BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4509 21. Wahlperiode 27.05.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 19.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Opferschutz vor Täterschutz bei der Veröffentlichung von Abbildungen zur Aufklärungs- und Identitätsfahndung Bereits am 25. Oktober des vergangenen Jahres hat eine 60 bis 70 Jahre alte Frau ein offenbar zu ihr und ihrer männlichen Begleitung gehörendes etwa sechs Jahre altes Mädchen in einer S-Bahn misshandelt. Erst jetzt wurde eine Veröffentlichung eines Bildes aus der Videoüberwachung erwirkt. Die Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Abbildungen zur Aufklärung und Identitätsfeststellung bildet § 131b StPO. Im Gegensatz zur Öffentlichkeitsfahndung nach § 131 Absatz 3 StPO, bei der nach einer Person gefahndet wird, gegen die bereits ein Haftbefehl vorliegt, geht es im Rahmen von § 131b StPO vorwiegend um die Identitätsfeststellung noch unbekannter Tatverdächtiger. Ein einfacher Tatverdacht reicht hier für eine Veröffentlichung aus. Da diese allerdings subsidiär anzuwenden und die Entscheidung über eine Veröffentlichung dem Ermittlungsrichter vorbehalten ist, kommt sie oftmals viel zu spät zum Einsatz. Hier muss Opferschutz vor Täterschutz kommen und deshalb müssen – auch vor dem Hintergrund des großen Erfolgs dieses Instruments – entsprechende Bilder frühzeitiger veröffentlicht werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Beschuldigte, der der Vorwurf der Misshandlung ihres sechsjährigen Enkelkindes während einer S-Bahn-Fahrt in Hamburg zur Last gelegt wird, war zur Tatzeit am 25. Oktober 2015 55 Jahre alt. Das bei der Öffentlichkeitsfahndung verwendete Bild entstammt nicht der Videoüberwachung, sondern wurde von einer den Sachverhalt anzeigenden Bürgerin zur Verfügung gestellt. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen , sodass nicht feststeht, ob die Beschuldigte die ihr zur Last gelegte Tat tatsächlich begangen hat und wie sich gegebenenfalls der Tatablauf darstellt. Insbesondere dann, wenn eine Kindeswohlgefährdung zu befürchten ist, sollte die Einleitung einer Öffentlichkeitsfahndung zügig erfolgen. Im vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen für die Einleitung der Öffentlichkeitsfahndung , namentlich der konkrete Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung, jedoch lange Zeit nicht vor, da sich aus der Strafanzeige zunächst nur eine vage Sachverhaltsschilderung ergab und in ihr insbesondere Schläge gegen das Kind nicht erwähnt wurden. Erst die von der Staatsanwaltschaft veranlassten Nachermittlungen haben zu einer Konkretisierung und Erweiterung des Tatverdachts geführt und so die erfolgreiche Beantragung eines Beschlusses zur Veröffentlichung von Lichtbildern der Verdächtigen ermöglicht. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/4509 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde zu diesem Fall vor? Am 25. Oktober 2015 zeigte eine Zeugin am Polizeikommissariat 14 an, dass sie in der S-Bahn einen Vorfall zum Nachteil eines Kindes beobachtet habe, bei dem dieses von einer älteren Frau geschüttelt, geschubst und zu Boden gedrückt worden sei. Sie gab darüber hinaus an, den Vorfall mit dem Handy gefilmt zu haben. Zur Akte genommen wurden allerdings nicht die vermeintliche Aufzeichnung des Vorgangs, sondern lediglich Lichtbilder der vermeintlichen Täterin, die die Anzeigende noch am selben Tag an die Polizei übersandte. Die Anzeige umfasste eine halbe Seite, wobei die Angaben der Zeugin nicht wörtlich wiedergegeben wurden und der Sachverhalt vage blieb. Die Videoaufzeichnung aus dem S-Bahn-Wagen konnte nicht gesichert werden, da die Bundespolizei, an die die Sache zuständigkeitshalber abgegeben worden war, zunächst die Bilder für den falschen Wagen anforderte und die Aufzeichnungen aus dem richtigen Wagen nach Bemerken dieses Fehlers bereits von der Bundesbahn gelöscht worden waren. Am 28. November 2015 verfasste die Bundespolizei einen „Schlussbericht“, den sie der Staatsanwaltschaft übersandte. Darin befand sich die Anmerkung, die Lichtbilder seien für eine Ausschreibung im LKA-Blatt geeignet. Eine Öffentlichkeitsfahndung durch Veröffentlichung in öffentlich zugänglichen Medien wurde nicht angeregt. Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft entschied, dass aufgrund der vagen Sachverhaltsschilderung weitere Ermittlungen, insbesondere die erstmalige ausführliche Vernehmung der Anzeigenden, die erstmalige Befragung ihrer Tochter, die ebenfalls Zeugin war sowie die Sicherung der Videoaufzeichnung erforderlich waren. Dies verfügte sie am 12. Januar 2016, woraufhin die Akte am 3. Februar 2016 an die Bundespolizei versandt wurde. Anhaltspunkte für eine so erhebliche Straftat, welche eine Veröffentlichung gerechtfertigt hätten, lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Die Vernehmungen der Zeuginnen erfolgten bis zum 14. März 2016. Dabei schilderte die Anzeigende mehrere Schläge der Täterin mit der Faust gegen den Kopf des Kindes . Ob sie dies anlässlich der ursprünglichen Anzeigeerstattung nicht erwähnt hat, oder ob dies von dem die Anzeige aufnehmenden Beamten nicht vermerkt worden ist, ist ungeklärt. Die nunmehr ermittelnde Bundesbeamtin sah die Videoaufzeichnung vom Handy der Zeugin an und vermerkte, dass eine Tathandlung nicht zu erkennen sei. Es seien die Frau, das Kind und ein männlicher Begleiter zu sehen. Eine Sicherung des Videos durch die Bundespolizei fand entgegen der staatsanwaltschaftlichen Verfügung erneut nicht statt. Am 23. März 2016 ging die Akte erneut bei der Staatsanwaltschaft ein, die sie am 31. März 2016 an die Bundespolizei zurücksandte, um nunmehr die Videoaufzeichnung und ein Bild des Begleiters der Täterin zwecks Prüfung seiner Identität zur Akte zu nehmen. Die Akte ging am 7. April 2016 erneut bei der Staatsanwaltschaft ein, wurde am 15. April 2016 erfasst. Am 27. April 2016 stellte die Dezernentin beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf öffentliche Fahndung, weil die Tat sich durch die Schilderung der Faustschläge als deutlich gravierender darstellte, als dies bei der Erstbefassung der Staatsanwaltschaft mit der Sache der Fall war. Der entsprechende Beschluss wurde am 29. April 2016 erlassen. Die Akte ging am 3. Mai 2016 wieder bei der Staatsanwaltschaft ein und wurde am 4. Mai 2016 wieder an die Bundespolizei abverfügt . Nach Einleitung der Öffentlichkeitsfahndung am 17. Mai 2016 stellte sich die Beschuldigte am gleichen Tag der Polizei. 2. In welcher Beziehung steht das Kind zu der Tatverdächtigen? Die Beschuldigte ist die Großmutter des Kindes, für das ihr die Pflegschaft übertragen wurde. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4509 3 3. Wurde eine weitere Gefährdung des Kindes während der Ermittlungszeit ausgeschlossen? Wenn ja, wie? Den Ermittlungsbehörden war die Identität des Kindes und der Beschuldigten bis zum Abend des 17. Mai 2016 nicht bekannt. Danach informierte die Bundespolizei noch in der Nacht zum 18. Mai 2016 den KJND und am folgenden Vormittag den ASD des Bezirksamtes Eimsbüttel. 4. Wird das Kind beziehungsweise die Familie mittlerweile betreut? Wenn ja, wie? Das Kind wurde mittlerweile aus dem Haushalt der Beschuldigten genommen und ihrer leiblichen Mutter übergeben. 5. Wie gelangten die Ermittlungsbehörden an das Bildmaterial? Bei dem für die Öffentlichkeitsfahndung letztlich genutzten Bildmaterial handelt es sich um eines der Lichtbilder, die die Zeugin der Polizei am 27. Oktober 2015 überlassen hat. 6. Wie viel Zeit verging zwischen der Beschaffung geeigneten Bildmaterials und dessen Veröffentlichung? Warum verging so viel Zeit? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 7. Wie lange dauerte es bis die Ermittlungspersonen die Abbildungen an den zuständigen Ermittlungsrichter weiterleiteten? Warum dauerte dies so lange? 8. Wie lange dauerte es, bis der Ermittlungsrichter eine Entscheidung über die Veröffentlichung fällte? Warum dauerte dies so lange? Siehe Antwort zu 1. 9. Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die bisherige Praxis bei Abbildungsveröffentlichungen zur Aufklärung und Identitätsfeststellung vor dem Hintergrund, dass sie sich als besonders geeignetes Mittel erwiesen hat, um Tatverdächtige schnell ausfindig zu machen? Ob und zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Veröffentlichung von Lichtbildern eines vermeintlichen Täters in öffentlichen Medien vorliegen, ist immer eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Dabei geht die Staatsanwaltschaft nicht davon aus, dass sich aus der Subsidiaritätsklausel des § 131b Absatz 1 StPO ein allgemein geltender Grundsatz ergibt, wonach in jedem Fall sämtliche zur Verfügung stehenden Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich auszuschöpfen sind, bevor eine Öffentlichkeitsfahndung veranlasst werden darf. Vielmehr können aufgrund besonderer Umstände die vorhandenen Mittel zur Erkenntnisgewinnung als im Sinne des § 131b Absatz 1 StPO erheblich weniger Erfolg versprechend anzusehen sein, sodass auch unmittelbar ein Beschluss zur Öffentlichkeitsfahndung erwirkt werden kann. Die Dezernenten der Staatsanwaltschaft sind daher gehalten, stets frühzeitig das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsfahndung zu prüfen und diese gegebenenfalls zu veranlassen. Im konkreten Fall ging es allerdings nicht darum, andere Ansätze zur Ermittlung der vermeintlichen Täterin auszuschöpfen, sondern es musste angesichts der unklaren Angaben in der Eingangsanzeige zunächst aufgeklärt werden, was sich überhaupt ereignet hat. Da es sich bei der Öffentlichkeitsfahndung um eine schwerwiegenden Eingriff in die Rechte einer Person handelt, die nicht nur vor dem Gesetz als unschuldig zu gelten hat, sondern dies möglicherweise auch ist, kann eine solche Maßnahme nur dann erfolgen, wenn zuvor jedenfalls geklärt ist, dass der nicht bloß vage Tatverdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung besteht. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst.