BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4714 21. Wahlperiode 10.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 02.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Jung, Migrant, Konvertit – Eine neue Zielgruppe für Salafisten? Im Rahmen der in Hamburg geführten Islamismus-Debatte wird seit geraumer Zeit verstärkt darauf hingewiesen, dass sich auch immer mehr Jugendliche für den Salafismus begeistern.1 Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das man besonders gut an Schulen beobachten kann. Bis heute sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen junge Muslime gegenüber ihren Mitschülern als Sympathisanten des IS in Erscheinung getreten sind. In diesem Zusammenhang haben sie nicht nur den Kampf des IS als gerechtfertigt bezeichnet, sondern auch muslimische Klassenkameraden auf vermeintlich „unislamisches Verhalten“ hingewiesen und dabei Mädchen dazu aufgefordert, sich zu verhüllen.2 Dass derartige Zustände keineswegs Ausnahmeerscheinungen darstellen, sondern in letzter Zeit gehäuft vorkommen, bestätigt auch das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), indem es in diesem Zusammenhang von „religiös gefärbten Konfliktlagen an Hamburger Schulen“ spricht.3 Die CDU-Fraktion erkennt darin gar die von Ahmad Mansour beschriebene „Generation Allah“, vor der sie explizit warnt.4 Lange Zeit ging man davon aus, dass unter Jugendlichen vor allem muslimische Migranten sowie deutsche Konvertiten als gefährdet gölten und daher besonders häufig Radikalisierungsprozesse durchliefen.5 In seinem Bericht für das Jahr 2014 weist der Hamburger Verfassungsschutz jedoch darauf hin, dass seit 2014 eine Tendenz erkennbar ist, der zufolge sich vermehrt junge Konvertiten unterschiedlichster Herkunft (zum Beispiel aus Polen, der Türkei, Deutschland und Ägypten) für den Salafismus begeistern und in dieser Weise auch verschiedene Projekte (Koran- und Infostände) unterstützen .6 Dies geht mit der Erkenntnis konform, dass vor allem Konvertiten besonders ehrgeizig, aktiv und aggressiv agieren, sofern sie einmal in die islamistische Szenen geraten.7 Gegenwärtig geht der Verfassungsschutz 1 Confer Drs. 21/2403. 2 Confer Drs. 21/4060. 3 Hamburger Bürgerschaft 2014a. 4 Confer Drs. 21/4204. 5 Salafistische Bestrebungen in Deutschland. Herausgegeben vom Bundesamt für Verfassungsschutz . Köln 2012. Seite 15. 6 Verfassungsschutzbericht 2014. Seite 44. 7 Konvertiten – im Fokus des Verfassungsschutzes? Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 2011. Seite 45. Drucksache 21/4714 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 davon aus, dass Konvertiten einen Anteil von 20 Prozent an der Salafisten- Szene in Deutschland haben.8 Dass bei den Konvertiten jedoch offenbar auch Migranten9 eine nicht geringe Rolle spielen, zeigt das Beispiel des siebzehnjährigen Florent aus Hamburg, dessen Karriere nahtlos in das oben beschriebene Paradigma passt. Der in Kamerun geborene Junge stammte aus einem christlichen geprägten Herkunftskontext und hatte bis zu seinem 15. Lebensjahr keine nennenswerten Beziehungen zum Islam gepflegt. Nach seiner auf Drängen muslimischer Freunde erfolgten Konversion geriet Florent, der sich nunmehr Bilal nannte, jedoch rasch in die Fänge der Salafisten. In der Folgezeit war Florent einer dauerhaften ideologischen Indoktrination durch seine neuen Glaubensbrüder ausgesetzt, was dazu führte, dass er schließlich im Frühjahr 2015 nach Syrien reiste, um dort für den IS zu kämpfen. Kurz vor seinem Tod warnte Florent junge Muslime in Deutschland davor, sich von den falschen Versprechungen des IS locken zu lassen und schilderte seine Zeit in Syrien als Martyrium. Ungeachtet der Tragik, die Florents Schicksal innewohnt, ist sein Fall doch in verschiedener Hinsicht interessant, da er erstmals den Typus des „Konvertiten mit Migrationshintergrund“ in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Damit ist Florent Angehöriger einer Zielgruppe, die bislang kaum Beachtung gefunden hat und in der Salafisten-Szene womöglich eine gewichtigere Rolle spielt, als man bisher annimmt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Als Konvertit wird eine Person bezeichnet, die unabhängig von ihrer vorherigen religiösen Ausrichtung, einschließlich der Gruppe der Atheisten, ein neues religiöses Glaubensbekenntnis annimmt. Nicht in die hier gefasste Definition fallen damit Personen, die innerhalb der muslimischen Gemeinschaft geboren worden sind, aber erst später zum Glauben zurückgefunden haben. In Deutschland sind diese sogenannten reborn (Englisch für „wiedergeborenen“) Muslime meist Personen aus den