Abnahme der Fußfessel oder bei technischen Problemen zur Auslösung einer Ereignismeldung kommen würde. Die Ereignismeldung wird von der HZD an die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder (GÜL) übermittelt. Die GÜL entscheidet , ob der Proband kontaktiert oder polizeiliche Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4262 5 11. Welche Maßnahmen ergreift die zuständige Behörde konkret, um derartige Vorfälle künftig zu vermeiden? Der Informationsaustausch zwischen der Fachabteilung der zuständigen Behörde und der JVA Fuhlsbüttel wurde intensiviert. In ähnlich gelagerten Fällen werden künftig die betroffene JVA und die Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde gemeinsam prüfen , wie im konkreten Fall zu verfahren ist. Als Sofortmaßnahme werden die Vollzugsplanstände der Sicherungsverwahrten monatlich von der JVA Fuhlsbüttel und der Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde in einer gemeinsamen Besprechung erörtert. Darüber hinaus wurde angeordnet, dass die JVA Fuhlsbüttel sämtliche Gerichtsbeschlüsse, die Sicherungsverwahrte betreffen, ab sofort an die Aufsichtsabteilung übersendet. Über weitere Konsequenzen wird die zuständige Behörde auf Grundlage der laufenden Untersuchung entscheiden, siehe Antwort zu 2.