BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/472 21. Wahlperiode 19.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 12.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen in Hamburg Anfang Mai 2015 sind Mitglieder einer Vereinigung, die sich selbst „Oldschool Society“ nennt, festgenommen worden. Offenbar planten sie Anschläge auf Salafisten, Moscheen und Flüchtlingsunterkünfte. In den letzten Monaten waren in ganz Deutschland immer wieder Flüchtlingsunterkünfte Ziel von Brandanschlägen – Tröglitz war nur der prominente und traurige Höhepunkt. Desgleichen finden auch Übergriffe auf Moscheen statt, wie jüngst ein Brandanschlag auf eine türkische Moschee im nordrhein-westfälischen Witten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Bundesregierung hat zuletzt mit BT.-Drs. 18/4821 über erfragte Sachverhalte im 1. Quartal 2015 berichtet. Hierzu hat die Polizei Hamburg einen Beitrag geleistet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Zu wie vielen Überfallen, Anschlägen, Sachbeschädigungen, tätlichen Angriffen auf a. Flüchtlingsunterkünfte oder von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen und b. geplante beziehungsweise im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte , c. Moscheen, Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen kam es nach Kenntnis des Senats in den Jahren 2013, 2014 und im 1. Quartal 2015 in Hamburg? (Bitte nach Jahren und Orten auflisten.) Wie viele und welche davon fallen nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden in den Bereich der PMK? 2. Welche Delikte wurden dabei jeweils begangen? Eine Erfassung von Straftaten nach den in der Frage genannten Kriterien erfolgt weder in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) noch in dem Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPDM PMK). Die daher für die Beantwortung der Frage erforderliche Auswertung von mehreren 10.000 Handakten für den erfragten Zeitraum ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zu Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine Abfrage der Datei INPOL, die durch Nacherfassungen und Löschungen jedoch ständigen Veränderungen unterliegt und sonst nur eine Annäherung ermöglicht, ergab insgesamt neun Delikte, die sich der Fragestellung zuordnen lassen. Drucksache 21/472 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Flüchtlingsunterkünfte oder von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen 2013 Ort/Delikt 2014 Ort/Delikt* 2015 Ort/Delikt 1 Bornmoor § 86a StGB 1 An der Lohbek § 303 StGB 2 Haldesdorfer Str. § 86a StGB 3 Haldesdorfer Str. § 86a StGB 4 Winsener Str. §§ 185 i.V.m. 303 StGB 5 Duvenstedter Damm §86a StGB Geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte 2013 Ort/Delikt 2014 Ort/Delikt 2015 Ort/Delikt - - - Moscheen, Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen 2013 Ort/Delikt* 2014 Ort/Delikt* 2015 Ort/Delikt 1 Stuhlrohrstr. § 303 StGB 1 Schöne Aussicht § 303 StGB - 2 Müggenburg § 86a StGB * § 86 a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen § 185 Beleidigung § 303 Sachbeschädigung. 3. Welche Angaben kann der Senat zu dem jeweiligen Stand der Ermittlungen und zu den mutmaßlichen Täterinnen und Tätern machen? Der Staatsanwaltschaft Hamburg liegen keine statistisch erfassten Erkenntnisse zu (Gewalt-)Delikten in oder im Umfeld von Erstaufnahmeeinrichtungen oder sonstigen Sammelunterkünften für Asylbewerber und Flüchtlingen vor. Im Vorgangsverwaltungsund -bearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft, MESTA, wird der Umstand, ob es sich beim Tatort um eine der genannten Einrichtungen oder deren Umfeld handelt, nicht registriert. Gleiches gilt für die Frage, ob es sich um geplante oder im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte oder um Moscheen, Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen handelt. Dies vorausgeschickt, können zu den in der Antwort zu 2. genannten Verfahren folgende Angaben gemacht werden: Aktenzeichen und Vorwurf Tatort Tatzeit Stand der Ermittlungen 7101 UJs 615/14 (§§ 86a, 303 StGB) (Hakenkreuz an einer Zimmertür,„verblasst“, vermutlich vor längerer Zeit an der Tür aufgebracht ) Männerwohnheim „fördern und wohnen “, Boornmoor 30, 22525 Hamburg 26.04.2014 Eingestellt am 30.06.2014, da Täter nicht zu ermitteln. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/472 3 Aktenzeichen und Vorwurf Tatort Tatzeit Stand der Ermittlungen 7101 Js 712/14 (§ 303 StGB) (Sachbeschädigung im Gemeinschaftsraum der Unterkunft, Decken beschmiert , Fernseher zerkratzt , Couch eingestochen ) Beschuldigte: zwei Bewohner der Einrichtung (Jugendliche) EVE 4, Haldesdorfer Straße 111, 22179 Hamburg 22.08.2014 Eingestellt am 03.11.2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO. 7101 Js 785/14 (§§ 86a, 303 StGB) (Einritzen eines Hakenkreuzes in die Wand eines Zimmers) Beschuldigter: ein Bewohner der Einrichtung (Jugendlicher) EVE 4, Haldesdorfer Straße 111, 22179 Hamburg 22.09.2014 Eingestellt am 26.11.2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO. 7101 UJs 915/14 (§ 185 StGB) (Aufschrift „Fuck Juden“ an der Tür einer dort lebenden jüdischen Familie) Wohnunterkunft „fördern und wohnen “, Winsener Straße 225, 21077 Hamburg 01.10.2014 Eingestellt am 23.10.2014, da Täter nicht zu ermitteln. 7101 UJs 59/15 (§ § 86a, 303 StGB) (Hakenkreuzschmiererei im Flur des Gebäudes) Wohnunterkunft „fördern und wohnen “, Duvenstedter Damm 12, 22397 Hamburg 31.10. bis 03.11.2014 Eingestellt am 27.01.2015, da Täter nicht zu ermitteln. 7101 UJs 393/15 (§ 303 StGB) Türschloss verklebt Wohnunterkunft „fördern und wohnen “, An der Lohbeek 12a 22529 Hamburg 05.02. bis 06.02.2015 Eingestellt am 16.03.2015, da Täter nicht zu ermitteln 7101 UJs 342/14 (§ 303 StGB) (Beschädigung der Eingangstür der Moschee der Türkisch Islamischen Gemeinde Bergedorf e.V.) Stuhlrohrstraße 21, 21029 Hamburg 31.10. bis 01.11.2013 Eingestellt am 08.04.2014, da Täter nicht zu ermitteln. 7101 UJs 989/14 (§ 303 StGB) Islamfeindliche Farbschmierereien Schöne Aussicht 36, 22085 Hamburg 27.09.2014 Eingestellt am 08.12.2014, da Täter nicht zu ermitteln 7101 UJs 1003/14 (§ 86a StGB) (Hakenkreuz auf dem Gehweg vor dem Gebäude der türkischen Gemeinde ) Müggenburg 20, 21129 Hamburg 08.11.2014 Eingestellt am 04.12.2014, da Täter nicht zu ermitteln. 4. Hat der Senat Erkenntnisse, dass die „Oldschool Society“ auch in Hamburg Anschläge, Sachbeschädigungen oder tätliche Angriffe auf a. Salafisten, b. Moscheen, Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen , Drucksache 21/472 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 c. Flüchtlingsunterkünfte geplant hat? Den Sicherheitsbehörden liegen entsprechende Erkenntnisse nicht vor. Ermittlungsverfahren betreffend Mitglieder der Vereinigung „Oldschool Society“ wegen des Verdachts der Bildung terroristischer Vereinigungen gemäß §129a StGB werden zuständigkeitshalber beim Generalbundesanwalt geführt. 5. Gibt es Überlegungen des Senats, sich dafür einzusetzen, den Straftatbestand Hasskriminalität um das Unterthema „islamfeindlich“ beziehungsweise „muslimfeindlich“ zu erweitern? Nein. Bei der „Hasskriminalität“ handelt es sich nicht um einen eigenen Strafbestand, vielmehr sind die Beweggründe und Ziele des Täters sowie die Gesinnung, die aus der Tat spricht, Grundlage für die Strafzumessung. In diesem Jahr hat der Deutsche Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das Gesetz zur Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses beschlossen. Hierdurch wird – wie bereits von der Freien und Hansestadt Hamburg im Bundesrat beantragt – § 46 Absatz 2 StGB dahingehend geändert, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele ausdrücklich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Nach der Gesetzesbegründung bilden die menschenverachtenden Beweggründe und Ziele den Oberbegriff, für den die übrigen Tatbestandsmerkmale – lediglich – Beispiele bilden (vergleiche Drs. 396/14, S.12).