BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/4861 21. Wahlperiode 21.06.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Joachim Körner (AfD) vom 14.06.16 und Antwort des Senats Betr.: „Kinderehen“ in Hamburg Am 9. Juni 2016 wurde im „Hamburg Journal“ darüber berichtet, dass es sich bei dem am selben Tag in Harburg ereigneten Mord, bei dem ein 43-jähriger serbischer Staatsbürger gegen 7.45 am Steuer seines Pkws erschossen wurde, offenbar um die Eskalation eines Streits zwischen zwei Familien handelt . Im Zentrum des Konflikts soll dabei die Tochter des Opfers gestanden haben. Das Mädchen ist 14 Jahre alt und war in der Vergangenheit offenbar einem Mitglied aus dem familiären Umfeld der Täter versprochen worden. Nachdem sich das Opfer schließlich dazu entschlossen hatte, von dem geleisteten Eheversprechen Abstand zu nehmen, war es bereits mehrfach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Familienangehörigen gekommen. Obwohl es sich bei den Beteiligten um serbische Staatsbürger handelt, darf man aufgrund der Begleitumstände der Tat annehmen, dass es sich bei diesen nicht um Serben, sondern um die Angehörigen ethnischer Minderheiten aus Serbien handelt, die als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist sind. Über das oben genannte Beispiel hinaus sind in Deutschland immer häufiger „Kinderehen“ festzustellen. Dabei handelt es sich um Eheschließungen, bei denen in der Regel ein Ehegatte – zumeist die Frau – minderjährig ist. Obwohl solche Verbindungen damit nach deutschem Recht nicht legitim sind, hat ein deutsches Gericht nun erstmals die Gültigkeit einer Kinderehe bestätigt . In diesem Zusammenhang hat das OLG Bamberg mit Beschluss vom 12. Juni 2016 die Ehe einer 14-jährigen Syrerin mit ihrem volljährigen Vetter für rechtens befunden1 und damit das Urteil des Familiengerichts Aschaffenburg aufgehoben, das noch zu dem Schluss gelangt war, die Ehe mit Verweis auf das Alter der Ehegattin nicht anerkennen zu können und deshalb das zuständige Jungendamt zum Vormund des Mädchens bestellt hatte. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Allgemein wird als Kind bezeichnet, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Personen sind Jugendliche, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben. Der Begriff der Kinderehe wäre daher nur auf Personen anwendbar, die noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet haben. Im Ausland rechtmäßig geschlossene Ehen sind im Inland – ohne dass es hierzu eines formellen Verfahrens bedarf – grundsätzlich anzuerkennen. Einer Minderjährigen-Ehe kann bei 1 OLG Bamberg, Beschluss v. 12.05.2016 – 2 UF 58/16. Titel: Wirksamkeit der in Syrien geschlossenen Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen. Bayerische Staatskanzlei. Abrufbar unter: http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/ Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-09621?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1. Drucksache 21/4861 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 einem Verstoß gegen den ordre public (Artikel 6 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB)) die Anerkennung versagt werden. Die Frage nach dem Mindestalter wird in der Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Einigkeit besteht hinsichtlich eines Mindestalters von 14 Jahren. Ehen von Minderjährigen sind nach deutschem Recht nach Maßgabe von § 1303 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab einem Mindestalter von 16 Jahren möglich, sofern der andere Ehegatte volljährig ist. Der Senat beantwortet die Fragen zum Teil auf Grundlage von Auskünften des Statistikamts Nord sowie von Angaben der im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration fachlich zuständigen Träger wie folgt: 1. Wie viele „Kinderehen“ sind dem Senat in Hamburg bekannt? Minderjährige Bevölkerung in Hamburg mit Familienstand „verheiratet“ unter 18 Jahre zum 31.12.2015 Staatsangehörigkeit unter 14 Jahren 14 bis unter 16 Jahren 16 bis unter 18 Jahre männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich Bulgarien – – – – – 2 Mazedonien – – – – – 1 Kosovo – – – – – 1 Afghanistan – – – – – 5 Irak – – – – – 1 Syrien – – – – – 3 Ungeklärt – – – – – 2 insgesamt – – – – – 15 Quelle: Melderegister Nicht bekannt ist, wie viele aller sonstigen verheirateten Personen zum Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig gewesen sind. Im Übrigen hat eine Abfrage bei den fachlich zuständigen Trägern keine neuen Erkenntnisse gegenüber der Drs. 21/2363 gebracht. Eine Einzelauswertung von mehreren Hundert Fällen bei den Trägern ist diesen in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. In welchen Ländern sind diese „Kinderehen“ geschlossen worden? a) Wie viele von ihnen sind nach vor Ort geltendem Zivilrecht geschlossen worden? b) Wie viele von ihnen sind demgegenüber nach religiösem Recht geschlossen worden? Das Statistikamt Nord verfügt über keine Daten, in welchen Ländern oder nach welcher Rechtsform die oben genannten Ehen von Minderjährigen geschlossen wurden. Auch bei den fachlich zuständigen Trägern findet eine systematische statistische Erfassung beziehungsweise Erhebung im Sinne der Fragestellungen nicht statt. 3. Um was für religiöses Recht handelt es sich dabei? Bitte die jeweiligen Religionsgemeinschaften nennen. Entfällt. 4. In wie vielen Fällen sind beide Ehegatten minderjährig? a) In wie vielen Fällen ist der Ehegatte minderjährig? b) In wie vielen Fällen ist die Ehegattin minderjährig? Siehe Antwort zu 1. 5. Wie verfährt der Senat, wenn er „Kinderehen“ feststellt? a) Werden im Ausland geschlossene „Kinderehen“ in Hamburg geduldet ? Falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage wäre dies möglich? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/4861 3 Im Ausland geschlossene Ehen zwischen Minderjährigen und Volljährigen werden in der Justizstatistik nicht erfasst. Eine Übermittlung von Zahlen oder eine Auswertung der Gerichtsakten die Frage betreffend, ob derartige Ehen in Hamburg „geduldet“ werden, ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Da derartige Ehen allein in familiengerichtlichen Verfahren zumindest mittelbar in sämtlichen Verfahren i.S.d. § 111 FamFG (Familiensachen ) eine Rolle spielen könnten, wäre hierfür allein in Bezug auf die familienrechtlichen Verfahren eine händische Auswertung sämtlicher familienrechtlicher Verfahren – pro Jahr circa 40.000 – erforderlich. Eine formale Anerkennung oder Feststellung von ausländischen Ehen (und gegebenenfalls Ehen mit Minderjährigen) findet in der Justizbehörde und den Gerichten nicht statt. Die Prüfung der Wirksamkeit einer im Ausland erfolgten Eheschließung erfolgt vielmehr als Vorfrage; so etwa im Rahmen der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen durch die Justizbehörde. Auch im gerichtlichen Verfahren wird die Wirksamkeit der Ehe nicht formal anerkannt, sondern kann als Vorfrage in Bezug auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen (etwa im Familienrecht, Erbrecht, des Bestehens von Aussageverweigerungsrechten et cetera) von Bedeutung sein. Zur Frage der Anerkennung von nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen von Minderjährigen durch die Gerichte ist generell auszuführen, dass die Voraussetzungen der Eheschließung gemäß Artikel 13 EGBGB für jeden Verlobten dem Recht des Staates unterliegen, dem er angehört. Ob eine im Ausland geschlossene wirksame Ehe hier anerkannt wird, ist insbesondere nach Artikel 6 EGBGB zu prüfen (ordrepublic -Vorbehalt). Hiernach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden , wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Nach Artikel 6 Satz 2 EGBGB ist dies insbesondere dann der Fall, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Dies ist eine jeweilige Frage des Einzelfalls, die jede Richterin und jeder Richter im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit gemäß Artikel 97 GG unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts und der Auslegung des ordrepublic -Vorbehalts bewertet und entscheidet. Im Übrigen siehe Drs. 21/2363. 6. In wie vielen Fällen sind die Ehegatten von als „Kinderehen“ identifizierten Verbindungen während ihres Aufenthalts in Deutschland voneinander getrennt worden? Wie gedenkt der Senat zukünftig mit „Kinderehen“ umzugehen? Zu Trennungen von solchen Ehegatten liegen keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen setzt der Senat sich seit vielen Jahren für die Bekämpfung von Zwangsehen – erst Recht in Fällen mit minderjährigen Partnern – ein (siehe Drs. 20/10994). Im Rahmen der Fortschreibung des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 21/4174) werden weitere Maßnahmen im Kontext „Kinderehen“ geprüft.