Migrantenmilieus aus islamisch geprägten Ländern, die sich im Laufe ihres Lebens von einer eher säkularen Einstellung zurück zu ihrer Religion orientieren. Aus islamisch geprägten Ländern wandern aber auch Personen zu, die einem anderen Glauben angehören. Die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit zählt zu den Wesensmerkmalen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten selbstbestimmt und ohne staatliche Aufsicht wahrnehmen und Religionszugehörigkeiten außerhalb der Erledigung legitimer staatlicher Aufgaben nicht erfasst werden (siehe Drs. 19/6606, 19/1065, 20/1437 und 20/4886). Entsprechend werden auch zu Konversionen in Deutschland durch die Behörden keine Daten erhoben. Erkenntnisse zur Konversion von Personen zum islamischen Glauben, die sich den Salafisten angeschlossen haben, können daher nur einzelfallbezogen gewonnen werden. Aus bisher vorliegenden Untersuchungen, zum Beispiel der „Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind“ (siehe https://innen.hessen.de/sites/default/files/media/hmdis/analyse_der_radikalisierungshi ntergruende_und_-verlaeufe.pdf), sowie aus dem Informationsaufkommen der Sicherheitsbehörden kann geschätzt werden, dass etwa 20 Prozent der Salafisten Konvertiten sind. Der Begriff Migrationshintergrund ist durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge definiert. In den Melde- und Auskunftssystemen wird das Kriterium Migrationshintergrund nicht erfasst. Daher müssten zur Beantwortung der Fragestellung, sofern nicht einzelfallbezogene Erkenntnisse vorliegen, alle relevanten Personendaten mit 8 https://www.lpb-bw.de/islamischer-staat.html. 9 Hierbei geht es nicht um Migranten, die nominell als Muslime geboren sind und später ihren Glauben wiederentdecken. Confer ibidem Seite 44. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4714 3 entsprechenden Auskunftssystemen auf das Vorliegen von Migrationskriterien geprüft werden. Für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage ist dies rechtlich nicht zulässig und darüber hinaus in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Für wie groß hält der Senat den Anteil von Konvertiten innerhalb der salafistischen Szene in Hamburg? 2. Wie viele der bislang nach Syrien beziehungsweise in den Irak ausgereisten Salafisten aus Hamburg sind dem Senat als Konvertiten bekannt? a) Wie groß ist innerhalb dieser Gruppe der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund? b) Bei wie vielen der Ausgereisten handelt es sich um gebürtige Muslime ? 3. Wie schätzt der Senat die Bedeutung von Konvertiten mit Migrationshintergrund als Zielgruppe der Salafisten gegenwärtig ein? 4. Welchen Stellenwert misst der Senat im Gegensatz dazu der Gruppe der ethnisch deutschen Konvertiten zu? Siehe Vorbemerkung. 5. Hat der Senat Kenntnis davon, wie genau das Umfeld Florents beschaffen gewesen ist, bevor der Junge nach Syrien ausreiste? Florent war Teil der salafistischen Szene in Hamburg mit Verbindungen nach Berlin und Lübeck in das dortige salafistische Spektrum. Zudem nahm er an Koranständen der LIES!-Kampagne in Hamburg und Lübeck teil. Im Übrigen siehe Drs. 21/3782 und Antwort zu 6. b). a) Mit wem ist Florent damals gemeinsam aus Hamburg in den Dschihad aufgebrochen? Er reiste nicht allein in die Krisengebiete Irak/Syrien aus. Weitere Angaben im Sinne der Fragestellung ließen Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des Verfassungsschutzes in die salafistische Szene in Hamburg zu und eine künftige Beobachtung würde dadurch unverhältnismäßig erschwert werden. Detaillierte Angaben im Sinne der Fragestellung können daher aus Gründen des Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. b) Waren seine Begleiter gebürtige Muslime oder ebenfalls Konvertiten ? c) Wie viele der Konvertiten hatten einen Migrationshintergrund? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 5. a). 6. Ist dem Senat Näheres über das damalige Umfeld von Florent bekannt? Siehe Antwort zu 5. a) Welche Moschee hat er besucht? Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden die Taqwa-Moschee. b) Ist bekannt, aus welchen Migrationskontexten seine Freunde stammen ? Siehe Vorbemerkung und im Übrigen folgender Internetartikel: http://www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen/5001666/islamischer-staatbeluegt -unterstuetzer-verfassungsschutz-hamburg/. 7. Wie viele der mit Florent ausgereisten Personen sind mittlerweile wieder nach Hamburg zurückgekehrt? Drucksache 21/4714 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Keiner. 8. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus dem Fall Florents? Siehe Drs. 21/4700.