BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4426 21. Wahlperiode 17.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 11.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Hamburger Schüler Opfer politischer Indoktrination? (II) – Neue Fälle und Kritik von Experten Eltern, Schüler und inzwischen auch Lehrer berichten, dass in Hamburger Schulen mindestens schon seit dem Jahr 2014 Arbeitsblätter des Schroedel Schulbuchverlags (Westermann Gruppe) im PGW-Unterricht (Politik/Gesellschaft /Wirtschaft) eingesetzt werden, in denen die Partei AfD thematisiert wird. In mehreren dieser eingesetzten Arbeitsblätter sind nachweislich falsche , stark abwertend verzerrte oder unverhältnismäßig tendenziöse Aussagen über die Partei AfD zu finden.1 In den eingesetzten Arbeitsblättern werden entweder keine oder nur unzureichende gegensätzliche Quellen – etwa inhaltlich kontrastierende Artikel und Kommentare, Originalzitate von AfD-Politikern oder offizielle Programmpositionen der AfD – den zuvor getroffenen Aussagen zur AfD gegenübergestellt . Auffällig ist, dass Vertreter der Parteien CDU, SPD, GRÜNE, FDP und LINKE regelmäßig zitiert werden, dagegen gibt es nur mit ganz wenigen Ausnahmen und mit auffällig weniger Ausführlichkeit auch Zitate von AfD- Politikern. Das Arbeitsblatt „TV-Debatten: AfD ausladen?“ vom 25.01.2016 enthält zum Beispiel einen kompletten Kommentar der SPD-Politikerin Malu Dreyer über die AfD, während auf demselben Arbeitsblatt kein AfD-Politiker zitiert wird. In einer zweiten Quelle dieses Arbeitsblattes wird über AfD-Anhänger geschrieben : „Auf dem Schulhof würde man solchen Menschen (AfD-Anhängern) wahrscheinlich aus dem Weg gehen. In der Politik aber ist das nicht so einfach möglich.“ Außerdem ist auf dem Arbeitsblatt eine Karikatur abgedruckt, auf der ein AfD-Vertreter als glatzköpfiger Neonazi abgebildet wird. 1 Vergleiche Drs. 21/4295. Darin enthaltene Aussagen über die AfD: 1. „Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist zum ersten Mal in allen drei Landtagen vertreten. (…) Viele Anhänger und Politiker der Partei hetzen gegen Ausländer (…) Die AfD fördert mit ihren Aussagen die Angst der Menschen vor Ausländern.“ 2. „(Die AfD will) Muslime schikanieren“ und „Frauen (sollen) zurück an den Herd.“ 3. „(Die AfD will) Grenzen schließen (…) Deutschland den Deutschen – Ausländer raus also.“ 4. „(Die AfD sagt, dass) der radioaktive Müll nicht entsorgt werden solle.“ Drucksache 21/4426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Das Arbeitsblatt „Ist die AfD am Ende?“ vom 27.02015 enthält unter anderem folgende Aussagen über die AfD, ohne das den Schülern eine explizit darauf eingehende inhaltlich gegensätzliche Positionierung angeboten wird: - „Mindestens ein Großteil der Parteispitze ist nicht mehr als eine Ansammlung eitler Egoisten“ - „Und es zeigt sich, dass die Republik solch eine Partei nicht braucht.“ - „Heute steht die AfD für miefiges, braunes Mischmasch mit Pegida- und NPD-Attitüde. Dumpfe Parolen als Antworten (…) mehr ist nicht mehr da.“ - „Die Populisten um Frauke Petry können sich vielleicht auf dem Parteitag am 13. Juni in Kassel durchsetzen, bei den Wählern wird ihnen das nicht gelingen.“ - „Eine braune, rechtsextreme AfD wird untergehen. (…) Aus und vorbei. Glück gehabt, Deutschland!“ Das Arbeitsblatt „AfD: Endgültig am rechten Rand?“ vom 10.07.2015 verweist nach zwei Zeitungsartikeln von „DER SPIEGEL“ und der „Süddeutschen Zeitung “ über die AfD auf einen Lehrfilm über politischen Extremismus. In dem Lehrfilm werden vier Arten des politischen Extremismus unterschieden und erklärt: Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus und „Extremismus der Mitte“. Eine Nähe der AfD zum Rechtsextremismus könnte aus der thematischen Abhandlung des Films und der Platzierung der Verlinkung auf dem Arbeitsblatt vermutet werden. Über die Ideologie des Linksextremismus heißt es in dem Lehrfilm in einer Sequenz unter anderem: „Hört sich eigentlich gut an, aber…“. In den Fragestellungen der genannten Arbeitsblätter sowie weiterer Arbeitsblätter über die AfD werden die Schüler teilweise nicht einmal dazu aufgefordert , die getroffenen Aussagen und Behauptungen zur AfD zu hinterfragen oder kontrovers-kritisch