BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4613 21. Wahlperiode 03.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 27.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Einsatz der verdeckt ermittelnden Beamtin „Astrid Schütt“ Erneut wurde eine Polizeibeamtin enttarnt, die von 2006 bis 2013 in verschiedenen linken Szenen verdeckt ermittelt haben soll. Diese soll ihre „Karriere “ als verdeckt ermittelnde Beamtin 2006 im selbstverwalteten und unkommerziellen Jugendzentrum „Unser Haus e.V. – Freiheit für Ideen“ (Café Flop) begonnen haben. Auf der Website des Bergedorfer Jugendzentrums heißt es: „Wir bieten auf 400qm Jugendlichen Freiräume zur selbstbestimmten Entfaltung.“ Schwerpunkt der Arbeit des Jugendzentrums ist unter anderem „die gewaltfreie Konfliktlösung“. Das selbstverwaltete Jugendzentrum ist Träger der freien Jugendhilfe und im Bergedorfer Jugendhilfeausschuss vertreten . Es erhält jährlich durch Beschluss des Jugendhilfeausschusses finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln. Laut „Bergedorfer Zeitung“ vom 18.5.2016 „nutzte die Ermittlerin des Hamburger Landeskriminalamtes den Bergedorfer Jugendtreff als Türöffner für ihre Tätigkeit als Undercover-Polizistin“. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Von wann bis wann genau war „Astrid Schütt“ als verdeckt ermittelnde Beamtin eingesetzt? 2. War sie eingesetzt als Beamtin für Lagebeurteilungen, als verdeckte Ermittlerin oder in beiden Funktionen? a. Wenn in beiden Funktionen: von wann bis wann in welcher Funktion ? 3. Wenn als verdeckte Ermittlerin: auf welcher Rechtsgrundlage und in wessen Auftrag? 4. Wenn als verdeckte Ermittlerin: War die Staatsanwaltschaft jeweils nicht nur über das Einsatzziel von „Astrid Schütt“ informiert, sondern auch über ihre Einsatzorte? War sie insbesondere informiert über ihren Einsatz im selbstverwalteten Jugendzentrum in Bergedorf, im Altonaer Antifa -Jugendcafè „Mafalda“ und über die von der Beamtin gegründeten Gruppe „Nella facchia“, in der bis auf „Astrid Schütt“ ausschließlich junge Menschen organisiert gewesen sein sollen? 5. Auf welcher Rechtsgrundlage fand im Besonderen der Einsatz der verdeckt ermittelnden Beamtin im selbstverwalteten Jugendzentrum „Unser Haus e.V.“ statt? Wer verantwortet die Anordnung zu diesem Einsatz? Drucksache 21/4613 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 6. Von wann bis wann ermittelte „Astrid Schütt“ verdeckt im Jugendzentrum „Unser Haus e.V.“? 7. An welchen Gruppen (siehe http://unserhausev.de/gruppen.html) und Diskussionsprozessen zu welchen Themen nahm „Astrid Schütt“ hier teil? 8. Wie bewertet der Senat aus heutiger Sicht a. den Einsatz in einem selbstverwalteten Jugendzentrum? Inwiefern hält er die Idee der Selbstverwaltung und der selbstbestimmten Entfaltung für vereinbar mit verdeckter polizeilicher Ermittlung und damit verbundener Eingriffe in selbstbestimmte Tätigkeiten und der Beeinflussung von Meinungs- und Willensbildungsprozessen? b. den Einsatz in einem selbstverwalteten Jugendzentrum unter der Maßgabe, dass der Einsatz von List, Tücke, Täuschung, Lüge, Erschleichen von Vertrauen und so weiter zu den Wesensmerkmalen verdeckter Ermittler/-innen gehört? Inwiefern sieht der Senat die Grundsätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie Kinderund Jugendrechte tangiert? c. die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes im selbstverwalteten Jugendzentrum „Unser Haus e.V.