BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4308 21. Wahlperiode 10.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz – Wie hat sich die Situation bei den Gerichtsvollziehern entwickelt? Hamburgs Gerichtsvollzieher sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit, Rechtsanwälte und Gläubiger am Ende ihrer Geduld: Immer mehr Aufträge, ein erweiterter Aufgabenbereich und hohe Krankenstände führen zu monatelangen Bearbeitungszeiten bei der Zwangsvollstreckung durch die Gerichtsvollzieher . Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage, Drs. 21/1741, zeigte bereits deutlich, mit welchen Problemen Hamburgs Gerichtsvollzieherwesen tagtäglich zu kämpfen hat. Einem Bericht „Der Welt“ zufolge teilte der Amtsgerichtspräsident Rzadtki dem Hamburgischen Anwaltverein e.V. auf dessen Beschwerdeschreiben hin mit: „Um der Belastung Herr zu werden, arbeiten viele Gerichtsvollzieher inzwischen an sieben Tagen die Woche bis spät abends, mit absehbaren gesundheitlichen Folgen.“ Manche nutzen sogar ihren Erholungsurlaub, um Rückstände abzubauen. Dies ist auch dem Justizsenator bewusst: „Bekannt ist, dass die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher aktuell stark belastet sind und nur durch einen erhöhten Einsatz die Arbeit bewältigen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch während des Erholungsurlaubs Aufträge abgearbeitet werden.“, heißt es in der Senatsantwort auf die Große Anfrage, Drs. 21/1741. Seit dem Jahr 2014 lag die Arbeitsbelastung der Gerichtsvollzieher in allen Hamburger Gerichtsbezirken beinahe durchgehend bei weit über 100 Prozent; trotzdem waren von 104 Stellen lediglich 97 besetzt. Dass dann die Fehlzeitenquote steigt, ist vollkommen verständlich . Es stellt sich die Frage, wie sich die Situation in den vergangenen sechs Monaten verändert hat. Neben einer wünschenswerten besseren Bezahlung für die immer anspruchsvollere Tätigkeit ist es aus Fürsorgegesichtspunkten des Dienstherrn unerlässlich, die personelle Situation dauerhaft zu verbessern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mehr Personal zwar höhere Kosten im Haushalt verursacht, aber auch die Erträge wachsen: Schließlich verdient der Staat durch die Einnahmen der Gerichtsvollzieher kräftig mit. Im Jahre 2014 beliefen sich die Erlöse bei den Gerichtsvollziehern beispielsweise auf 7.333.000 Euro. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Gerichtsvollzieher ist ein selbstständiges Organ der Rechtspflege und übernimmt eine elementare Funktion zur Gewährleistung der Rechtssicherheit. Im Übrigen teilen Drucksache 21/4308 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die zuständigen Behörden die Darstellung in der Vorbemerkung – der Staat verdiene durch die Gerichtsvollzieher kräftig mit – nicht. Die Kosten für Gerichtsvollzieher belaufen sich jährlich überschlägig auf rund 12.500.000 Euro (Kosten für Personal, Aufwandsentschädigungen, Gemeinkosten et cetera). Demgegenüber werden Erlöse in Höhe von knapp 7.500.000 Euro erzielt. Es ergibt sich daraus ein negativer Saldo in Höhe von rund 5.000.000 Euro. 1. Wie viele Stellen für Gerichtsvollzieher gibt es aktuell an den einzelnen Amtsgerichten? a. Wie viele davon sind jeweils besetzt? Daten zum Stichtag 3. Mai 2016 Stellensoll Ist-Besetzung Amtsgericht Hamburg - Mitte 19 19 Gerichtsvollziehervertretung für alle Amtsgerichte 4 6 Amtsgericht Altona 11 11 Amtsgericht Barmbek 14 11 Amtsgericht Bergedorf 6 5 Amtsgericht Blankenese 3 2 Amtsgericht Harburg 17 15 Amtsgericht St. Georg 18 17 Amtsgericht Wandsbek 12 10 104 96 b. Wie viele davon sind jeweils aus welchen Gründen unbesetzt? Bei den unbesetzten Stellen handelte es sich zumeist um vorübergehende Vakanzen infolge personeller Veränderungen (Pensionsabgänge, Elternzeit, Freihalten für die Anwärterübernahme). 