BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4465 21. Wahlperiode 20.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Jens Meyer (FDP) vom 13.05.16 und Antwort des Senats Betr.: In Hamburg verfolgte Homosexuelle Am 11. Mai 2016 erhob die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Forderung, die nach dem früheren Homosexuellen-Paragraphen 175 StGB erfolgten Urteile aufzuheben.1 Schätzungen zufolge sind in früheren Zeiten bundesweit rund 50.000 Männer nach diesem Paragraphen verurteilt worden. Es wäre höchste Zeit, dass die Bundesrepublik dieses Unrecht aufhebt , die Betroffenen kollektiv rehabilitiert und sämtliche Urteile annulliert. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Männer sind nach § 175 StGB in Hamburg verurteilt worden? Falls möglich, bitte aufschlüsseln nach Zeiträumen (1945 – 1949, 1949 – 1969, 1969 – 1973, 1973 – 1994). Es liegen für die Berichtsjahre 1955, 1956 und 1959 folgende Angaben vor. Weitere Ergebnisse stehen erst wieder ab dem Berichtsjahr 1970 zur Verfügung. Verurteilte nach § 175 StGB Jahr Anzahl 1955 57 1956 79 1959 81 1970 15 1971 22 1972 28 1973 32 1974 6 1975 8 1976 8 1977 7 1978 8 1979 12 1980 12 1981 3 1982 8 1983 4 1984 7 1985 3 1986 1 1987 4 1 Vergleiche http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Aktuelles/DE/2016/ Rechtsgutachten_Prof_Burgi_20160511.html. Drucksache 21/4465 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Verurteilte nach § 175 StGB Jahr Anzahl 1988 5 1989 2 1990 4 1991 3 1992 - 1993 4 1994 - Quelle: Statistikamt Nord, Strafverfolgungsstatistik 2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, auch ohne Aktivitäten des Bundes die seit 1945 von Hamburger Gerichten nach § 175 StGB Verurteilten zu rehabilitieren? Bitte aufteilen nach juristischen Möglichkeiten, politischen und finanziellen. Juristisch bestehen Möglichkeiten der Rehabilitierung nur soweit nicht der Bundestag die entsprechenden Urteile aufhebt, wie dies für die vor 1945 gefällten Urteile gegen Homosexuelle durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 23. Juli 2002 geschehen ist. Die Wiederaufnahme einzelner Verfahren mit dem Ziel einer Aufhebung des jeweiligen Urteils kommt nicht in Betracht, da die Strafprozessordnung für ein Wiederaufnahmeverfahren enge Voraussetzungen vorsieht, die in den hier maßgeblichen Fällen regelmäßig nicht vorliegen. Der Bundesrat hat bereits 2012 auf Antrag der Länder Hamburg und Berlin die Bundesregierung aufgefordert, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung Homosexueller zu ergreifen, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen strafrechtlich verurteilt worden sind. Zuletzt hat der Bundesrat am 10. Juli 2015 die Bundesregierung aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen. Hamburg hat sich an diesem Verfahren mit einem Änderungsantrag beteiligt. Nunmehr ist, nach Vorlage eines Rechtsgutachtens, durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) geplant, einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der Verurteilungen sowie eines daraus resultierenden Entschädigungsanspruch zu erarbeiten. Hier würde auch eine etwaige finanzielle Entschädigung geregelt. Zur gesellschaftlichen Aufarbeitung der Thematik fand in Hamburg 2013 die Ausstellung „Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945“ statt. Die Ausstellung griff das Thema der strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer und Frauen in der Zeit von 1945 bis 1969 auf. Sie war zum Beispiel in der Grundbuchhalle des Ziviljustizgebäudes, im Ausbildungszentrum der Polizei sowie im Bezirksamt Nord zu sehen und wurde durch die Stadt mitfinanziert und inhaltlich begleitet. Derzeit wird durch die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung ein Aktionsplan für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt erarbeitet, der auch auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Verfolgung homosexueller Menschen hinweisen wird. 3. Welche Maßnahmen (juristische, politische und finanzielle) hat die Freie und Hansestadt Hamburg bislang zur Rehabilitierung der im „Dritten Reich“ verfolgten Homosexuellen unternommen? Welche Maßnahmen sind geplant? Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten vielfältige Beiträge geleistet zur politischen Rehabilitation im Nationalsozialismus verfolgter Homosexueller und zur Thematisierung des auch nach 1945 fortwährenden Unrechts durch die Fortgeltung des § 175 StGB in seiner 1935 im NS-Geist verschärften Form und der dadurch erfolgten Gerichtsurteile und Haftstraften. Neben zahlreichen Vortrags- und Filmveranstaltungen, pädagogischen Programmangeboten wie der Seminarreihe „Bildungsbausteine zum Thema Homosexualität im Nationalsozialismus “, der ausgiebigen Behandlung des Themas in Dauerausstellungen, mehreren in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gezeigten Sonderausstellungen (wie zum Bei- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4465 3 spiel der Ausstellung und Dokumentation „Verachtet – Verfolgt – Vernichtet“ (1986/1988), der in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum Berlin erarbeiteten Ausstellung: „Und alles wegen der Jungs. Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer" (1995) und der Wanderausstellung „Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969“ (2008)) ist insbesondere auf den von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erarbeiteten Sammelband zur „Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus“ (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Band 5, Hg.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Edition Temmen, Bremen 1999/2002) zu verweisen. Die Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte gewährt seit ihrer Gründung im Jahre 1988 für „Personen, die wegen ihrer tatsächlichen oder ihnen unterstellten Homosexualität in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden oder anderweitigen – nach heutiger Auffassung unverhältnismäßigen – Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren“ (§ 2 Absatz 2 Textziffer 5 der Stiftungssatzung) auf Antrag finanzielle Beihilfen. Zu dieser Verfolgtengruppe sind bei der Stiftung bislang fünf Anträge gestellt worden, einer Person konnte im Jahre 1995 eine einmalige Beihilfe in Höhe von 4.000 DM zuerkannt werden, die anderen Verfahren haben sich auf sonstige Weise erledigt. Der Umfang der Stiftungsbeihilfen bemisst sich in jedem Einzelfall insbesondere nach Art, Schwere und Auswirkung der Verfolgung sowie nach der persönlichen Lage des/ der Verfolgten (§ 4 der Satzung). Anträge an die Stiftung sind form- und fristlos möglich . Die Gewährung von Stiftungsleistungen setzt in der Regel einen Hauptwohnsitz der antragstellenden Person in Hamburg voraus. Weitere konkrete Maßnahmen sind zurzeit nicht in Planung.