BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4787 21. Wahlperiode 14.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Deniz Celik (DIE LINKE) vom 08.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Reichen die Kapazitäten in den niedrigschwelligen sozialen Hilfeeinrichtungen für die obdachlosen Menschen in Hamburg? Bundesweit steigt die Anzahl der Menschen, die ohne Unterbringung und ohne Anspruch auf sozialrechtliche Unterstützung leben. Diese Gruppe ist zur Gänze auf humanitäre Hilfen der Freien Wohlfahrtspflege angewiesen. Die betroffenen Einrichtungen berichten, dass die Zahl der Menschen, die auf die Angebote angewiesenen seien, die vorgesehenen Kapazitäten um ein Vielfaches übersteigen würde. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Von wie vielen Obdachlosen geht der Senat derzeit aus? Die genaue Anzahl der derzeit auf der Straße lebenden Menschen in Hamburg ist nicht bekannt. Bei der zuletzt durchgeführten empirischen Untersuchung über obdachlose Menschen in Hamburg im Jahr 2009 wurden 1.029 Menschen gezählt und befragt. Im Übrigen siehe Drs. 20/11814. 2. Wie vielen Obdachlosen kommt keine medizinische Versorgung zu und welche Sachgründe liegen dafür aus Sicht des Senats vor? Grundsätzlich erhält jeder Mensch in Deutschland medizinische Versorgung. Auch für obdachlose Menschen ist die medizinische Versorgung über das Regelversorgungssystem vorgesehen. Menschen, die keinen Krankenversicherungsschutz haben, können Hilfen im niedrigschwelligen Leistungssegment der medizinischen Hilfen in Hamburg erhalten. Wie viele obdachlos auf der Straße lebende Menschen keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen, ist aktuell nicht bekannt. Die empirische Untersuchung obdachloser Menschen aus dem Jahr 2009 ergab, dass 64,8 Prozent (602) der Personen , die diese Frage beantworteten, im Besitz einer Krankenversicherungskarte waren. Dass obdachlose Menschen erhebliche Schwellenängste haben, Arztpraxen aufzusuchen , ein unterdurchschnittliches Krankheitsbewusstsein besteht und Leistungen häufig erst im äußersten Notfall in Anspruch genommen werden, ist jedoch bekannt. Gerade vor diesem Hintergrund wurden niedrigschwellige medizinische Hilfen in Hamburg eingerichtet, wie zum Beispiel Schwerpunktpraxen für wohnungslose Menschen , ärztliche Sprechstunden in Tagesaufenthaltsstätten und die Mobile Hilfe. 3. Wie viele Obdachlose sind krankenversichert und wie viele nicht? Diese Daten werden statistisch nicht erhoben. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Werden Obdachlosen, die nicht krankenversichert sind, Medikamente in der Anzahl, wie sie Krankenversicherte erhalten, ausgegeben? Drucksache 21/4787 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 a) Wenn ja, durch wen oder was? b) Wenn nein, warum nicht? Medikamente werden grundsätzlich nicht ausgegeben, Versicherte erhalten Rezepte und lösen diese bei der Apotheke ein. Nicht versicherte obdachlose Personen erhalten im Einzelfall Medikamente im Rahmen der Behandlung, zum Beispiel in den Schwerpunktpraxen . 5. Wie viele Anlaufstellen für Obdachlose mit wie vielen angebotenen Mahlzeiten gibt es? Bitte die einzelnen Anlaufstellen aufschlüsseln. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen für Obdachlose im Rahmen des sozialen Hilfesystem für wohnungslose Menschen, siehe hierzu: http://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/ 116870/hilfesystem-brosch/. Im Übrigen richten sich Einrichtungen und Projekte zum Teil vorrangig beziehungsweise ausschließlich an obdachlose Menschen, andere werden sowohl von Obdachlosen als auch von anderen Personenkreisen in Anspruch genommen. Die genaue Anzahl aller Anlaufstellen, die insbesondere Mahlzeiten an Obdachlose verteilen, ist nicht bekannt. Eine Vielzahl von sozialen Hilfeangeboten wird beispielsweise ehrenamtlich und spendenfinanziert betrieben. Diese Hilfeangebote wenden sich zumeist an spezielle Zielgruppen oder haben einen konkreten Stadtteilbezug, wobei auch obdachlose Menschen diese Angebote mitnutzen können (zum Beispiel Pottkieker in Dulsberg , Cafe Sperrgebiet, StützPunkt Hauptbahnhof, Heilsarmee Talstraße, die Bahnhofsmission , Hans-Fitze-Haus und Kirchengemeinden). In Hamburg bieten derzeit elf Tagesaufenthaltsstätten obdachlosen Menschen soziale Beratung und konkrete Überlebenshilfen an. Wieviel Mahlzeiten in diesen Einrichtungen Obdachlosen angeboten werden, ist nicht vergleichbar und abschließend bezifferbar . Jede Einrichtung unterhält unterschiedliche Verpflegungsangebote wie Frühstück , Mittagessen, belegte Brote und Kuchen. Teilweise erfolgen mehrere Mahlzeiten am Tag entsprechend der Nachfrage der Nutzer und des vorhandenen Essenangebotes . Die Nachfrage nach Essen variiert täglich. 