BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4670 21. Wahlperiode 07.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Joachim Lenders (CDU) vom 31.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Täterschutz vor Opferschutz? Ist der Hamburger Justiz das Persönlichkeitsrecht einer mutmaßlichen Straftäterin wichtiger als das Kindeswohl ? Erst sieben Monate nach der mutmaßlichen Tat hat die Staatsanwaltschaft Hamburg mit einem Bild öffentlich nach einer Beschuldigten gefahndet, die dringend verdächtig ist, in einer S-Bahn ein Kind körperlich misshandelt zu haben. Dieser Sachverhalt war unter anderem dem „Hamburger Abendblatt“ vom 20. Mai 2016 zu entnehmen. Offensichtlich wurde das Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten höher gewichtet, als das Kindeswohl und Schutzrecht eines kleinen Mädchens, das nach der mutmaßlichen Tat über weitere sieben Monate hinweg möglicherweise einer offenbar gewalttätigen Großmutter ausgeliefert war. Insbesondere die in der Vergangenheit immer wieder festgestellten Kindesmisshandlungen in Hamburg, mit teilweise dramatischen Folgen für die Opfer, hätten eigentlich zu einer deutlichen Sensibilisierung bei den zuständigen Behörden führen müssen. Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: 1. Ist dem Senat oder der zuständigen Behörde bekannt, ob es im oben beschriebenen Sachverhalt weitere körperliche oder psychische Misshandlungen des Kindes durch die Großmutter, insbesondere nach dem Vorfall in der S-Bahn, gegeben hat? Soweit die erfragten Informationen personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, handelt es sich um Sozialdaten (§ 67 Absatz 1 S. 1 SGB X), die der Senat gemäß § 67 d Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Einwilligungen zur Datenübermittlung liegen nicht vor. Hinsichtlich der erfragten Informationen, die personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, ist der Senat daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 61 fortfolgende SGB VIII, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Beantwortung der Fragen gehindert. Der Staatsanwaltschaft liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschuldigte das Kind vor dem Vorfall in der S-Bahn oder danach körperlich oder psychisch misshandelt hat. 2. Wann genau ist die Anzeige/Akte der Bundespolizei bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eingegangen? Die Akte der Bundespolizei ging vor dem 14. Dezember 2015, als die Eintragung des Vorgangs als Unbekanntverfahren verfügt wurde, bei der Staatsanwaltschaft ein. Drucksache 21/4670 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 3. Sind aus der Anzeige/Akte der Bundespolizei Hinweise auf eine Kindesmisshandlung zu erkennen? Wenn dies nicht der Fall sein sollte, was ist dann genau der Tatvorwurf in der Anzeige/Akte der Bundespolizei? Als die Akte bei der Staatsanwaltschaft einging, enthielt sie die am 25. Oktober 2015 durch eine Zeugin am Polizeikommissariat 14 erstattete Strafanzeige, welche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Körperverletzung und Nötigung zum Nachteil eines Kindes enthielt, das Tatgeschehen jedoch nur vage schilderte. Im Übrigen siehe Drs. 21/4509. 4. Wann genau (Datum) lag der Staatsanwaltschaft Hamburg das besagte Foto, welches später zur Öffentlichkeitsfahndung genutzt wurde und die mutmaßliche Täterin zeigt, vor? Siehe Drs. 21/4509. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 5. Hatte es vor der Öffentlichkeitsfahndung mit dem Foto der mutmaßlichen Täterin eine interne Fahndung mit dem Foto gegeben? Wenn nein, warum nicht? Nach Auffassung der ermittelnden Staatsanwältin lagen aufgrund der vagen Sachverhaltsschilderungen auch die Voraussetzungen für eine Ausschreibung im LKA-Blatt noch nicht vor. Eine solche interne Fahndung war auch in Anbetracht der Sachlage wenig erfolgversprechend, da eine Wiedererkennung durch Polizeibeamte eher bei polizeibekannten Wiederholungstätern erfolgreich ist. Dafür lagen hier allerdings keine Anhaltspunkte vor. 6. Es gibt öffentliche Aussagen der Staatsanwaltschaft gegenüber Medien, dass die gesamte Tragweite der Tatumstände (mögliche Kindesmisshandlung beziehungsweise Kindeswohlgefährdung) erst im März 2016 offenkundig wurde. Ist dies zutreffend? Wenn ja, welche genauen Umstände und Ereignisse führten dazu, dass erst zu diesem Zeitpunkt diese Umstände und Ereignisse bekannt wurden ? 7. Wann genau wurde nach Abschluss der Ermittlungen die Öffentlichkeitsfahndung beantragt? Siehe Drs. 21/4509. 8. Wie häufig kam es seit dem 1. Januar 2014 in Hamburg zu Öffentlichkeitsfahndungen ? 9. Welche konkreten Tathandlungen haben im Einzelnen zu den Öffentlichkeitsfahndungen seit dem 1. Januar 2014 geführt und welche Zeiträume lagen zwischen den Strafanzeigen beziehungsweise der Einleitung von Ermittlungsverfahren und den eingeleiteten Öffentlichkeitsfahndungen? 10. In welchen der aufgeführten Öffentlichkeitsfahndungen (siehe Fragen 8. und 9.) führten diese in der Konsequenz zum Aufgriff der oder des Täters beziehungsweise zur Aufklärung der Straftat? Der Umstand, ob in einem Ermittlungsverfahren eine Öffentlichkeitsfahndung erfolgt, wird im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA nicht erfasst und die betreffenden Verfahren können auch nicht anderweitig verlässlich ermittelt werden. Da § 131b StPO keinen Straftatenkatalog vorsieht, müssten zur Beantwortung der Fragen sämtliche Bekannt- und Unbekannt-Verfahren der Staatsanwaltschaft beigezogen und ausgewertet werden. Dies ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. Statistiken im Sinne der Fragestellung werden auch bei der Polizei nicht geführt. Bei der Polizei werden Öffentlichkeitsfahndungen nach vermissten Personen und Straftätern entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auf Veranlassung der sachbearbeitenden Polizeidienststelle grundsätzlich über die Pressestelle der Polizei veröffentlicht . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4670 3 Für die Beantwortung der Fragestellungen wäre eine Auswertung sämtlicher veröffentlichter Pressemitteilungen der Polizei aus dem erfragten Zeitraum und daran anschließend die Auswertung der entsprechenden Vorgänge an den für die Sachbearbeitung des Einzelfalls zuständigen Dienststellen erforderlich. Dies ist in der für eine Schriftliche Kleine Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. 11. Gibt es Bestrebungen vonseiten des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde, das aktuelle – häufig zeitlich verzögerte – Verfahren der Öffentlichkeitsfahndung zu überdenken beziehungsweise zu modifizieren? Die Frage, zu welchem Zeitpunkt eines Ermittlungsverfahrens eine Öffentlichkeitsfahndung in Betracht kommt, ist immer im Einzelfall zu beurteilen. Die Beantragung eines entsprechenden Beschlusses kommt erst dann in Betracht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Zu dem allgemeinen Verfahren siehe Drs. 21/4509. 12. Beabsichtigt der Senat gegebenenfalls auf Bundesebene initiativ zu werden, um eine Modifizierung der Strafprozessordnung (StPO) hinsichtlich der Öffentlichkeitsfahndung zu erreichen? Die Vorschrift des § 131b StPO gibt letztlich nur die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine derart eingriffsintensive Maßnahme wider. Eine verfassungsgemäße Regelung, die es erlauben würde, eine möglicherweise unschuldige Person unter Veröffentlichung eines Bildes einer Straftat zu bezichtigen, ohne dass wenigstens der konkrete Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt, ist kaum vorstellbar .