“? d. die Tatsache, dass verdeckt ermittelt wurde in einer Einrichtung, die nach Maßgabe demokratischer Entscheidungen eines demokratisch legitimierten Gremiums öffentlich gefördert wird? 9. Waren Mitglieder des Bergedorfer Jugendhilfeausschusses, in dem neben Bezirksabgeordneten auch die Jugendhilfeträger sowie Vertreter unter anderem der Polizei mitarbeiten, vom Einsatz der verdeckt ermittelnden Beamtin im Jugendzentrum informiert? Eine Beamtin des Landeskriminalamtes Hamburg war unter der Legende Astrid Schütt ab dem 1. März 2007 bis zum 3. Oktober 2013 durch die Abteilung Staatsschutz verdeckt eingesetzt. Der Einsatz erfolgte nach den aktuell vorliegenden Erkenntnissen als verdeckte Ermittlerin gemäß § 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG). Hierfür liegen aufeinander folgende Anordnungen über den Einsatzzeitraum vor. Aus den vorliegenden Anordnungsunterlagen ergeben sich zwischen einzelnen Anordnungen zeitliche Lücken, für die keine Anordnung aufgefunden werden konnte. Eine Klärung, ob die Beamtin in dieser Zeit als Beobachterin für Lagebeurteilung (BfL) gemäß § 2 PolDVG in Verbindung mit der damaligen Dienstanweisung „Einsatz von Beobachtern für Lagebeurteilung des LKA 8“ eingesetzt worden sein könnte, ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die Anordnungen zum Einsatz nach § 12 PolDVG wurden durch den jeweiligen Polizeipräsidenten oder seinen Vertreter im Amt getroffen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand stimmte die Staatsanwaltschaft entsprechend der gesetzlichen Vorschriften den Anträgen zum Einsatz als verdeckte Ermittlerin zu. Da für einen erfolgreichen operativen Einsatz eine ausreichende Flexibilität bei situativ notwendigen Entscheidungen über Einsatzorte oder die Aufnahme von Kontakten erforderlich ist, können Detailregelungen in diesen Anordnungen nicht enthalten sein. Die operative Durchführung des jeweiligen Einsatzes sowie die Aktenführung oblag und obliegt der Polizei. Aus der dargestellten Situation zur dokumentierten Anordnungslage folgt auch, dass eine sichere Aussage, welche Tätigkeit in der Zeit, in der der Einsatz auf der Basis des Instrumentes Beobachterin für Lagebeurteilung erfolgt ist, derzeit nicht möglich ist. Der Senat hat deutlich gemacht, dass der verdeckte Einsatz von Beamtinnen und Beamten zur Gewinnung von für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erforderlichen Informationen nur noch auf Grundlage des § 12 PolDVG erfolgt. Diese Entscheidung galt zum Zeitpunkt des Einsatzes der Beamtin unter der Legende Astrid Schütt jedoch noch nicht. Bei dem Einsatz verdeckter Ermittler kann es zur Erlangung der für die Gefahrenabwehr erforderlichen Informationen notwendig sein, auch in Objekten tätig zu werden, in denen sich Angehörige/Mitglieder von relevanten Gruppen beziehungsweise Zusammenhängen aufhalten, auch wenn das Objekt beziehungsweise dessen Träger Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4613 3 selbst nicht Gegenstand des Einsatzauftrages ist. Soweit das Objekt beziehungsweise dessen Träger nicht einem besonderen spezifischen gesetzlichen Schutz unterliegt, ist dies von den Einsatzaufträgen umfasst. Der Einsatz erfolgt dabei unter Beachtung der Voraussetzungen aus den einschlägigen Rechtsvorschriften, abhängig von dem Zweck des Einsatzes nach Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr (§ 110b StPO beziehungsweise § 12 PolDVG). Den speziellen Anforderungen eines verdeckten Einsatzes folgend werden über solche Einsätze grundsätzlich nur die Personen informiert , die für die Einsatzführung zwingend informiert sein müssen. Das beschränkt sich grundsätzlich auf die Beamtinnen und Beamten in der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamtes.