BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/440 21. Wahlperiode 15.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 07.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Abschiebeärztinnen und -ärzte in Hamburg Das ARD-Magazin „FAKT“ berichtete in seiner Sendung vom 05.05.2015 (http://www.mdr.de/fakt/video269396.html) über den Fall des angeblichen Arztes Rainer Lerche, der in Berlin für eine Vielzahl von Menschen eine angebliche Abschiebetauglichkeit bescheinigt hat. Laut „FAKT“ ist das kein Einzelfall und es gibt Hinweise auf ähnliche Fälle in anderen Bundesländern. Ich frage den Senat: In Hamburg gibt es seit 1999 einen ärztlichen Dienst beim Einwohner-Zentralamt zur Unterstützung der Ausländerabteilung bei medizinischen Fragestellungen im Rückführungsverfahren . Zu den Aufgaben des ärztlichen Dienstes des Einwohner-Zentralamtes gehören unter anderem: - die Rücksprache mit niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern zur Konkretisierung von vorgelegten Attesten, - die Bewertung vorliegender Atteste im Hinblick auf eine Reisefähigkeit (inländisches Vollstreckungshindernis), - die Vorbereitung und Formulierung von Untersuchungsaufträgen durch andere (Fach-)Ärzte - sowie die Unterstützung und Beratung der Ausländerabteilung in Bezug auf medizinische Fragestellungen im Zusammenhang mit einer Rückführung. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele ärztliche Gutachten zur Abschiebetauglichkeit wurden in den vergangenen 24 Monaten in Hamburg erteilt? Bitte aufschlüsseln nach positiver und negativer Bescheinigung der Abschiebetauglichkeit. Im Jahr 2013 und 2014 wurden auf Veranlassung des ärztlichen Dienstes 580 Untersuchungen durch externe Ärzte durchgeführt. In 62 Fällen wurde eine Reisefähigkeit verneint. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. a. Wie viele Ärztinnen und Ärzte haben diese Gutachten erstellt? Bitte angeben, wie lange diese jeweils für die Behörde arbeiten und wie viele positive und negative Gutachten jeweils erstellt wurden. Es handelt sich hierbei um zwei Ärzte, die als Honorarkräfte tätig sind; eine Fachärztin für Allgemeinmedizin und Flugmedizin ist seit 2005 für die Behörde tätig, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie seit 2007. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. b. Unter welchen Voraussetzungen können Betroffene eigene Gutachterinnen und Gutachter bestellen, deren Gutachten maßgeblich für Drucksache 21/440 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die Entscheidung der Ausländerbehörden (AB) über die Abschiebung sind? Die von den Betroffenen vorgelegten privaten Gutachten oder Atteste sind mit Blick auf die Untersuchung und Feststellung der Reisetauglichkeit in der Regel nicht ausreichend aussagekräftig, weshalb zumeist die Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Flugmedizin erforderlich ist. 2. Wie stellt der Senat sicher, dass alle Ärztinnen und Ärzte, die Gutachten für die zuständige Behörde erstellen, tatsächlich eine Approbation erteilt bekommen haben? Die Überprüfung der Approbationen ist erfolgt. 3. Müssen Ärztinnen und Ärzte, die Gutachten für die Ausländerbehörden erstellen, über besondere Fähigkeiten/Eignung verfügen? Wenn ja, welche? Die Ärzte müssen in der Lage sein, die Betroffenen aus flugmedizinischer und psychiatrischer Sicht zu beurteilen. 4. Wie kommen die Ausländerbehörden zu ihren jeweiligen ärztlichen Gutachterinnen und Gutachtern? Siehe Antwort zu 1. a. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. a. In welchem Beschäftigungsverhältnis stehen die ärztlichen Gutachterinnen und Gutachter zur Behörde? Bitte aufschlüsseln, gegebenenfalls mit Angabe der Eingruppierung. Die Abrechnungen erfolgen nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) sowie nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). Im Übrigen siehe Antwort zu 1. a. b. Wie hoch ist das Honorar für ein ärztliches Gutachten zur Abschiebetauglichkeit (im Durchschnitt)? Bitte gegebenenfalls mit Angabe des höchsten und des niedrigsten Honorars der vergangenen 48 Monate. Je nach Einzelfall entstehen Kosten in Höhe von circa 150 Euro – 300 Euro pro Fall. c. Wie hoch ist das Honorar für eine ärztliche Begleitung während der Abschiebung (im Durchschnitt)? Bitte gegebenenfalls mit Angabe des höchsten und des niedrigsten Honorars der vergangenen 48 Monate. Das Honorar der Begleitärzte ist abhängig von der Dauer einer Maßnahme und variiert von 500 Euro (bei einer Dienstzeit von bis zu zehn Stunden) bis zu 500 Euro pro Tag bei einer mehrtägigen Dienstreise. 5. Was bedeutet ärztliche Begleitung während einer Abschiebung konkret? Bitte beschreiben. Welchen zeitlichen Umfang hat sie (durchschnittlich)? Der Umfang der ärztlichen Begleitung bei Rückführungsmaßnahmen erstreckt sich auf die ärztlich notwendigen Maßnahmen. Die Entscheidung über eine ärztliche Intervention trifft der Begleitarzt. Entscheidet dieser, dass die Maßnahme aus ärztlicher Sicht abgebrochen werden muss, wird dies unverzüglich getan. Die Dauer der Begleitung ist abhängig von der Vorgabe des Gutachters sowie der erforderlichen Dauer der ärztlichen Begleitung der Rückführungsmaßnahme. Wenn erforderlich, fliegt der Begleitarzt bis ins Heimat- beziehungsweise Überstellungsland mit oder bleibt bis zur Übergabe an einen weiteren Arzt (wie er zum Beispiel häufig bei Chartermaßnahmen vorhanden ist). 6. Wie lange dauert eine ärztliche Untersuchung zur Flugreisetauglichkeit (durchschnittlich)? Eine Untersuchung dauert in der Regel circa 30 Minuten. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/440 3 a. Was wird untersucht? Regelhaft werden Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung gemessen. Zudem werden grundsätzlich Herz und Lunge untersucht. Die sonstigen Untersuchungen orientieren sich an den Erfordernisse des Einzelfalles. b. Sind Sprachmittler/-innen anwesend? Wenn nein, warum nicht? In der Regel sind Dolmetscher anwesend. 7. Inwiefern erkennt der Senat ein Problem für die Objektivität der Gutachten , wenn die Auftraggeberinnen der Gutachten (ABen) ein Interesse daran haben, dass Abschiebetauglichkeit bestätigt wird, damit ihre Entscheidungen (Abschiebung) vollzogen werden? Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grunde absichtlich unrichtig Reisefähigkeit bescheinigt werden sollte. Dies widerspräche zum einen dem ärztlichen Berufsethos und zum anderen steht das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung in keiner Abhängigkeit zur Zahlung des Honorars. Darüber hinaus erfolgen die ärztliche Begutachtung zur Feststellung der Reisefähigkeit sowie eine als Ergebnis der Begutachtung gegebenenfalls erforderliche ärztliche Begleitung der Rückführungsmaßnahme in Hamburg durch verschiedene Ärzte. Die Ärzte, die für die Behörde ärztliche Gutachten verfassen , sind Honorarkräfte. Sie sind grundsätzlich nicht identisch mit den Vertragsärzten, die eine Abschiebung begleiten. 8. Auf welche Weise stellt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde sicher, dass die ärztlichen Gutachter und Gutachterinnen nicht wirtschaftlich abhängig von ihren Auftraggeberinnen sind und damit die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten steigt? Aufgrund der bestehenden Strukturen und Organisation (siehe Vorbemerkung) sowie aller bisherigen Erfahrungen besteht aus Sicht der zuständigen Behörde keinerlei Anlass, über die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten Mutmaßungen anzustellen.