BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4498 21. Wahlperiode 24.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dietrich Wersich (CDU) vom 17.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Welche Aktivitäten gab es bisher zum kolonialen Erbe? Mit über 400 Zuhörern platzte der Hörsaal der Universität aus allen Nähten, als am 20.04.2016 Prof. Dr. Jürgen Zimmerer unter dem Thema „Von den Askari-Reliefs zur Speicherstadt“ seinen Eröffnungsvortrag der Ringvorlesung „Hamburg: Deutschlands Tor zu kolonialen Welt“ hielt. Auf die Frage, ob man die Askari-Reliefs in Jenfeld, in Hamburg wohl das wichtigste Monument für koloniale Propaganda und deren Nutzung in der Nazi-Zeit, sehen könne, musste der Referent antworten, das Gelände sei abgeschlossen. Alle Fraktionen folgten 2013 in der Bürgerschaft einer einstimmigen Empfehlung des Kulturausschusses (Drs. 20/8148) und forderten damit eine „Aufarbeitung des kolonialen Erbes“. Dieses Ersuchen beantwortete der Senat mit der Mittteilung an die Bürgerschaft Drs. 20/12383 vom 08.07.2014. Die darin zugesagten Aktivitäten des Senats werden allerdings von den zuständigen Behörden höchst unterschiedlich erfüllt. Senatskanzlei und Wissenschaftsbehörde sind sehr aktiv, wenn es darum geht, in unserer Stadt das Bewusstsein für die Kolonialzeit als für Hamburg profitable Zeit der Ausbeutung zu fördern, durch die Förderung von Partnerschaften, so mit Dar-es-Salaam, und auf Seite der Wissenschaft, der Gründung der „Forschungsstelle für Hamburgs (post)koloniales Erbe“, die Prof. Dr. Jürgen Zimmerer leitet. Die für den Senat in der Sache federführende Kulturbehörde ist offensichtlich weniger engagiert. Das Gelände in Jenfeld und der Komplex der Lettow- Vorbeck-Kaserne mit ihren für Afrikaner befremdlich heroisierenden Medaillons von Kolonialgenerälen wurden entgegen der Zusage noch immer nicht als Ort der Information und des Gedenkens entwickelt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat in Bezug zu den in Drs. 20/12383 genannten Aufträgen (Fundziffern aus der Drucksache in Klammern ): 1. Liegt die gesamtstädtische Koordination für die Bearbeitung des kolonialen Erbes nach wie vor bei der Kulturbehörde? Wenn ja, wie ist sie innerhalb der Kulturbehörde verortet? Wenn nein, wo und wie wird sie dann wahrgenommen? Ja. Sie ist dort im Referat K 14 „Planetarium, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Erinnerungskultur “ verortet. 2. Hat die zuständige Behörde Maßnahmen ergriffen zur angemessenen Gestaltung der historischen Zeugnisse in Jenfeld (Ziffer c.)? Wenn ja, welche? Drucksache 21/4498 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn nein, warum nicht? Ja. Die Kulturbehörde vergibt den Auftrag für die regelmäßige Pflege und gärtnerische Unterhaltung der Anlage. Von verschiedenen Gruppen, wie beispielsweise dem Arbeitskreis Hamburg Postkolonial und dem Freundeskreis Dar es Salaam, werden Führungen im „Geschichtsgarten Deutschland – Tansania“ angeboten. 3. Hat die zuständige Behörde Maßnahmen ergriffen, um eine Stiftung oder einen Förderverein zu gründen (Auftrag Ziffer c.3) und mit welchem Ergebnis? Ja. Die Maßnahmen sind noch nicht abgeschlossen. 4. Hat die zuständige Behörde Maßnahmen ergriffen, um die Überarbeitung der von dem Beirat 2012 übergebenen Texte und Quellen in Gang zu setzen (Ziffer c.2)? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Ja. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums von Prof. Dr. Zimmerer, Universität Hamburg, soll die konkrete Ausgestaltung im Dialog mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel dem Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Migrantenorganisationen und den Kirchen , diskutiert werden. Dieses Symposium soll im Herbst 2016 stattfinden. 5. Hat die zuständige Behörde angesichts der Aktualität der Frage als gesamtstädtischer Auftrag die Hamburger Museen angeregt und/oder unterstützt, sich in ihrem jeweiligen Fachgebiet mit der Frage zu beschäftigen? Ja. Die Bearbeitung des Themas erfolgt im Rahmen der jährlichen Ausstellungs- und Programmplanung, die Gegenstand einer Beschlussfassung durch die Stiftungsräte und regelmäßig Grundlage für die Zuwendungserteilung ist. 6. Welche neuen angemessenen Ansätze im Sinne der oben angeführten Drucksache gibt es zu dem Thema („Stärkere Akzentuierung der kolonialen Vergangenheit in geeigneten städtischen Institutionen“, Ziffer d.) im a. Hamburg Museum, In der Dauerausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte befasst sich eine Sequenz im Bereich „Taktgeber Hafen“ mit den kolonialen Beziehungen Hamburgs in der Zeit vor und nach 1918. Diese Thematik soll im Rahmen der Neugestaltung der Dauerausstellung, die aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ermöglicht wird, künftig auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse erweitert werden. Die Neukonzeption wird unter Einbeziehung der Universität Hamburg und anderer mit der Forschung der Stadtgeschichte zu Aspekten des Kolonialismus und Postkolonialismus betrauten Institutionen fortentwickelt werden . Die in der Zuständigkeit des Bezirksamts Bergedorf liegende Bergedorfer Museumslandschaft zeigt seit November 2015 die Ausstellung „Kriegsschauplatz Ostafrika“, die sich der kolonialen Vergangenheit Hamburgs und der aktuellen Erinnerungskultur im öffentlichen Raum widmet. b. Altonaer Museum, Gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in Kooperation mit der Universität Köln wurde das Forschungsprojekt „Ambivalente Bilder. Fotos und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich 1880 – 1930“ durchgeführt und erfolgreich abgeschlossen. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wurden die Postkartenmotive bildanalytisch auf Basis der Fragestellungen der Postkolonialen Studien erforscht. Der Ansatz, jüngere Forschungsergebnisse der Postkolonialen Studien bei der Erarbeitung neuer Dauerausstellungen zu berücksichtigen, wird weiterverfolgt . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4498 3 c. Museum für Völkerkunde? Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius fördert das gemeinsame Forschungsprojekt „Koloniale Dokumente im Museum für Völkerkunde Hamburg: Afrika als Gegenstand kolonialer Fotografie“ der Stiftung Museum für Völkerkunde und der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Der Projektabschluss ist für März 2017 geplant. Darüber hinaus widmet sich das Museum mit der im November 2015 eröffneten Ausstellung „Africa’s Top Models“ dem Themenbereich „Koloniales Erbe“. Die Veröffentlichung einer Museums-App „Geführter Kolonialismus-Rundgang“ durch das Museum ist für Juni 2016 vorgesehen. 7. Der Senat verweist in der Drs. 20/12383 in Ziffer d.2 auf ein Kunstprojekt zum Thema Kolonialismus für den Zeitraum 2014/2015 unter dem Titel „Inverted Space“ (Kostenansatz 88.000 Euro). In einer Schriftlichen Kleinen Anfrage (Drs. 20/14595 vom 13.02.2015) hat die zuständige Behörde auf die folgenden Fragen noch nicht antworten können, da das Projekt noch nicht abgeschlossen war. Daher frage ich erneut, da das Projekt mittlerweile ausgewertet sein müsste: a. Wie hoch waren die Besucherzahlen und die Zahl der erreichten Personen des genannten Kunstprojektes „Inverted Space“? Das Projekt umfasste fünf Ein-Tages Installationen im öffentlichen Raum an markanten Orten kolonialer Geschichte und ein Künstlergespräch im Kunsthaus Hamburg in der Zeit vom 11. bis 15. September 2014. Die Installationen waren Vorbereitung für eine Intervention in Form einer Vitrine im öffentlichen Raum an einem prominenten Ort, dem Altonaer Balkon, die von Juni bis Ende August 2015 dort zu sehen war. Zu den terminierten Veranstaltungen, einschließlich der Eröffnung der öffentlichen Galerie , kamen insgesamt circa 600 Besucher. Die Installation am Altonaer Balkon stand im öffentlichen Raum und war innerhalb des genannten Zeitraums 24 Stunden täglich zugänglich. Die Zahl der so erreichten Bürgerinnen und Bürger wurde nicht erfasst. b. Wie sieht die zuständige Behörde die Bewertung dieses Kunstprojektes in Bezug auf Zielsetzung und Zielgruppen? Mit dem Projekt sollten mit künstlerischen Mitteln politische, kulturelle und historische Aspekte des kolonialen Erbes der Hansestadt öffentlich und für alle wahrnehmbar thematisiert werden. Diese Zielsetzung wurde erfüllt. 8. Drs. 20/12383 (Ziffer d.3) weist für die Zeit ab 2004 einige Kunstprojekte zum Thema der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe aus. a. Stimmt der Senat der Einschätzung zu, dass solche sehr persönlichen künstlerischen Auseinandersetzungen nur einen sehr kleinen, meist bereits engagierten Teil der Bevölkerung ansprechen, dass aber für die überfällige Schaffung eines breiteren Bewusstseins in Hamburg ein Kenntnisstand von sachlich-historischem Zusammenhängen Voraussetzung ist, der in hinreichender Breite zu vermitteln ist? Die persönliche künstlerische Auseinandersetzung ist grundsätzlich eine geeignete Form der Vermittlung. Kunst kann aber nicht die Rolle einer allumfassenden Aufklärung übernehmen. b. Und stimmt der Senat weiterhin der Einschätzung zu, dass dazu auch die Museen ein wichtiger Ort sind? Ja. Im Übrigen siehe Drs. 20/12383. 9. Teilt der Senat die Ansicht, dass die Auseinandersetzung mit dem „kolonialen Erbe“ und der Rolle Deutschlands in der Zeit von Kolonialismus und Imperialismus im Sinne des interfraktionellen Bürgerschaftsbeschlusses eine wichtige Aufgabe ist insbesondere Drucksache 21/4498 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. für junge Menschen in einer globalisierten Welt, Ja. b. für die Museen als wichtige Bildungsstäten und zur Unterstützung der Arbeit der Schulen, Ja. Im Übrigen siehe Drs. 20/12383. c. bezogen auf die Gelände in Jenfeld, die teilweise zugesperrt sind, teilweise als Orte kolonialistischer Propaganda (Kasernengelände) frei zugänglich, aber gänzlich unerklärt bleiben? Ja. Die Erhaltung repräsentativer Bauwerke und Ensembles ist ein kulturpolitischer Auftrag, um die bauliche Hinterlassenschaft als Sachzeugen der Geschichte der Nachwelt zu bewahren. Dies gilt auch für das Gelände in Jenfeld. Im Übrigen siehe Antwort zu 4.