BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4507 21. Wahlperiode 24.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 18.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Integration und Schulpflicht SPD-Schulsenator Rabe sagte vor Kurzem, „dass Kinder aller Religionen und Kulturen in Hamburg gern zur Schule gehen und es in Bezug auf die Schulpflichtverletzung keine auffälligen Unterschiede zwischen den Glaubensrichtungen gibt.“ (Pressemitteilung des Senats vom 18. April 2016). Tatsache aber ist, dass sehr wohl bisweilen Mädchen muslimischer Herkunft nicht am Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten teilnehmen. Auf die Anfrage der FDP-Fraktion, in welchem Umfang dies geschieht, teilte der Senat lediglich mit, die Zahlen „werden nicht zentral erfasst.“ (Drs. 21/3445, Fragen 13. – 16.). Dies begründete die Schulbehörde mit einem zu hohen Verwaltungsaufwand (Drs. 21/3597, Frage 2.). Daraufhin beantragte die FDP-Fraktion, den Schulen einen Leitfaden an die Hand zu geben, wie sie in solchen Fällen agieren sollen. Eine Befreiung von der Schulpflicht aus religiösen Gründen sollte damit in jedem Fall ausgeschlossen werden (Drs. 21/3896). Das Rot-Grün regierte Schleswig-Holstein hatte vor einigen Wochen erst eine Handreichung herausgegeben, die genau das vorsieht und in anderen Punkten sogar noch wesentlich strikter formuliert ist. Nicht zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht 2013 entschieden, dass das Tragen eines Burkinis im Schwimmunterricht einen annehmbaren Kompromiss mit der Religionsfreiheit darstellt (BVerwG, Urteil vom 11.09.2013 – 6 C 25.12). In der Bürgerschaft am 11. Mai 2016 lehnten SPD und GRÜNE diesen Antrag ab. Schulsenator Rabe erklärte in der Debatte, solche Fälle gebe es in Hamburg überhaupt nicht. Ohnehin seien grundsätzlich keine Ausnahmen von der Schulpflicht gestattet – auch nicht aus religiösen Gründen. Allerdings findet sich in der aktuellen Handreichung „Vielfalt in der Schule. Religiöse Fragen in der Schule. Sport- und Schwimmunterricht. Sexualerziehung. Schulfahrten“ der Schulbehörde von Juli 2015 auf Seite 17 die Formulierung: „Werden gegen die Teilnahme einer Schülerin oder eines Schülers am koedukativen Sportunterricht religiöse Gewissenskonflikte glaubhaft gemacht, kann im Ausnahmefall und nach Prüfung sämtlicher Alternativen einem Antrag auf zeitweilige Befreiung vom Sportunterricht oder von einzelnen Übungen stattgegeben werden.“ (http://li.hamburg.de/publikationen/ publikationen/2819050/interkulturelle-erziehung/). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Recht der Schülerinnen und Schüler, sich zu einer Religion zu bekennen (aktive Religionsfreiheit) und Religionsbekundungen anderer nicht wahrnehmen zu müssen (passive Religionsfreiheit), kann durch ein einfaches Gesetz nicht eingeschränkt wer- Drucksache 21/4507 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 den, es ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in praktischer Konkordanz zu einem Ausgleich mit den widerstreitenden Ansprüchen des Staates aus der Schulpflicht zu bringen. Wie auch in der Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtes Hamburg bestätigt, haben Schülerinnen und Schüler und bis zu deren Religionsmündigkeit ihre Sorgeberechtigten jederzeit das Recht, unter Berufung auf entgegenstehende religiöse Verpflichtungen eine Befreiung von einzelnen schulischen Veranstaltungen zu beantragen. Die Schule hat dann im Einzelfall Ermessen auszuüben , ob dem Wunsch nach einer religiösen Praxis oder der Erfüllung der Schulpflicht Vorrang gebührt. Für die hohen religiösen Feststage der in Hamburg verbreiteten Konfessionen hat die Behörde für Schule und Berufsbildung festgelegt, wann Unterrichtsbefreiung zu gewähren ist. In der Praxis gibt es – über hohe Festtage hinaus – solche Anträge in Bezug auf die Teilnahme an Schulfahrten und dem Sportunterricht sowie einzelnen schulischen Veranstaltungen (Besuch eines Weihnachtsmärchens, Sexualkunde). In der Entscheidung vom 11. September 2013 hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt: „Der einzelne Schüler kann gestützt auf von ihm für maßgeblich erachtete religiöse Verhaltensgebote nur in Ausnahmefällen die Befreiung von einer Unterrichtsveranstaltung verlangen. Einer Schülerin muslimischen Glaubens ist die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht in einer Badebekleidung zumutbar , die muslimischen Bekleidungsvorschriften entspricht.“ (BVerwG, vom 11. September 2013 – 6 C 25/12 –). Dies entspricht der langjährigen Beratungspraxis der Schulen durch die zuständige Behörde. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gibt es in Hamburg prinzipiell die Möglichkeit, von der Schulpflicht befreit zu werden aus religiösen Gründen? 2. Gibt es in Hamburg die Möglichkeit, aus speziellen Gründen, die mit einer religiösen Überzeugung zusammenhängen, eine temporäre Befreiung vom Schulunterricht zu erwirken? Oder auch statt der Teilnahme an einem Schulfach (zum Beispiel koedukativer Sportunterricht oder Schulschwimmen ) zeitgleich an einem anderen Fach teilzunehmen? Siehe Vorbemerkung. 3. Obliegt eine solche Entscheidung allein dem jeweiligen Lehrer? Inwieweit wird die Schulleitung bei der Genehmigung mit einbezogen? Welche Rolle spielt dabei die Schulbehörde? Die Befreiung für einzelne Tage oder einzelne schulische Veranstaltungen obliegt der Schule, § 28 Absatz 3 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG), die Zuständigkeit in der Schule selbst regelt die Schulleitung. In den wenigen Fällen, in denen kein Verständnis für die Rechtslage erreicht werden kann, berät die Rechtsabteilung die Schulleitungen . 4. Wie erklärt der Senat den Widerspruch zwischen der Aussage von Schulsenator Rabe in der Bürgerschaft am 11. Mai 2016 und der Formulierung in der Broschüre „Vielfalt in der Schule“? Die der Frage zugrunde liegende Annahme eines Widerspruchs ist falsch. Die Handreichung „Vielfalt in der Schule“ verweist darauf, dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit eines Antrages auf Befreiung vom koedukativen Sportunterricht gegeben ist, diese jedoch noch keine Aufhebung der Schulpflicht bedeutet. Zum einen muss der Gewissenskonflikt glaubhaft begründet werden (die Zugehörigkeit zu einer Religion/Glaubensrichtung allein reicht nicht aus), zum anderen werden diese Schülerinnen alternativ beschult, sollte einem solchen Antrag stattgegeben werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Die Ausführungen des Präses der Behörde für Schule und Berufsbildung in der Bürgerschaft geben die Praxis an Hamburger Schulen richtig wieder.