BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4265 21. Wahlperiode 06.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 28.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Justizskandal – Entlassung eines Sicherungsverwahrten wirft viele Fragen auf Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hat entschieden, dass der Sicherungsverwahrte Thomas B. aus der Unterbringung zu entlassen ist. Er war unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu vier Jahren und sechs Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Die JVA Fuhlsbüttel soll ihrer Pflicht nicht nachgekommen sein, Thomas B. die Teilnahme an einer angemessenen therapeutischen Behandlung zu ermöglichen. Damit der Resozialisierungsgedanke nicht gefährdet wird, müssen die offenstehenden Fragen sehr schnell beantwortet werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie kam es im Fall Thomas B. zu unterschiedlichen Auffassungen bei der Abwägung von Resozialisierungsmaßnahmen und Sicherheitsbelangen ? Am 27. März 2015 hat das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) entschieden, dass die Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel es B. bis zum 24. April 2015 zu ermöglichen hat, in den Praxisräumen eines namentlich benannten Psychotherapeuten eine psychotherapeutische Behandlung, beginnend mit den üblichen probatorischen Sitzungen, aufzunehmen. Während das HansOLG die Sicherheitsbedenken in dem von der JVA Fuhlsbüttel besorgten Umfang bei der Anhörung des Untergebrachten am 18. März 2015 nicht teilte und das Landgericht (LG) Hamburg in seinem Beschluss vom 23. Februar 2016 die Sicherheitsanforderungen der JVA Fuhlsbüttel an die Durchführung der Therapie in den Praxisräumen des Psychotherapeuten für überzogen hielt, war nach Maßgabe der JVA Fuhlsbüttel bei B. von einem hohen Fluchtrisiko auszugehen. Die JVA Fuhlsbüttel teilte hier die Auffassung des Sachverständigengutachtens vom 8. August 2014, dass bei B. in Bezug auf einzeltherapeutische Sitzungen außerhalb der Anstalt in der derzeitigen Situation eine hohe Flucht- und Missbrauchsgefahr angenommen werden müsse. Der Sachverständige sprach die Empfehlung aus, Ausführungen zur Therapie nur dann zu ermöglichen, wenn das Therapiezimmer des Therapeuten keine Flucht ermöglicht. Die JVA hat daher entschieden, die Therapiegespräche nur zu ermöglichen, wenn während der Therapiesitzung potenzielle Fluchtwege in der Praxis abgesichert sind. Die vorgesehene Überwachung des Umfelds der Praxisräume mit mehreren Bediensteten wurde wiederum von dem Psychotherapeuten abgelehnt. Das Angebot des Psychotherapeuten , die Sitzungen in der Anfangsphase stattdessen in der Anstalt durchzuführen , wurde von B. nicht angenommen. Drucksache 21/4265 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Aus welchen Gründen sah sich die JVA Fuhlsbüttel außerstande, Thomas B. eine angemessene therapeutische Behandlung, wie angeordnet , zukommen zu lassen? Warum wurde keine gerichtliche Entscheidung hierüber einholt? Im Beschluss des HansOLG vom 27. März 2015 wurde die JVA Fuhlsbüttel verpflichtet , dem Untergebrachten zu ermöglichen, bis zum 24. April 2015 eine Psychotherapie in der Praxisgemeinschaft eines namentlich benannten Psychotherapeuten und Psychotherapie aufzunehmen. Dabei blieb die JVA Fuhlsbüttel allein für die Gewährleistung der ausreichenden Sicherungsmaßnahmen verantwortlich. Das HansOLG konnte vor dem Hintergrund der gesetzlichen Aufgabenverteilung allein über die erforderlichen Therapiemaßnahmen entscheiden. Der Psychotherapeut lehnte dann allerdings unter den von der JVA Fuhlsbüttel vorausgesetzten Sicherungsmaßnahmen eine Therapie in seinen Räumen ab. B. wiederum lehnte eine Therapie in den Räumen der JVA Fuhlsbüttel ebenso ab wie im weiteren zeitlichen Verlauf von der JVA Fuhlsbüttel unterbreitete Behandlungsangebote . In der Zeit zwischen dem 30. Juni 2015 und dem 15. Juli 2015 fanden mehrere erfolglose Gespräche zwischen der Anstaltsleitung der JVA Fuhlsbüttel und B. über Therapiegespräche in der Anstalt statt. Am 9. September 2015 und 21. Januar 2016 versuchte der Psychologische Dienst der JVA Fuhlsbüttel vergeblich, B. für die Teilnahme an einer Behandlungsgruppe für Sicherungsverwahrte zu gewinnen. Im Übrigen ist das gesamte Verfahren einschließlich der internen Abläufe Gegenstand einer Untersuchung, mit deren Durchführung die Leiterin der Personalabteilung der zuständigen Behörde beauftragt wurde. 3. Inwieweit hatte der Justizsenator von dem Vorfall Kenntnis? Wenn nein, warum nicht? Im Vorfeld der Entscheidung des HansOLG vom 27. März 2015 hat es im Februar und März 2015 mehrere Gespräche über den Fall mit der damaligen Behördenleitung gegeben. Am 24. Februar 2016 erfuhr die Staatsrätin der zuständigen Behörde von einem Richter , dass in einer Strafvollstreckungssache angeblich die Entlassung eines Sicherungsverwahrten wegen fehlender Therapie drohe. Hierüber informierte sie am 25. Februar 2016 den Leiter des Präsidialstabs der zuständigen Behörde, der daraufhin den Leiter des Amtes für Justizvollzug und Recht um einen kurzfristigen Bericht im anstehenden Jour fixe mit der Behördenleitung bat. Dies geschah am 1. März 2016 durch den stellvertretenden Leiter des Amtes für Justizvollzug und Recht. Dabei informierte er über den am 1. März 2016 in der Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde eingegangenen Entlassungsbeschluss des LG Hamburg vom 23. Februar 2016. 4. Ab welchem Zeitpunkt befand sich beziehungsweise befindet sich Thomas B. in Therapie? Wer beziehungsweise welche zuständige Stelle hat diese seit wann angeordnet? Wurde im Fall Thomas D. eine Sozialtherapie angeordnet? Von April 2007 bis Dezember 2007 befand sich B. gemäß § 10 Absatz 1 Hamburgisches Strafvollzugsgesetz von Gesetzes wegen in der früheren Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Fuhlsbüttel. Die Unterbringung in der Sozialtherapie musste beendet werden, weil B. nicht über die erforderliche Therapiebereitschaft und -fähigkeit verfügte. Von August 2012 bis Mai 2013 wurde B. im Wege der Vollzugsplanung gemäß § 7 Hamburgisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (HmbSVVollzG) von einem externen Therapeuten in der JVA Fuhlsbüttel behandelt. Mit Beschluss vom 8. August 2013 hat das LG Hamburg der JVA Fuhlsbüttel auferlegt, die einzeltherapeutische Behandlung von B. durch einen namentlich benannten externen Psychotherapeuten in der JVA Fuhlsbüttel fortzusetzen, eine suchttherapeutische Behandlung von B. einzuleiten und B. eine Anti-Depressions-Behandlung anzubieten. Die Behandlung bei dem Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4265 3 hier benannten Psychotherapeuten konnte letztlich nicht fortgesetzt werden, weil dieser aufgrund eigener Entscheidung andere berufliche Schwerpunkte setzte und er dafür nicht mehr zur Verfügung stand. Vom 10. März 2016 bis zu seiner Entlassung am 2. Mai 2016 hat B. an sechs probatorischen Sitzungen zur Anbahnung einer langfristig angelegten Einzeltherapie bei einem Psychotherapeuten teilgenommen (Beschluss Hans OLG vom 27. März 2015). Nach Antritt der Sicherungsverwahrung am 20. August 2008 hat B. im Rahmen der Vollzugsplanung gemäß § 7 HmbSVVollzG zudem an den folgenden Maßnahmen teilgenommen: Zeitraum Betreuungsmaßnahme 08/2010 – 06/2012 Regelmäßige Einzelgespräche mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 08/2012 – 05/2013 Behandlung durch einen externen Psychotherapeuten in der JVA Fuhlsbüttel; die Psychotherapie konnte letztlich nicht fortgeführt werden, da der Psychotherapeut aufgrund eigener Entscheidung andere berufliche Schwerpunkte setzte 06/2012 – 04/2014 Regelmäßige Einzelgespräche mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 09.07.2014 Motivationsgespräch mit einer Psychologin der JVA Fuhlsbüttel 02/2015 Kontakte zu einem weiteren externen Psychotherapeuten mit dem Ziel einer Behandlung in der JVA Fuhlsbüttel; eine Behandlungsvereinbarung kam nicht zustande, weil der Therapeut seine Bereitschaft zur Übernahme der Behandlung zurückzog seit 08.05.2015 fortlaufend bis zur Entlassung am 02.05.2016 Regelmäßige motivierende und stabilisierende Einzelgespräche mit einem Psychologen der JVA Fuhlsbüttel im Abstand von zwei Wochen seit 10.03.2016 bis zur Entlassung 02.05.2016 Psychotherapie außerhalb der JVA Fuhlsbüttel 