BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4672 21. Wahlperiode 07.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Philipp Heißner und Dennis Gladiator (CDU) vom 31.05.16 und Antwort des Senats Betr.: Opferschutz vor Täterschutz bei der Veröffentlichung von Abbildungen zur Aufklärungs- und Identitätsfahndung – Nachfragen Durch die Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/4509 wird deutlich, dass es fast sieben Monate gedauert hat, bis die Öffentlichkeitsfahndung nach der Frau, die ihre Enkelin in einer Hamburger S-Bahn erheblich misshandelte, eingeleitet wurde. Und das, obwohl eine Zeugin sich umgehend nach dem Vorfall am 25. Oktober 2015 an die Polizei wandte und Lichtbilder der Tatverdächtigen zur Verfügung stellte, die von der Bundespolizei am 28. November 2015 mit dem Schlussbericht an die Staatsanwaltschaft übersandt wurden. Da den Ermittlungsbehörden erst aufgrund der Öffentlichkeitsfahndung die Identität des Kindes und der Beschuldigten am 17. Mai 2016 bekannt wurde, wurden der KJND und der ASD des Bezirksamtes Eimsbüttel erst sodann informiert. Bis dahin lebte das Kind weiter bei der Tatverdächtigten. Mittlerweile wurde das Kind aus dem Haushalt der Beschuldigten, ihrer Großmutter, der zuvor die Pflegschaft für das Kind übertragen wurde, genommen und der leiblichen Mutter übergeben. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Soweit die erfragten Informationen personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, handelt es sich um Sozialdaten (§ 67 Absatz 1 S. 1 SGB X), die der Senat gemäß § 67 d Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Einwilligungen zur Datenübermittlung liegen nicht vor. Hinsichtlich der erfragten Informationen, die personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, ist der Senat daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 61 fortfolgende SGB VIII, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Beantwortung der Fragen gehindert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gibt es Regelungen oder Anweisungen, nach denen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kindesmisshandlungen bei der Staatsanwaltschaft prioritär zu behandeln sind? Falls ja, welchen konkreten Inhalt haben diese Regelungen beziehungsweise Anweisungen? Falls ja, inwiefern wurden sie in diesem Fall beachtet? Drucksache 21/4672 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Falls nein, weshalb nicht und inwiefern beabsichtigt die zuständige Behörde, vor dem Hintergrund der tragischen Fälle von Kindesmisshandlungen in Hamburg entsprechende Regelungen zu erlassen? Für Jugendschutzsachen besteht bei der Staatsanwaltschaft eine Sonderzuständigkeit . Sie werden in der Hauptabteilung IV zusammen mit Jugendsachen bearbeitet. Für beide Verfahrensbereiche gilt, dass schutzwürdige Interessen von Kindern und Jugendlichen bei der Sachbearbeitung stets zu beachten sind. Dem insoweit bestehenden Gebot der zügigen Sachbearbeitung wird durch die Bearbeitung in der Hauptabteilung IV der Staatsanwaltschaft Rechnung getragen. Innerhalb des Dezernats hat die zuständige Staatsanwältin beziehungsweise der zuständige Staatsanwalt eine Priorisierung vorzunehmen, wobei die Schwere des Tatvorwurfs sowie der Grad der bestehenden Kindes- und Jugendwohlgefährdung im Vordergrund stehen. Die gegebenenfalls bestehende vorrangige Verfahrensbearbeitung wird durch ein internes Controlling überwacht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die Abteilungsleiter und die Hauptabteilungsleiterin in regelmäßigen Abständen Kenntnisse über den Stand der Sache verschaffen und so gegebenenfalls dienstaufsichtlich mit verfahrensfördernden Anordnungen tätig werden können. Im vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen für eine prioritäre Förderung des Verfahrens zunächst nicht vor. Erst aufgrund der Ergebnisse der von der Staatsanwaltschaft veranlassten weiteren Ermittlungen war eine neue Bewertung des Tatvorwurfs und der Kindeswohlgefährdung vorzunehmen. Im Übrigen siehe Drs. 21/4509. 2. Wie beurteilen es die zuständigen Behörden, dass das Mädchen, das so erheblich misshandelt wurde, über sechs weitere Monate bei der Beschuldigten lebte, ehe es aus deren Haushalt herausgenommen wurde ? Der Vorfall in der Hamburger S-Bahn und die Identität der Personen waren dem zuständigen Jugendamt vor dem 18. Mai 2016 nicht bekannt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 3. In welchem gesundheitlichen Zustand befand sich das Kind, als es aus dem Haushalt der Beschuldigten genommen wurde? 4. Was war der konkrete Grund für die Entscheidung, das Mädchen aus dem Haushalt der Beschuldigten zu nehmen? 5. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Stellen über die Umstände der Misshandlung des kleinen Mädchens vor? 6. Wann wurde das Mädchen wo geboren und wer hatte das Sorgerecht zu welcher Zeit für das Kind? In welcher Obhut befindet sich das Mädchen zurzeit? Bitte nach Datum, Sorgerechtsinhaber und Aufenthaltsort des Mädchens aufschlüsseln. Siehe Vorbemerkung. 7. Laut ersten Medienberichten wohnte das Mädchen zusammen mit der Pflegemutter und ihrem Mann in einer Wohnung in Hamburg-Eidelstedt. Gibt es bereits erste Informationen, ob weitere Personen in dieser Wohnung wohnten? Hatte die Pflegemutter das Sorgerecht für weitere Pflegekinder ? Nach polizeilichen Erkenntnissen haben die Geschädigte, die Pflegemutter und deren Ehemann sowie eine erwachsene Tochter in der Wohnung gewohnt. Darüber hinaus liegen der Polizei Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung nicht vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Welche Hintergründe liegen der Unterbringung des Mädchens in einer Pflegefamilie zugrunde? 9. Hat das Mädchen Geschwister? Wenn ja, sind auch hier Misshandlungen bekannt? In welcher Obhut befinden sich die Geschwister derzeit? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4672 3 10. Ab welchem Zeitpunkt stand die Familie des Mädchens unter Aufsicht des Jugendamtes? Bitte unter Benennung des genauen Datums angeben . a. Seit wann und wie lange sind jeweils welche staatlichen Stellen mit der Familie und dem Mädchen beschäftigt? b. Welche Abteilung/-en des zuständigen Jugendamts und weiterer Behörden sind mit dem Fall im Einzelnen betraut? c. Wie viele Kontakte des zuständigen Jugendamtes oder anderer Behörden gab es zu dem Kind und seinen Eltern beziehungsweise Pflegeeltern seit der Geburt des Kindes und wann fanden diese in welcher Form statt? d. Wann und wie lange wurde die Familie durch wen in welcher Leistungsart und in welchem Umfang betreut? e. Welche Entscheidungen zu diesen Hilfen im Hinblick auf Ausweitung oder Kürzung gab es jeweils wann und durch welche Stellen? f. Sind dem Jugendamt neben den Misshandlungen in der S-Bahn weitere Misshandlungen des Mädchens bekannt? Wenn ja, auf welchen Zeitraum lassen sich die Misshandlungen eingrenzen? Wann hat das Jugendamt von möglichen Misshandlungen Kenntnis erlangt? g. Welche Mitarbeiter welcher Stellen haben das Kind wann zuletzt aus welchem Anlass gesehen? 