6. Wie viele Menschen werden in den jeweiligen Einrichtungen pro Tag abgewiesen (auch schätzungsweise) beziehungsweise können keine Mahlzeit erhalten? Der zuständigen Behörde liegen keine konkreten Informationen darüber vor, dass Menschen in den jeweiligen Einrichtungen abgewiesen werden. 7. Wie viele Plätze, die eine medizinische Versorgung leisten, stehen gegenwärtig zur Verfügung? Bitte die einzelnen Plätze aufschlüsseln Angebot Standort Schwerpunktpraxis PIK AS Neustädter Straße 31a, 20355 Hamburg Schwerpunktpraxis Johanniswall Johanniswall 3, 20095 Hamburg Schwerpunktpraxis Achterdwars Achterdwars 7-13, 21035 Hamburg Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße Bundesstraße 101, 20144 Hamburg Kemenate – Tagestreff für wohnungslose Frauen Charlottenstraße 30, 20257 Hamburg CaFee mit Herz Seewartenstraße 10, 20459 Hamburg Krankenmobil des Caritasverbandes HH Praxis auf Rädern Krankenstube für obdachlose Menschen Seewartenstraße 10, 20459 Hamburg a) Wie viele Menschen können nicht versorgt werden? Bitte, wenn möglich, für die vergangenen zwei Monate und für die einzelnen Wochentage benennen. Wenn dies nicht möglich ist, bitte einen durchschnittlichen Wert angeben (auch schätzungsweise). 8. Wie viele Plätze für kranke Menschen, die nicht im Krankenhaus aufgenommen werden, jedoch einer medizinischen Pflege und Betreuung bedürfen, die einen Schlafplatz beinhaltet, gibt es derzeit in Hamburg für obdachlose Menschen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4787 3 a) Wie viele Menschen werden hier im Schnitt pro Tag abgewiesen (auch schätzungsweise)? 9. Wie beurteilt der Senat die oben beschriebene Lage und welche Perspektiven und Handlungsbedarfe sieht er diesbezüglich? Die Angebote des Wohnungslosenhilfesytems werden grundsätzlich als ausreichend angesehen. Die zuständige Behörde fördert eine Vielzahl von Leistungen, die der Integration wohnungsloser und obdachloser Menschen in die Gesellschaft dienen. Hierzu gehören auch niedrigschwellige Angebote wie zum Beispiel das Herz As, die TAS Bundesstraße, Straßensozialarbeit, die Anlaufstelle für wohnungslose EU- Bürgerinnen und -Bürger (Plata) und die Krankenstube für obdachlose Menschen. Zudem werden die aus Mitteln des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) finanzierten Projekte unterstützt. Während des Winternotprogramms 2015/2016 wurde die Platzkapazität im Bereich des Tagesaufenthalts zeitnah um 100 Plätze erhöht und die Öffnungszeiten am Wochenende wurden erweitert. In Hamburg besteht ein differenziertes Angebot der Wohnungslosenhilfe, das eine große Zahl Hilfebedürftiger erreicht. Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen im medizinischen Leistungssegment nicht erreicht wurden, liegen nicht vor. Seriöse Schätzungen dazu sind nicht möglich. Im stationären Bereich des bestehenden Gesamtangebotes gibt es 18 Plätze und ein Notbett zur medizinischen Versorgung obdachloser Menschen. Dazu gehören vier Betten zum Zweck der TBC Behandlung, die im September 2015 eingerichtet wurden. 2015 wurden 150 Menschen in diesem stationären Rahmen, teilweise auch mehrfach, aufgenommen und behandelt. Aufgrund der hohen Auslastung des Angebotes, aber auch wegen individueller Bedarfe bei den Patientinnen und Patienten, konnte 2015 in 63 Fällen dem Wunsch nach Aufnahme nicht entsprochen werden. Die medizinische Hilfe für obdachlose Menschen in Hamburg ist ein fester Bestandteil des Leistungsspektrums der Wohnungslosenhilfe. Ziel bleibt es, soweit möglich, leistungsberechtigte Menschen in die Regelversorgung des Gesundheitssystems einzugliedern .