BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4274 21. Wahlperiode 06.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 29.04.16 und Antwort des Senats Betr.: Weibliche Genitalverstümmelung – Welche Erkenntnisse gibt es mittlerweile in Hamburg? Im Juli 2015 wurde die Fachveröffentlichung „Intervention und Unterstützung bei weiblicher Genitalverstümmelung – Möglichkeiten interdisziplinärer Fallzusammenarbeit “ des überbehördlichen Hamburger Runden Tisches gegen Genitalverstümmelung publiziert. Auf Fragen über die Anzahl von betroffenen oder bedrohten Mädchen und Frauen aus der Drs. 20/10264 (17.12.2013) konnte der damalige Senat keine Antwort geben, da keine Erkenntnisse vorlagen. Auch auf die Frage, welche Anlauf- beziehungsweise Beratungsstellen den Betroffenen zur Verfügung stehen, gab es die Antwort, dass alle Anlauf- und Beratungsstellen der in Hamburg bestehenden Angebote für Opfer zur Verfügung stünden. Mittlerweile sind zweieinhalb Jahre vergangen und die Expertise müsste durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Erkenntnisse erbracht haben. Ich frage den Senat: 1. Wie viele Mädchen und Frauen, die von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind, leben in Hamburg? Bitte nach Alter und für die Jahre 2014 – 2016 aufschlüsseln. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird der Straftatbestand „Verstümmelung weiblicher Genitalien“ (§ 226 a Strafgesetzbuch) seit dem 1. März 2014 gesondert statistisch erfasst. Im Zeitraum vom 1. März 2014 bis zum 31. März 2016 sind entsprechende Fälle in Hamburg in der PKS nicht registriert. Auch bei der Staatsanwaltschaft Hamburg wurden ausweislich des eingesetzten Geschäftsstellen- und Aktenverwaltungsprogramms MESTA in den Jahren 2014 bis 2016 keine Verfahren mit dem Vorwurf einer Straftat gemäß § 226a StGB geführt. Darüber hinaus liegen den zuständigen Behörden weiterhin keine validen statistischen Daten vor. Im Übrigen siehe Drs. 20/10264. 2. Inwiefern liegen Erkenntnisse über Anzahl der Frauen vor, die weibliche Genitalverstümmelung als Fluchtursache in einem Asylverfahren benennen ? Das gemäß § 5 Asylgesetz für die Durchführung der Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mitgeteilt, es sei grundsätzlich nicht verpflichtet und auf freiwilliger Grundlage aufgrund der anhaltenden Arbeitsbelastung aktuell nicht in der Lage, Parlamentarische Anfragen aus Hamburg zu beantworten. Drucksache 21/4274 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 3. Wie viele Fälle von angedrohter weiblicher Genitalverstümmelung an Minderjährigen sind den Allgemeinen Sozialen Diensten – Jugendämtern bekannt? Bitte nach Alter der Minderjährigen für die Jahre 2014 – 2016 auflisten. Bezirksamt Jahr Fälle Alter Herkunftsland Hamburg-Nord 2014 1 (4 Beteiligte) 4, 9, 11 und 15 Jahre k.A. 2015 2 (3 Beteiligte) 3, 7 und 9 Jahre k.A. 2016 1 (2 Beteiligte) 12 und 16 Jahre k.A. Harburg* 2014 3 18, 18 und 16 Jahre Somalia (1x), Ghana 2015 1 17 Jahre Somalia 2016 0 0 entfällt * Bei allen vier Fällen in Harburg handelt es sich um junge Frauen, die bereits im Ausland beschnitten wurden und unter den Folgen leiden. Den Bezirksämtern Hamburg-Mitte, Altona, Eimsbüttel, Wandsbek und Bergedorf sind im genannten Zeitraum keine Fälle bekannt. 4. Inwiefern gibt es mittlerweile spezifische Fachberatungs- und Anlaufstellen für betroffene Mädchen und Frauen? Wenn ja, sind sie Zuwendungsträger/-innen und wie hoch ist diese Zuwendung? Bitte auflisten in Personal- und Sachkosten sowie Vollzeitäquivalenten der Stellen. Lessan e.V. (www.lessan.eu), Mitglied des Hamburger Runden Tisches gegen Genitalverstümmelung , ist eine spezifische Anlaufstelle für von Weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) betroffene Frauen (siehe Handreichung zu „Intervention und Unterstützung bei Weiblicher Genitalverstümmelung – Möglichkeiten interdisziplinärer Fallzusammenarbeit, http://www.hamburg.de/opferschutz/3091566/weiblichegenitalverstuemmelung /). Das Angebot von Lessan e.V. wird nicht von der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert. Unabhängig davon werden im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) betroffene Mädchen und Frauen, die vereinzelt das UKE aufsuchen, dort von den in Abhängigkeit vom Einzelfall beizuziehenden Kliniken und Instituten (zum Beispiel Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Klinik und Poliklinik für Urologie, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Institut für Rechtsmedizin) untersucht und behandelt . Die Klinik für Gynäkologie verfügt über eine spezielle Vulva-Sprechstunde mit ausgewiesener Expertise auch in diesem Bereich und mit sämtlichen interdisziplinären Kooperationen (Psychologie, Urologie, Chirurgie) sowie allen Möglichkeiten der operativen Rekonstruktion. Im Übrigen siehe Drs. 20/10264 und 20/10994. 5. Inwieweit ist weibliche Genitalverstümmelung mittlerweile ein Thema in den Lehrplänen des Psychologie- und Medizinstudiums sowie des Studiums der Sozialen Arbeit? Wenn nein, ist dies in näherer Zukunft geplant? Universität Hamburg (UHH): Es ist möglich, dass das Thema FGM in einzelnen Veranstaltungen der Bachelor- und Masterstudiengänge Psychologie angesprochen wird. Pläne, dieses Thema explizit in Modulbeschreibungen dieser Studiengänge aufzuführen, existieren derzeit nicht. UKE: Das Thema FGM wird in der Lehre insbesondere in den Lehrveranstaltungen der Gynäkologie, aber auch in der Psychiatrie (dort im Zusammenhang der Lehrveranstaltungen der Sexualmedizin) unter fachspezifischen Aspekten behandelt. So ist das Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4274 3 Thema Genitalverstümmelung im Rahmen der studentischen Ausbildung in der Gynäkologie Bestandteil des Themenkomplexes „Fehlbildungen und Verletzungen im Bereich der äußeren Genitalien“. Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW): Im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit kann das Thema FGM im Modul „Vielfalt und Differenz in der Sozialen Arbeit – Gender und Migration“ als freiwilliges Thema behandelt werden. In näherer Zukunft ist keine feste curriculare Verankerung in den Studiengängen der Sozialen Arbeit an der HAW Hamburg in den Lehrplänen geplant. Gegebenenfalls wird die Thematik zu einem späteren Zeitpunkt als fester Lehrinhalt im vorgenannten Modul aufgenommen werden.