BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4758 21. Wahlperiode 14.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 07.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Wie haben sich das Klageverhalten und die Verurteilungen entwickelt? Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat im April 2016 die Ergebnisse ihrer bundesweiten Umfrage präsentiert, aus der hervorgeht, dass jede dritte Person in Deutschland Diskriminierungserfahrungen gemacht hat. Insbesondere erfahren Menschen Diskriminierung aufgrund ihres Alters und Geschlechts. Eine besondere Rolle spiele die Diskriminierung am Arbeitsplatz oder wenn es um den Zugang zum Arbeitsmarkt gehe. Auch Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund würden benachteiligt behandelt, sowie auch Menschen aufgrund ihrer „sozialen Herkunft“ diskriminiert würden , wobei sich Diskriminierung durch alle Lebensbereiche ziehe. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, forderte daher eine rechtliche Stärkung der Menschen, die Diskriminierung erleben . Dabei scheitert eine effektive Umsetzung des Rechtsschutzes nach wie vor am mangelnden Bekanntheitsgrad des Gesetzes sowie an Hürden, die im Gesetz selbst begründet liegen, wie zum Beispiel der zu hohen Beweislast. Betroffenen fehlt es darüber hinaus an finanziellen Mitteln und Möglichkeiten einer kompetenten Rechtsberatung. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Klagen nach dem AGG wurden seit Januar 2012 in Hamburg eingereicht? Bitte aufschlüsseln nach Gerichten und Gründen (Benachteiligung aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität). 2. In wie vielen Fällen kam es seit Januar 2012 zu Verurteilungen nach dem AGG mit welchem Ausgang? Bitte aufgliedern nach Gerichten und Gründen (Benachteiligung aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität). a. Wenn Verfahren eingestellt wurden, mit welcher Begründung? Die Verfahrenseinstellung ist ein Begriff aus dem strafrechtlichen Verfahren. Aus einem Verstoß gegen das AGG folgen aber keine unmittelbaren strafrechtlichen Konsequenzen . Zielrichtung des Gesetzes sind vielmehr im Wesentlichen zivil-, sozial-, arbeits- und verwaltungsrechtliche Rechtsbeziehungen. Drucksache 21/4758 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Eine statistische Erhebung von Verfahren, die mit einem Verstoß gegen das AGG ganz oder teilweise begründet sind, wird in keiner der theoretisch betroffenen Gerichtsbarkeiten geführt. Eine händische Auswertung der insgesamt mehr als 80.000 Akten, in denen jedes Jahr ein Bezug zum AGG theoretisch denkbar ist, ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Bezüglich laufender Verfahren können jedoch folgende Angaben gemacht werden: - Verfahren vor dem Verwaltungsgericht: Durch die Eingrenzung auf die beamtenrechtlichen Streitigkeiten vor dem Verwaltungsgericht konnte ermittelt werden, dass seit 2012 zwölf Verfahren eingegangen sind. In allen Verfahren wurde eine Altersdiskriminierung geltend gemacht. Von diesen zwölf Verfahren sind zwei Verfahren noch anhängig. Von den übrigen zehn Verfahren wurde in neun Fällen die Klage abgewiesen. Eine Klage hatte Erfolg. - Verfahren vor dem Arbeitsgericht: Aufgrund einer Befragung der Vorsitzenden Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit wird die Anzahl der dort anhängigen Verfahren mit Bezug zum AGG wie folgt eingeschätzt: Jahr ArbG LAG 2012 22 29 2013 41 24 2014 61 32 2015 32 62 2016 26 22 - Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit: Eine entsprechende Eingrenzung beziehungsweise Einschätzung ist in der Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit nicht möglich. 3. Wie haben sich die Beratungsmöglichkeiten in Hamburg entwickelt? Bitte Beratungsstellen und Art der Zuwendung auflisten. Die für Integration zuständige Behörde fördert seit Juli 2014 die Beratungsstelle „amira “ mit einer Zuwendung im Rahmen einer Fehlbedarfsfinanzierung. Das Beratungsangebot richtet sich an Betroffene, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes, gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Diskriminierungsmerkmalen wie zum Beispiel religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Behinderung oder Weltanschauung, Diskriminierung erfahren. Die Beratung wird in Kooperation mit basis & woge e.V. umgesetzt. Mit diesem Beratungsangebot setzt die zuständige Behörde ein wichtiges Ziel des im Februar 2013 durch den Senat beschlossenen Integrationskonzepts „Teilhabe , Interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt“ (siehe Drs. 20/7049) um. Die Förderung von Vielfalt und Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung sind außerdem Bestandteile des Hamburger Landesprogramms zur Förderung der demokratischen Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus „Hamburg – Stadt mit Courage“ (siehe Drs. 20/9849). Zu weiteren Beratungsangeboten, die für die Antidiskriminierungsberatung in Anspruch genommen werden können (zum Beispiel Integrationszentren, Frauenberatungsstellen , Einrichtungen und Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen, Öffentliche Rechtsauskunft/ÖRA), und zu einer umfassenden Antidiskriminierungsstrategie des Senats siehe Drs. 20/12555. Zu Angeboten, die sich auf das Thema „Diskriminierung“ spezialisieren oder ihren Arbeitsschwerpunkt bei diesem Thema haben, siehe auch Drs. 20/12555. a. In welcher Höhe werden die Beratungsstellen öffentlich gefördert? Bitte in Einrichtung, Vollzeitäquivalent und Sachmittel gliedern. Die entsprechenden Angaben zu amira sind der nachfolgende Tabelle zu entnehmen: Jahr Zuwendung (Euro) VZÄ Sachmittel (Euro) 01.07. bis 31.12.2014 57.563 0,5 Stelle Projektleitung, E 11 TV-L, 22.500 (davon 11.600 Honorarkosten) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4758 3 Jahr Zuwendung (Euro) VZÄ Sachmittel (Euro) 0,5 Stelle Beratung, E 9 TV- L, 0,25 Stelle Verwaltungsass ., E 8 TV-L, 0,10 Stelle Leitung, E 11 TV-L 2015 115.126 s.o. 45.000 (davon 23.000 Honorarkosten) 2016 118.000 s.o. 43.400 (davon 16.400 Honorarkosten) Die für Gleichstellung zuständige Behörde fördert zudem in 2016 das Projekt „read“ der Beratungsstelle „basis und woge“ im Rahmen einer Fehlbedarfsfinanzierung in Höhe von 23.870 Euro. Diese Summe teilt sich auf in 21.600 Euro für Personalausgaben mit einer 0,1 Stelle der Entgeltgruppe E 11 und 0,22 Stelle der Entgeltgruppe E 10, 1.900 Euro für Honorare (unter anderem Rechtsberatung) und 270 Euro für Sach- und Verwaltungsaufgaben. 2015 und 2014 wurde das Thema Antidiskriminierung bei der Beratungsstelle „basis und woge“ in Höhe von 22.990 Euro gefördert. Davon entfielen 21.600 Euro auf Personalausgaben (Stellenwertigkeit analog 2016), 1.900 Euro auf Honorare und 270 Euro auf Sachkosten. 4. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um Betroffene über ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuklären und ihnen gegebenenfalls Unterstützung zu bieten, rechtliche Schritte bei Diskriminierung einzuleiten? Die Beratungsstelle amira hat den Förderauftrag, Betroffene über ihre Diskriminierungsschutzrechte zu informieren und sie bei der Durchsetzung ihrer Belange und Interessen zu unterstützen und zu begleiten. Zu den weiteren Maßnahmen zählt die fallübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung auch auf Bundesebene. Die Beratungsstelle arbeitet unter anderem eng vernetzt mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, den Hamburger Behörden, Integrationszentren, Migrantenorganisationen sowie Rechtsanwälten und Dolmetschern zusammen. Schließlich leistet sie Öffentlichkeitsarbeit , um für Diskriminierungsfragen zu sensibilisieren (vergleiche http://www.verikom.de/projekte/amira-antidiskriminierungsberatung-fur-migrantinnenund -migranten/). Über das Projekt „read“ wird Betroffenen insbesondere zu den Diskriminierungsfeldern Geschlechtergerechtigkeit, Geschlechteridentitäten, sexuelle Orientierung – basierend auf den Qualitätsstandards des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advD) – Beratung angeboten. Der Senat erfüllt damit eine Selbstverpflichtung aus der Koalition gegen Diskriminierung, der er 2011 beigetreten ist. Demnach will er Sorge tragen, dass jeder Weg genutzt wird, um von Diskriminierung betroffenen Menschen gerade auch vor Ort Beratung zu bieten. In dem Regierungsprogramm für die 21. Legislaturperiode ist bestimmt, die Akzeptanz und Anerkennung der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt zu fördern und dazu einen entsprechenden Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Der Aktionsplanentwurf steht unter den Leitmotiven Selbstbestimmung, Anerkennung und Nichtdiskriminierung und wird derzeit in Abstimmung mit LSBTI*-Interessensvertretungen erarbeitet. Zu Angeboten, die sich auf das Thema „Diskriminierung“ spezialisieren oder ihren Arbeitsschwerpunkt bei diesem Thema haben, siehe auch Drs. 20/12555.