BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4829 21. Wahlperiode 21.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Joachim Körner und Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 13.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Verbreitung und Konsum von „Crystal Meth“ in Hamburg Seit Anfang 2009 ist in Deutschland ein stetiger Anstieg des Missbrauchs von Methamphetaminen, bekannt unter dem Modenamen „Crystal Meth“, zu beobachten. Der jüngste Drogenbericht aus dem Jahre 2015 weist diesbezüglich eine weitere Zunahme aus. Das ist insbesondere wegen der Gefahren , die der Konsum von Methamphetaminen birgt, sehr besorgniserregend. „Crystal Meth“ setzt im Gehirn die Botenstoffe Dopamin, Serotonin und Noradrenalin frei. Gerade die Dopaminausschüttung ist weitaus stärker als bei anderen Drogen. Dieses Rauschmittel spendet dadurch ein besonders intensives, langanhaltendes Gefühl von Wachheit, Klarheit, Stärke, Selbstvertrauen und Energie, Hungergefühl sowie Schmerzen werden unterdrückt, das sexuelle Verlangen gesteigert. Daraus folgt eine schnelle psychische Abhängigkeit. Der Gebrauch hat sodann verheerende körperliche und geistige Folgen: Persönlichkeitsveränderungen und psychiatrische Störungen wie Psychosen und Paranoia, die durch den Schlafentzug und die Effekte der Substanzen auf das vegetative Nervensystem begünstigt werden, können bereits durch moderaten Konsum auftreten, werden aber in jedem Fall durch intensiven oder langjährigen Gebrauch begünstigt.1 Hervorgerufen werden können zudem Wahrnehmungsstörungen, Verfolgungs- und Zwangsgedanken , sehr aggressive Grundstimmungen sowie Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses.2 Überdies schädigt die Droge Haut, Haare und Zähne. Hinzu tritt die Gefahr der Überdosierung, die durch eine schnelle Toleranzentwicklung und die damit einhergehenden Steigerungen der Dosierungen bedingt ist. Festzustellen ist, dass dieses drängende Problem aufgrund der mannigfaltigen Wirkung des Rauschmittels alle Schichten der Gesellschaft erfasst. Betroffen sind neben Freizeitkonsumenten, die diese Droge im Partykontext verwenden, unter anderem junge Mütter, die trotz aller Belastungen ihr Leben „genießen“ wollen, Schüler und Studenten, die sich im Prüfungsstress befinden oder in leistungsorientierten Berufen Tätige3, wie der traurige Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann beispielhaft belegt. Durch den Fund von Crystal Meth beim GRÜNEN-Politiker Volker Beck am 01.03.2016 anlässlich einer Polizeikontrolle am Nollendorfplatz in Berlin, gelegen an der Motzstraße, bekannt als die Hauptschlagader der Schwulen- 1 „Amphetamin und Methamphetamin – Personengruppen mit missbräuchlichem Konsum und Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen“, ZIS der Universität Hamburg, Seite 10. 2 Ebenda, Seite 10. 3 Ebenda, Seiten 13 und 14. Drucksache 21/4829 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 szene,4 ist der Fokus der Öffentlichkeit auf die immer stärker werdende Verbreitung der Droge in der Szene gerichtet worden. Aufgrund ihrer luststeigernden und zugleich schmerzhemmenden Wirkung spielt sie bei sogenannten „Chemsex-Partys“ (= Sex auf Chemie) eine große Rolle.5 Berlin gilt dabei bereits als Hochburg dieses gefährlichen Trends. Der Berliner Dezernatsleiter Rauschgiftkriminalität beim LKA Berlin, Schremm, spricht von einem besonderen „Konsumentenschwerpunkt“6; laut Suchttherapeut Bächler von der Schwulenberatung Berlin hat sich die Zahl der Süchtigen innerhalb eines Jahres verdreifacht7. Nach Hillner, ebenfalls Therapeut der Schwulenberatung Berlin, tritt ein weiteres Problem hinzu: Aufgrund des Gefühls von Nähe und Verbundenheit nutzen viele für die intravenöse Injektion von Crystal Meth dieselben Spritzen. Er sieht hierin möglicherweise den Grund für die steigende Anzahl der HIV-Neudiagnosen in Berlin bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).8 Die Verbreitung des „Crystal Meth“-Missbrauchs schwankt derzeit regional zwar noch stark. Während geographisch bedingt durch die Nähe zu Tschechien , wo das Rauschgift häufig hergestellt wird, zunächst vor allem Bayern und Sachsen betroffen waren, befindet sich die Droge aber mittlerweile in allen Bundesländern deutlich auf dem Vormarsch. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die bundesweit in einigen Regionen zu beobachtende Ausbreitung des Methamphetamingebrauchs trifft für Hamburg nicht zu. Aufgrund geringer Fallzahlen sind seriöse Hochrechnungen zur Epidemiologie, etwa im Rahmen des Epidemiologischen Suchtsurvey des Institutes für Therapieforschung München, nicht möglich. Auch lassen sich keine Konsumenten-Cluster bilden, da das Hilfesystem bisher nur von wenigen Einzelpersonen aufgesucht wurde. Die zuständigen Behörden verfolgen laufend die weitere Entwicklung und Gefährdungslage. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Menschen sind in Hamburg nach Kenntnis des Senats abhängig von „Crystal Meth“ beziehungsweise regelmäßige Konsumenten dieser Droge? (Bitte aufschlüsseln nach Alter und Geschlecht!) Bislang liegen für Hamburg keine differenzierten Daten zur Prävalenz des Methamphetamin -Konsums vor. 2. Wie gestalten sich die Fallzahlen mit Bezug zu „Crystal Meth“ in den Suchtberatungsstellen seit 2010? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Alter und Geschlecht der Beratungssuchenden.) Daten zur Inanspruchnahme der Suchthilfe in Hamburg werden in der Hamburger Basisdatendokumentation zusammengetragen. Die Daten werden aufgrund des geringen Verbreitungsgrades nicht regelhaft auf den Konsum von Methamphetamin ausgewertet. Im Rahmen einer Spezialanalyse, in der die Daten der Personen ausgewertet wurden, die erstmals in einer der ambulanten Suchtberatungsstellen um Unterstützung nachsuchten, wurden zehn Fälle für das Jahr 2014 bekannt, in denen auch Methamphetamin konsumiert wurde. Ansonsten siehe Vorbemerkung. 4 faz-net.de, „Brauchst Du was? Sex?“ vom 22.03.2016. 5 „Amphetamin und Methamphetamin – Personengruppen mit missbräuchlichem Konsum und Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen“, ZIS der Universität Hamburg, Seite 62; stern.de, „Breaking Bett – Chemsexpartys in Berlin“ 04.03.2016; faz-net.de, „Brauchst Du was? Sex?“ vom 22.03.2016. 6 focus.de, „Insider packen über Crystal Meth in der Schwulenszene aus“ vom 05.03.2016. 7 focus.de, „Insider packen über Crystal Meth in der Schwulenszene aus“ vom 05.03.2016. 8 faz-net.de, „Brauchst Du was? Sex?“ vom 22.03.2016. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4829 3 3. Wie hoch ist die Zahl derjenigen Crystal-Meth-Süchtigen in Hamburg, die sich einer stationären Entzugsbehandlung unterziehen? (Bitte ab dem Jahr 2010 aufschlüsseln!) Die Codierung nach dem International Classification of Diseases (ICD-Codierung) bei Methamphetamin erfolgt im stationären Bereich zusammen mit psychischen Störungen und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien; eine Differenzierung nach Methamphetamin lassen die Daten nicht zu. 4. Wie hoch sind die durch die Behandlung von Crystal-Meth-Süchtigen entstehenden Kosten? (Bitte jährliche Kosten insgesamt und pro Person ab 2010 benennen!) Der zuständigen Behörde liegen hierzu keine Daten vor. 5. Welche Kenntnis hat der Senat über die Verbreitungswege von „Crystal Meth“ – wie und woher gelangt diese Droge nach Hamburg, was weiß der Senat über die Vertriebsketten? Aussagen im Sinne der Fragestellung sind der zuständigen Behörde aufgrund der geringen Fallzahlen nicht möglich. 