darüber zu diskutieren. Die Quellen der Arbeitsblätter bestehen mit enormer Dominanz aus Artikeln und Kommentaren der linken und linksliberalen Medien („DER SPIEGEL“, „Die Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“) sowie Verweisen auf linke Recherchenetzwerke und Blogs, wie das Netzwerk „Correctiv“. Eltern, Schüler und Lehrer berichten, dass die unterrichtenden Lehrer zu den ausgeteilten Arbeitsblättern in der Regel keine zusätzlichen kontroversen Materialien zur Verfügung stellen und die Auseinandersetzung mit der AfD ausschließlich anhand der Inhalte der Arbeitsblätter stattfindet. Inhalte der Arbeitsblätter würden auch in Tests abgefragt. Experten, wie der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Nils Bandelow von der TU Braunschweig, sehen in den Materialien keinen angemessenen Beitrag zur Meinungsbildung. Das Urteil werde den Schülern „vorgekaut“, moniert der Politikwissenschaftler. Besser und ehrlicher wäre es, die Partei selbst zu Wort kommen zu lassen. Schüler sollten besser zum „kritischen Urteilen“ erzogen werden, sagt Bandelow.2 2 „Wie ein Schulbuchverlag gegen die AfD wettert“, in: „JUNGE FREIHEIT“ vom 28.04.2016, unter: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/wie-ein-schulbuchverlag-gegen-die-afdwettert / (abgerufen am: 11.05.2016). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4426 3 In der Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 02.05.2016 (Drs. 21/4295) heißt es bezogen auf den Hamburger Unterricht im Fach Politik , Gesellschaft, Wirtschaft (PGW): „Für die Gestaltung des jeweiligen Unterrichts gelten didaktische Grundsätze, wie der „Beutelsbacher Konsens“. Dieser verpflichtet die Lehrkräfte, ihren Schülerinnen und Schülern keine Meinung aufzuzwingen (Indoktrinations-/ Überwältigungsverbot), kontroverse Themen auch als solche darzustellen (Kontroversitätsgebot) und an der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler anzusetzen (Schülerorientierung). Die Schülerinnen und Schüler sollen durch den Unterricht in die Lage versetzt werden, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren, sich mithilfe des Unterrichts eine eigene Meinung zu bilden und sich aktiv am politischen Prozess beteiligen zu können. Um diese Ziele zu erreichen, werden im PGW- Unterricht insbesondere auch aktuelle Publikationen und tagesaktuelle Materialien wie zum Beispiel Auszüge aus Zeitungen oder Zeitschriften eingesetzt . Die Materialien werden von den Lehrkräften entweder selbst zusammengestellt oder sie nutzen gegebenenfalls bereits didaktisch aufbereitete Vorlagen der Schulbuchverlage oder Internetportale.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat mit der erneuten ausdrücklichen Bitte um separate Beantwortung jeder einzelnen Frage (bitte keine Fragenblöcke beantworten!) sowie mit der Bitte um die Beantwortung der in Drs. 21/4295 nicht beantworteten Fragen: 1. Hat der Senat beziehungsweise die zuständige Abteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung überhaupt die in Drs. 21/4295 genannten Arbeitsblätter gesichtet und sie hinsichtlich einer Verwendung für den Hamburger PGW-Unterricht kritisch geprüft? a) Wenn ja: Welche Bewertung wurde hierzu vorgenommen? b) Wenn nein: warum nicht? Das in Drs. 21/4295 angegebene Arbeitsblatt des Schroedel-Verlags „Wahlprogramm: Was die AfD wirklich will“ sowie weitere zur Partei AfD herausgegebene Arbeitsblätter des genannten Verlags wurden in der für Bildung zuständigen Behörde gesichtet. Im Übrigen siehe Drs. 21/4295. 2. Sieht der Senat in dem singulären Einsatz der genannten Arbeitsblätter, wie er in Hamburger Schulen nach Auskunft von Eltern, Schülern und Lehrern erfolgt ist, einen Verstoß gegen das Indoktrinations-/Überwältigungsverbot sowie das Kontroversitätsgebot, zu dem die Lehrkräfte nach dem „Beutelsbacher Konsens“ verpflichtet sind? a) Wenn ja: Welche Schlussfolgerungen und Maßnahmen leitet der Senat daraus ab? b) Wenn nein: warum nicht? Entscheidend im Sinne des „Beutelsbacher Konsens“ ist, dass dessen Grundsätze „Indoktrinations-/Überwältigungsverbot“, „Kontroversitätsgebot“ und „Schülerorientierung “ im Unterricht zur Geltung kommen und im Rahmen des jeweils gewählten Unterrichtssettings realisiert werden. Auch bei dem Einsatz einzelner Arbeitsblätter können diese Grundsätze erfüllt werden, sofern im Unterricht das Thema kontrovers dargestellt wird und die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, sich unter Berücksichtigung aller Aspekte eine eigene Meinung zu bilden. 3. Wie reagiert der Senat konkret auf die Hinweise von Eltern, Schülern und Lehrern, dass die Arbeitsblätter über die AfD im Hamburger PGW- Unterricht in der Regel singulär, das heißt ohne zusätzliche weitere kontroverse Quellen eingesetzt wurden/werden? Der zuständigen Behörde liegen keine Hinweise im Sinne der Fragestellung vor. Drucksache 21/4426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 4. Wie kann nach Meinung des Senats auf Grundlage eines singulären Einsatzes dieser Arbeitsblätter eine differenzierte politische Urteilsbildung der Schüler gefördert werden? 5. Wie kann nach Meinung des Senats auf Grundlage eines singulären Einsatzes dieser Arbeitsblätter ein pluralistisch und multiperspektivisch ausgerichteter Politikunterricht unterstützt werden? Siehe Antwort zu 2.a) und b). 6. Wie stellt der Senat allgemein sicher, dass Lehrkräfte sich an das Indoktrinations-/Überwältigungsverbot und das Kontroversitätsgebot gemäß „Beutelsbacher Konsens“ halten? Grundsätzlich sind die Schulleitungen für die Einhaltung der für Schule und Unterricht geltenden rechtlichen Vorgaben verantwortlich. Zudem ist der „Beutelsbacher Konsens “ in den Rahmenplänen des Faches Politik-Gesellschaft-Wirtschaft (PGW) beziehungsweise im Rahmenplan für den Lernbereich Gesellschaftswissenschaften (alle im Internet unter: www.hamburg.de/bildungsplaene/) als Leitlinie für die Unterrichtung politisch-gesellschaftlicher Themen ausgewiesen; seine Beachtung bei der Gestaltung des Unterrichts im Fach PGW beziehungsweise im Lernbereich Gesellschaftswissenschaften ist damit verbindlich. 7. Wenn der Senat von einem konkreten unterrichtlichen Verstoß gegen das Indoktrinations-/Überwältigungsverbot und das Kontroversitätsgebot gemäß „Beutelsbacher Konsens“ erfährt, welche Maßnahmen ergreift er dann? Sofern der zuständigen Behörde Beschwerden bekannt würden, die auf eine Nichtbeachtung des „Beutelsbacher Konsens“ durch eine Lehrkraft schließen ließen, würde die für die jeweilige Schule zuständige Schulaufsichtsbeamtin/der zuständige Schulaufsichtsbeamte eine Prüfung des Vorgangs einleiten. Im Falle einer Bestätigung des geäußerten Verdachts werden Gespräche mit der jeweiligen Schulleitung geführt, die Verpflichtung der Lehrkraft zu einer Fortbildung geprüft sowie der Lehrkraft die geltenden rechtlichen Vorgaben verdeutlicht. Siehe auch Antwort zu 6. 8. In Drs. 21/4295 wurde die folgende Frage nicht beantwortet: An welchen Hamburger Schulen wird aus Mitteln des Schuletats oder aus anderen Mitteln der „öffentlichen Hand“ der Download dieser Arbeitsblätter des Schroedel Schulbuchverlags (Westermann Gruppe), zum Beispiel durch ein Schul-Abonnement oder eine Schullizenz, finanziell unterstützt? Bitte sämtliche Hamburger Schulen abfragen und einzeln auflisten! Warum wurde die Frage nicht beantwortet (eine Beantwortung der Frage ist durch eine Abfrage der Schulen möglich)? Bitte die Frage nun beantworten . 9. In Drs. 21/4295 wurde die folgende Frage nicht beantwortet: Welche Lehrwerke aus dem Schroedel Schulbuchverlag (Westermann Gruppe) werden im Hamburger PGW-Unterricht noch eingesetzt? Bitte alle zuständigen Fachleitungen sämtlicher Hamburger Schulen abfragen und die Ergebnisse auflisten! Warum wurde die Frage nicht beantwortet (eine Beantwortung der Frage ist durch eine Abfrage möglich, auch wenn die Lehrmaterialien nicht standardmäßig erfasst werden)? Bitte die Frage nun beantworten. Die für die vollständige Beantwortung erforderliche Schulabfrage war in der für die Beantwortung dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. In den Bearbeitungszeitraum der Drs. 21/4295 sind der Feiertag Christi Himmelfahrt und der schulfreie Freitag (6. Mai 2016) gefallen. In den Bearbeitungszeitraum der Drs. 21/4426 sind der Feiertag Pfingstmontag sowie die anschließenden Pfingstferien gefallen. Zudem wurde die Schriftliche Kleine Anfrage der zuständigen Behörde erst am Mittwoch, den 11. Mai 2016 um 18.30 Uhr übermittelt .