11. Im Rahmen der Hilfeplanung für das in einer Pflegefamilie untergebrachte Kind sollen zwei Mal pro Jahr alle beteiligten Akteure zusammenkommen und in einem Hilfeplan verbindliche Vereinbarungen treffen. Darüber hinaus soll es zweimal jährlich eine schriftliche Berichterstattung über den Hilfeverlauf geben (Fachanweisung Punkt D.6). Wurden im vorliegenden Fall zwei Hilfeplangespräche pro Jahr geführt und zwei Berichte vorgelegt? Wenn nein, zu welchen Zeitpunkten nicht? Aus welchen Gründen nicht? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. 12. Gemäß § 37 Absatz 3 SGB VIII soll im Rahmen einer jugendamtlichen Prüfung mindestens ein Hausbesuch jährlich stattfinden. Gemäß D.3 der Fachanweisung Pflegekinderdienst sollen mindestens zwei Kontakte mit dem Pflegekind sowie mindestens vier Kontakte mit den Pflegepersonen erfolgen, davon zwei Hausbesuche in der Pflegefamilie. a. Hat im vorliegenden Fall jährlich ein Hausbesuch gemäß § 37 Absatz 3 SGB VIII stattgefunden? Wenn nein, in wie vielen Fällen konnte dies aus welchen Gründen nicht gewährleistet werden? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. b. Haben darüber hinaus die gemäß D.3 Fachanweisung vorgesehen Kontakte stattgefunden? Wenn nein, in wie vielen Fällen und aus welchen Gründen konnte dies nicht gewährleistet werden? Bitte nach Jahr und der Art des Kontakts aufschlüsseln. Siehe Vorbemerkung. 13. Nach dem tragischen Tod der kleinen Chantal im Jahre 2012 wurden Kontrollmechanismen für Pflegefamilien eingeführt und die Auswahlkriterien für Pflegefamilien verschärft. Drucksache 21/4672 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. Wurden diese neu eingeführten Kontrollmechanismen und Auswahlkriterien auch rückwirkend bei Pflegefamilien umgesetzt, die vor dem Inkrafttreten der Verschärfungen ausgewählt wurden? b. Wurde von Pflegefamilien auch nachträglich verlangt, Gesundheitszeugnisse , Drogentests und polizeiliche Führungszeugnisse vorzulegen ? Wenn nein, warum nicht? Der Pflegekinderdienst und der fallführende Allgemeine Soziale Dienst prüfen im Rahmen ihrer Aufgaben und insbesondere in Hilfeplangesprächen und Hausbesuchen , ob das Wohl des Pflegekindes gesichert ist. Das polizeiliche Führungszeugnis müssen Pflegeeltern alle zwei Jahre vorlegen. Dies gilt auch für Pflegepersonen, die bereits vor in Kraft treten der Fachanweisung Pflegekinderdienst ein Pflegekind betreut haben. Im Sinne der Verhältnismäßigkeit werden Gesundheitszeugnisse und Drogentest von Pflegepersonen, die bereits vor Inkrafttreten der Fachanweisung Pflegekindedienst aktiv waren, ausschließlich bei Hinweisen und damit anlassbezogen vom Jugendamt verlangt. Im Übrigen siehe Drs. 20/5304. c. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat in Bezug auf die Kontrollmechanismen und Auswahlkriterien für den konkreten Fall vor? Siehe Vorbemerkung. 14. Kam es seit der Geburt des Kindes zu Polizeieinsätzen in der Wohnung der Familie oder wegen der Familie des Kindes? War die Pflegemutter vor der Misshandlung des Kindes polizeibekannt? Wenn ja, aus welchen Gründen? Polizeieinsätze werden im Hamburger Einsatzleitsystem (HELS) der Polizeieinsatzzentrale dokumentiert. Es handelt sich jedoch nicht um ein System, das für statistische Auswertungen generiert wurde; zur Aussagekraft und Validität siehe Drs. 20/13284. Recherchen zu einzelnen Familiennamen beziehungsweise familiären Bezügen sind im Einsatzleitsystem nicht möglich. Im Übrigen liegen über den hier in Rede stehenden Sachverhalt keine weiteren polizeilichen Erkenntnisse zur Pflegemutter vor.