6. Hat der Senat Kenntnis darüber, ob „Crystal Meth“ in Hamburg hergestellt wird? Nein. 7. Welche Erkenntnisse hat der Senat hinsichtlich der Konsumentenkreise? Siehe Vorbemerkung. 8. In wie vielen Fällen wurden seit 2010 in Hamburger Schulen Besitz, Konsum oder Handel mit Crystal Meth registriert? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Schule, Alter und Geschlecht der Schüler, Art des Verstoßes !) Bitte extra benennen, wenn Schulexterne an den jeweiligen Verstößen beteiligt waren. Der zuständigen Behörde liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Bei den zwischen Sommer 2010 und Sommer 2015 von der Beratungsstelle Gewaltprävention der zuständigen Behörde insgesamt dokumentierten 36 Vorfällen, die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz beinhalteten, erfolgte keine Differenzierung nach den jeweiligen Substanzen. Daten für das Schuljahr 2015/2016 liegen noch nicht vor, siehe Drs. 21/4356. 9. Ist dem Senat bekannt, dass es auch in Hamburg sogenannte Chemsex- Partys gibt, bei denen Crystal-Meth als Stimulanz benutzt wird? Wenn ja, kann der Senat eine Zunahme dieses gefährlichen Trends bestätigen? Aus Berichten von Suchthilfeträgern liegen Hinweise vor, dass es im Privatbereich vereinzelt derartige Partys gibt. Valide Daten liegen hierzu nicht vor. Insofern kann eine Zunahme dieses Trends nicht bestätigt werden. 10. Welche Erkenntnisse hat der Senat über die Verbreitung der Droge in speziellen Szenegruppen? Lässt sich eine Entwicklung ähnlich der in Berlin nachzeichnen? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellungen liegen den zuständigen Behörden nicht vor. 11. In wie vielen Fällen seit 2010 konnte der Besitz, Konsum oder Handel mit Crystal Meth in Hamburg festgestellt werden? (Bitte aufschlüsseln nach Jahreszahl!) Daten im Sinne der Fragestellung liegen der Polizei aufgrund gesetzlicher Löschfristen nur für die letzten fünf Jahre vor. Die im Zeitraum 1. Januar 2011 bis zum Stichtag 13. Juni 2016 durch die Polizei eingeleiteten Ermittlungsverfahren sind in der folgenden Tabelle dargestellt: Drucksache 21/4829 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Jahr Anzahl Delikt 2011 1 Erwerb 2012 2 1 x Erwerb, 1 x Besitz 2013 3 2 x Handel, 1 x Erwerb 2014 2 2 x Besitz 2015 5 1 x Besitz, 2 x Handel, 2 x Erwerb 2016 1 Erwerb 12. Gibt es Initiativen, insbesondere auch durch Verbände der Szene, die mit Blick auf den Crystal-Meth-Missbrauch präventiv aufklärend und beratend-unterstützend Hilfe geben? 13. Welche Strategie verfolgt der Senat bei der Bekämpfung des Crystal- Meth-Missbrauchs bei den verschiedenen Konsumentengruppen? Die Hamburger Suchtprävention entwickelt in der Ständigen Arbeitsgruppe Suchtprävention (STAGS) mit den Fachstellen für Suchtprävention immer dann Strategien zur Minderung des missbräuchlichen und problematischen Konsums bestimmter Suchtmittel , wenn diese als Problem auftreten. Aktuell gibt es keine Erkenntnisse, dass dies bezogen auf Methamphetamin in Hamburg der Fall ist. Sollte das jedoch zukünftig eintreten, wird Hamburg auf die im Bund-Länder-Kooperationskreis Suchtprävention geprüften und zur Verfügung stehenden präventiven Mittel und Maßnahmen zurückgreifen . Das Hamburger Suchthilfesystem steht unabhängig von der Substanz allen Hilfesuchenden zur Verfügung. Siehe auch Drs. 21/4801. 