2. Wie hoch ist der aktuelle Personalkostenverrechnungssatz für Gerichtsvollzieher ? Der Personalkostenverrechnungssatz beträgt für Gerichtsvollzieher aktuell 56.132 Euro und für Obergerichtsvollzieher aktuell 59.341 Euro. 3. In der Antwort auf die Große Anfrage, Drs. 21/1741, gab der Senat an, dass die Prüfung, welcher Bedarf nach der Übernahme der aktuell sich in der Ausbildung befindlichen Gerichtsvollzieher besteht und mit welchen außerplanmäßigen Abgängen in den nächsten Jahren zu rechnen ist, noch nicht abgeschlossen sei. Seitdem sind mehr als sechs Monate vergangen. Wie viele Gerichtsvollzieher sollen bis zum Jahr 2020 ausgebildet werden? Hamburg ist auch weiterhin bestrebt, bedarfsgerecht auszubilden. Mangels gültiger Grundlage für die Bedarfsberechnung (Pensenschlüssel) kann sich die Planung derzeit jedoch ausschließlich an den zu erwartenden planmäßigen wie unplanmäßigen personellen Abgängen orientieren. Auf dieser Grundlage wird vorläufig von einem Bedarf in Höhe von fünf Auszubildenden pro Jahr ausgegangen. Zum Herbst dieses Jahres ist mit einer Überarbeitung des bisherigen Belastungsschlüssels (bislang Bad Nauheimer Pensenschlüssel) durch eine länderübergreifende Arbeitsgruppe zu rechnen. Die Ausbildungsplanung ist gegebenenfalls entsprechend anzupassen. 4. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote der Gerichtsvollzieher an den einzelnen Amtsgerichten im Jahre 2015 sowie im 1. Quartal 2016 entwickelt? Fehlzeitenquote der Gerichtsvollzieher Gesamt 2015 1. Quartal 2016 Amtsgericht Hamburg - Mitte 2,4% 2,0% Amtsgericht Altona 10,0% 0,3% Amtsgericht Barmbek 2,4% 6,1% Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4308 3 Fehlzeitenquote der Gerichtsvollzieher Gesamt 2015 1. Quartal 2016 Amtsgericht Bergedorf 8,7% 10,3% Amtsgericht Blankenese* 0,0% 0,0% Amtsgericht Harburg 8,5% 15,0% Amtsgericht St. Georg 20,4% 12,9% Amtsgericht Wandsbek 4,7% 7,6% Gesamt 7,7% 7,3% * Aus datenschutzrechtlichen Gründen (nur zwei Personalfälle) dürfen für das AG Blankenese keine Fehlzeiten ausgewertet werden. 5. Wie hat sich die Arbeitsbelastung der Gerichtsvollzieher im Jahr 2015 sowie im 1. Quartal 2016 entwickelt? Bitte pro Amtsgericht darstellen. Die in den folgenden Tabellen dargestellte Belastungssituation ergibt sich auf Grundlage des Hamburger Belastungsschlüssels (Drs. 21/1741) im Verhältnis zu der Anzahl der Aufträge und der tätigen Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher. 2015 2016 1. Quartal Amtsgericht Hamburg - Mitte 139% 139% Amtsgericht Altona 120% 114% Amtsgericht Barmbek 110% 112% Amtsgericht Bergedorf 112% 120% Amtsgericht Blankenese 83% 80% Amtsgericht Harburg 134% 137% Amtsgericht St. Georg 134% 142% Amtsgericht Wandsbek 111% 99% Die Amtsgerichte Blankenese und Altona haben seit 2015 einen Belastungsverbund gebildet. 6. Wie viele Überlastungsanzeigen von Gerichtsvollziehern hat es im Jahr 2015 sowie in den ersten vier Monaten des Jahres 2016 gegeben? Bitte pro Amtsgericht darstellen. 2015 2016 Amtsgericht Hamburg - Mitte 3 2 Amtsgericht Altona - 1 Amtsgericht Barmbek - - Amtsgericht Bergedorf 3 - Amtsgericht Blankenese - - Amtsgericht Harburg 1 - Amtsgericht St. Georg 1 - Amtsgericht Wandsbek 1 - 7. Wie viele Beschwerden aufgrund zu langer Verfahrensdauern der Zwangsvollstreckung sind von Gläubigern beziehungsweise Verfahrensbevollmächtigten im Jahr 2015 sowie in den ersten vier Monaten des Jahres 2016 eingegangen? Bitte pro Amtsgericht darstellen. 2015 Jan-Apr. 2016 Amtsgericht Hamburg - Mitte 37 2 Amtsgericht Altona 7 3 Amtsgericht Barmbek 8 5 Amtsgericht Bergedorf 12 11 Amtsgericht Blankenese 2 - Amtsgericht Harburg 35 14 Amtsgericht St. Georg 122 29 Amtsgericht Wandsbek 13 7 Die obigen Zahlen umfassen alle Dienstaufsichtsbeschwerden. Circa 98 Prozent dieser Beschwerden haben die Dauer von Verfahren zum Gegenstand. Drucksache 21/4308 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 8. Wie hat sich die Anzahl der unerledigten Verfahren seit dem Jahr 2011 jährlich zum 31. Dezember entwickelt? Bitte pro Jahr darstellen. Jahr offene Verfahren 2011 22903 2012 23492 2013* 25825 2014 27621 2015 30855 * Durch eine Systemumstellung bei der Statistik liegt für 2013 nur der Stand der offenen Verfahren Ende August vor. 9. Ist der zuständigen Behörde die Mitteilung des Präsidenten des Amtsgerichts Hamburg-Mitte, dass viele Gerichtsvollzieher inzwischen an sieben Tagen die Woche bis spät abends, mit absehbaren gesundheitlichen Folgen, arbeiten, um der Belastung Herr zu werden, bekannt? a. Falls ja, seit wann und welche Maßnahmen hat sie daraufhin ergriffen ? b. Wie beurteilt die zuständige Behörde insbesondere vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht die dadurch entstehenden regelmäßigen Verstöße gegen die Arbeitszeitverordnung und welche Planungen bestehen, um dem künftig entgegenzuwirken? Der zuständigen Behörde ist das Schreiben des Präsidenten an den Vorsitzenden des Hamburgischen Anwaltvereins vom 17. Juni 2015 bekannt. Anders als die Fragestellung es darstellt, hat der Präsident des Amtsgerichts in dem zitierten Schreiben darauf hingewiesen, dass die Gerichtsvollzieher mit besonderem Arbeitseinsatz versuchen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die erwähnten sieben Arbeitstage und Einsätze außerhalb der üblichen Dienstzeiten sind exemplarisch zur Illustration dieses besonderen Einsatzes zu verstehen. Keineswegs ist davon auszugehen, dass von einem ständigen Verstoß gegen Arbeitszeitregelungen auszugehen ist. Allerdings sind die Gerichtsvollzieher als Organe der Rechtspflege in ihrer Arbeitsgestaltung selbständiger als andere Bedienstete der Gerichte. Daher kann es auch zu Arbeitszeiten außerhalb der üblichen Dienststunden kommen. Die Belastung der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher war und ist zudem Gegenstand zahlreicher Gespräche der zuständigen Behörde mit dem Amtsgericht und anderen Stellen (unter anderem dem Gerichtsvollzieherverband). Auch in dem – im Übrigen von der Behörde selbst – veröffentlichten Belastungsbericht des Amtsgerichts vom September 2015 ist diese Thematik ausführlich behandelt. Die Neuregelung der Bürokosten stellt unter anderem eine Maßnahme dar, um den persönlichen Überlastungen entgegenzuwirken. Mit der Neuregelung ist die Finanzierung des Bürobetriebs auf ein Pauschalen-Modell umgestellt worden, das sich nur noch in sehr geringem Umfang an den eingenommenen Gebühren orientiert und damit die Finanzierung des Bürobetriebs sicherstellt, ohne eine Überlastung zu fördern . Darüber hinaus ist durch die Neuregelung die Entschädigung für eine Bürokraft mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit erstmalig in Hamburg unabhängig von den Gebühreneinnahmen im Bezirk sichergestellt. Damit hat der Gerichtsvollzieher die Möglichkeit, sich durch die Beschäftigung von Büropersonal deutlich zu entlasten. 10. Wie hoch waren die von den Gerichtsvollziehern im Jahr 2015 erzielten Erlöse? Die Gerichtsvollzieher erzielten 2015 Erlöse in Höhe von 7.423.632,56 Euro. 11. Wurde die Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher zwischenzeitlich geändert? Falls ja, zu wann und mit welchen Neuregelungen? Falls nein, weshalb nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4308 5 Die genannte Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher vom 19. Dezember 1978 wurde durch die „Verordnung über die Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in Hamburg vom 16. Dezember 2015“ abgelöst. Sie ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten (HmbGVBl. 2015 S. 408). Die Verordnung regelt, dass anstelle des bisherigen belastungsabhängigen prozentualen Anteils an Gebühreneinnahmen zur Deckung aller Bürokosten und für die Entschädigung von finanziellem Aufwand an Sachkosten eine monatliche Pauschale in Höhe von 900 bis 1.300 Euro im Voraus gewährt wird. Für die bei den Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern beschäftigten Bürokräfte wird eine Pauschale von 550 Euro monatlich gewährt. Soweit die Aufwendungen für das Personal diese Pauschale übersteigen, werden diese bis zu einem Höchstbetrag einer Halbtagsbeschäftigung in der Entgeltgruppe 5 Entwicklungsstufe 4 je Kalendermonat der Beschäftigung erstattet.