5. Warum hat am 29. Februar 2016 die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts die von der JVA Fuhlsbüttel geforderte strikte Überwachung der Therapie in Frage zu stellen? Warum wurde dem Thomas B. nicht genug Betreuung angeboten? Das Gericht hielt die Sicherheitsanforderungen der JVA Fuhlsbüttel an die Durchführung der Therapie in den Praxisräumen des Psychotherapeuten für überzogen. Das Gericht verwies dabei insbesondere auf die beanstandungsfrei verlaufenen Ausführungen von B. unter Aufsicht eines Bediensteten. Nach Auffassung der JVA Fuhlsbüttel war es angesichts des Umstandes, dass B. in dem Therapieraum nicht wie bei den anderen Ausführungen ständig und unmittelbar beaufsichtigt werden konnte, erforderlich , dass alle potenziellen Fluchtwege durch Bedienstete besetzt werden. Dabei ist die JVA Fuhlsbüttel allein für die Gewährleistung der ausreichenden Sicherungsmaßnahmen verantwortlich. Das Gericht konnte vor dem Hintergrund der gesetzlichen Aufgabenverteilung allein über die erforderlichen Therapiemaßnahmen entscheiden. 6. Seit wann genau war Thomas B. in Sicherungsverwahrung und welche Maßnahmen wurden bis zur Entscheidung über seine Therapie angeordnet ? B. befand sich seit dem 20. August 2008 in der Sicherungsverwahrung. Mit Beschluss vom 8. August 2013 gab das LG Hamburg der JVA Fuhlsbüttel auf, die laufende einzeltherapeutische Behandlung von B. durch einen externen Therapeuten in der JVA Fuhlsbüttel fortzusetzen, eine suchttherapeutische Behandlung einzuleiten und B. eine Anti-Depressions-Behandlung anzubieten. Mit Beschluss vom 29. Januar 2015 ordnete das LG Hamburg die einzeltherapeutische Behandlung durch einen anderen externen Psychotherapeuten an. Drucksache 21/4265 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Mit Beschluss des HansOLG vom 27. März 2015 wurde der JVA Fuhlsbüttel auferlegt, B. bis zum 24. April 2015 eine psychotherapeutische Behandlung in den Praxisräumen eines namentlich benannten Psychotherapeuten, beginnend mit den üblichen probatorischen Sitzungen, zu ermöglichen. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 7. Seit wann wurden welche Lockerungsmaßnahmen bei Thomas B. angeordnet ? B. wurden seit Juli 2012 gemäß § 13 Absatz 3 HmbSVVollzG erste Lockerungsmaßnahmen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit bewilligt. Die Ausführungen dauerten bis zu drei Stunden. B. wurde dabei ungefesselt von einem Bediensteten in Zivil begleitet und befand sich dabei ständig unter Aufsicht. 8. Was wird Senator Steffen nun konkret tun, um bei solchen Verfahren einen besseren Austausch aller Beteiligten als bisher zu gewährleisten? 9. Was wird Senator Steffen unternehmen, damit die Justizbehörde die JVA Fuhlsbüttel bei der Planung und Umsetzung von Resozialisierungsmaßnahmen für Sicherungsverwahrte künftig enger begleitet (bitte genau erklären)? Der Informationsaustausch zwischen der Fachabteilung der zuständigen Behörde und der JVA Fuhlsbüttel wurde intensiviert. In ähnlich gelagerten Fällen werden künftig die betroffene JVA und die Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde gemeinsam prüfen , wie im konkreten Fall zu verfahren ist. Als Sofortmaßnahme werden die Vollzugsplanstände der Sicherungsverwahrten monatlich von der JVA Fuhlsbüttel und der Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde in einer gemeinsamen Besprechung erörtert. Darüber hinaus wurde angeordnet, dass die JVA Fuhlsbüttel sämtliche Gerichtsbeschlüsse, die Sicherungsverwahrte betreffen, ab sofort an die Aufsichtsabteilung übersendet. Über weitere Konsequenzen wird die zuständige Behörde auf Grundlage der laufenden Untersuchung entscheiden, siehe Antwort zu 2. 10. Wie konnte es aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde dazu kommen, dass ein Sicherungsverwahrter selbst darüber entscheiden kann, ob er eine externe oder interne Therapie in Anspruch nimmt? Die zuständige Einrichtung für Sicherungsverwahrte ist gehalten, dem Untergebrachten eine ausreichende Betreuung anzubieten. Im vorliegenden Fall hat das HansOLG die Durchführung einer Psychotherapie durch eine externe Fachkraft außerhalb der JVA für geboten angesehen.