14. Wie entwickeln sich in Hamburg die Fallzahlen der Aids- sowie Hepatitis C-Neuerkrankungen seit 2010? (Bitte getrennt nach Jahr und Erkrankung angeben!) Die zuständige Behörde verfügt über Daten hinsichtlich der HIV-Neudiagnosen: Jahr 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Neudiagnosen 188 188 204 164 198 217 Quelle: Robert Koch-Institut Im Übrigen siehe Drs. 21/2419. Die zuständige Behörde verfügt über Daten hinsichtlich der Inzidenz der Hepatitis-C- Erstdiagnosen in Hamburg bis 2014: http://www.hamburg.de/contentblob/6239786/132d6ce264d9a9bfc0816fcce9e436db/d ata/jahresbericht-2014-epidemiologie.pdf. a. Wie viele der Neuerkrankungen seit 2010 betreffen den MSM- Bereich, also Männer, die mit Männern Sex haben? (Bitte getrennt nach Jahr und Erkrankung angeben!) Hierzu liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor. b. Kann der Senat sagen, in wie vielen Fällen dieser Neuerkrankungen ein Bezug zur Droge Crystal Meth besteht? Falls nein, sieht der Senat hier die Möglichkeit eines Zusammenhangs ? Ein derartiger Zusammenhang lässt sich nicht herstellen. 15. Welche Menge an „Crystal Meth“ beziehungsweise seines Grundstoffes wurde seit 2010 in Hamburg beschlagnahmt? (Bitte aufschlüsseln nach Datum, Ort und Menge (in Gramm) der Sicherstellung!) Die Polizei Hamburg hat in den Jahren 2011 bis zum Stichtag 13. Juni 2016 folgende Mengen an Methamphetamin sichergestellt: Datum Ort Menge in g 21.10.2011 Scharbeutzer Straße, 22147 Hamburg 0,47 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4829 5 Datum Ort Menge in g 11.05.2012 Krugtwiete, 20535 Hamburg 1,58 27.11.2012 Nobistor, 22767 Hamburg 0,17 20.02.2013 Schmuckstraße, 20359 Hamburg 10,20 15.11.2013 Bilser Straße, 22297 Hamburg 0,04 22.12.2013 Dehnhaide, 22081 Hamburg 1,32 09.08.2014 Moorfleeter Deich, 22113 Hamburg 0,15 30.08.2014 Sedanstraße, 20146 Hamburg 0,10 12.12.2014 Marianne-Wolff-Weg, 22305 Hamburg 6,37 05.12.2014 Kieler Straße, 22525 Hamburg 1,79 15.12.2014 Sohrhof, 22607 Hamburg 3,90 15.06.2015 Wiesendamm, 22305 Hamburg 0,23 06.10.2015 Simon-von-Utrecht-Straße, 20359 Hamburg 0,15 19.03.2016 Letzter Heller, 22111 Hamburg 0,20 Zur Sicherstellung des Grundstoffes kann die Polizei Hamburg keine Angaben machen, da diese nicht gesondert statistisch erfasst werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 11. 16. Gab beziehungsweise gibt es anlassbezogene oder sonst gezielte Polizeikontrollen zur Sicherstellung von „Crystal Meth“? (Bitte diesbezügliche Kontrollen seit 2010, aufgeschlüsselt nach Datum, Ort und Anlass, aufführen.) Nein. 17. Welche zeitlichen und örtlichen Kontrollschwerpunkte sind auszumachen ? Entfällt. 18. Wie viele Strafverfahren sind seit 2010 im Zusammenhang mit „Crystal Meth“ eingeleitet worden? (Bitte aufschlüsseln nach genauem Tatbestand .) a. Wie viele von diesen Verfahren wurden eingestellt? (Bitte aufschlüsseln nach zur Last gelegtem Tatbestand und nach Einstellungsgrund !) b. In wie vielen Verfahren erfolgte eine Verurteilung? (Bitte aufschlüsseln nach zur Last gelegtem Tatbestand!) Die mit Methamphetamin im Zusammenhang stehenden Strafverfahren werden statistisch nicht gesondert erfasst. Für den erfragten Zeitraum müssten mehr als 5.000 Verfahren, die wegen Straftaten gemäß § 29 Absatz 1 Nummer 1 und § 29a Absatz 1 Nummer 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) anhängig sind, händisch ausgewertet werden. Eine solche Auswertung ist innerhalb der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. 19. Hat der Senat Kenntnis darüber, wie viele Patienten seit 2010 wegen einer Überdosierung von Crystal Meth in den Hamburger Krankenhäusern behandelt werden mussten? Wenn ja, bitte aufschlüsseln nach Jahr und Krankenhaus? Siehe Antwort zu 3. 20. Hat der Senat Kenntnis darüber, in wie vielen Fällen es aufgrund der die Aggressivität steigernden Wirkung von Crystal Meth Mitarbeiter in Krankenhäusern bei der Behandlung von überdosierten Crystal-Meth- Patienten angegriffen wurden? Hierzu liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor.