BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/490 21. Wahlperiode 19.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 13.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung Das Bayerische Staatsministerium der Justiz veröffentlichte kürzlich eine umfangreiche Pressemitteilung bezüglich positiver Erfahrungen mit elektronischer Aufenthaltsüberwachung (sogenannte elektronische Fußfessel) im Rahmen von Führungsaufsicht. Schwerpunktmäßig kommt die elektronische Überwachung im Anschluss an Haftverbüßungen wegen Sexualdelikten zur Anwendung, dient aber auch, eingesetzt im Rahmen elektronischer Präsenzkontrolle (EPK), der Vermeidung von Haftverbüßungen. Beides soll einer möglichst schnellen Resozialisierung von straffällig gewordenen Personen zugutekommen. Erläutert wird auch der Einsatz für alternative Sanktionsformen etwa im Jugendstrafrecht oder zur Vermeidung häuslicher Gewalt. Diese Methode bietet sich dafür an, das Sicherheitsanliegen der Bevölkerung einerseits und Resozialisierungsziele andererseits miteinander zu vereinbaren und zugleich auch Haftanstalten zu entlasten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In wie vielen Fällen wurde in Hamburg seit deren Einführung das Tragen einer elektronischen Fußfessel jeweils wann und zur Überwachung welcher für welchen Zeitraum geltenden Weisungen angeordnet? 2. Aufgrund welcher wann und wo begangenen Anlasstaten verbüßten diese Ex-Häftlinge jeweils welche Haftstrafen? 3. Wie wird in Hamburg verfahren, wenn ein Alarm einer Fußfessel ausgelöst wird? a. Wie oft ist dies in Hamburg geschehen? Bitte pro Jahr darstellen. b. Was geschieht, wenn man den Straftäter nicht antrifft? Seit Einführung der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) im Rahmen der Führungsaufsicht haben Gerichte in Hamburg in sieben Fällen die Weisung erteilt, die für eine elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen (sogenannte Fußfesselweisung).1 Die entsprechende Weisung wird nicht zwingend zur Überwachung einer anderen Weisung erteilt. Vielmehr kann sie auch ohne Bezugsweisung in der Erwartung erteilt werden, dass der Betroffene dadurch, dass seine Anwesenheit am Tatort auch nachträglich festgestellt werden kann, von der Begehung weiterer Taten abgehalten wird. Die Einzelheiten ergeben sich aus der folgenden Tabelle2: 1 Eine Verhängung von EAÜ-Weisungen außerhalb von Führungsaufsicht erfolgte nicht. 2 Die genannten Strafen wurden jeweils voll verbüßt. Drucksache 21/490 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Nr. Urteil und Tatgeschehen Gerichtliche Anordnung der EAÜ-Weisung Zur Überwachung welcher Weisung 1 - Sexueller Missbrauch zum Nachteil eines neunjährigen Mädchens aus dem Jahr 2000 in der Wohnung des Verurteilten. - LG Hamburg vom 20.06.2007: Wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen unter Einbeziehung von Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren acht Monaten. - Anordnung: 20.06.2011 - Aufhebung: 28.03.2013 EAÜ-Weisung ohne Bezugsweisung 2 - Im Jahr 2006 mit Maschinenpistole in Autohaus auf zwei Menschen geschossen. - LG Hamburg vom 28.06.2007: Wegen tateinheitlich in zwei Fällen begangenen versuchten Mordes in Tateinheit mit ungenehmigtem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe sowie tateinheitlich begangenen unerlaubten Erwerbes von Munition zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. - Anordnung: 09.11.2012 für den Fall, dass der Verurteilte, der konkrete Rückkehrpläne in sein Heimatland dargelegt hatte, in das Bundesgebiet zurückkehrt Verbotszonen (Weisungen gemäß § 68 Absatz 1 Nummer 2 und Nummer 3 StGB) 3 - Vergewaltigung im Jahre 2008 - LG Hamburg vom 11.02.2009: Wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen, Bedrohung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten verurteilt. - Anordnung: 07.05.2013 (Verbotszone (Weisung nach § 68 Absatz 1 Nummer 2 StGB) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/490 3 Nr. Urteil und Tatgeschehen Gerichtliche Anordnung der EAÜ-Weisung Zur Überwachung welcher Weisung 4 - Vergewaltigung einer zwölfjährigen am Rande eines WM-Fanfestes auf dem Heiligengeistfeld 2006 - LG Hamburg vom 30.11.2006: Wegen schwerer sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt . - Anordnung: 08.08.2013 - Vorübergehende Aufhebung für Dauer der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO: 13.05.2014 EAÜ-Weisung ohne Bezugsweisung 5 - Entführung und erpresserischer Menschenraub 1996 - LG Hamburg vom 08.03.2001: Wegen erpresserischen Menschenraubs zu Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt. - Anordnung: 11.09.2013 nur für den Fall des Aufenthalts in Deutschland; es erfolgte eine sofortige Ausreise EAÜ-Weisung ohne Bezugsweisung 6 - Messerattacke auf Ehefrau Oktober 2005 - Landgericht München vom 29.06.2006: Wegen versuchtem Totschlag und zugleich der gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren - Anordnung: 16.07.2014 Gebots- und Verbotszone (Weisungen nach § 68 Absatz 1 Nummern 1, 2 und 3 StGB) 7 - Übergriff auf eine Minderjährige März 2001 - Landgericht Hamburg vom 25.06.2001: Wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit versuchter sexueller Nötigung und mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren - Anordnung: 19.01.2015 EAÜ-Weisung ohne Bezugsweisung In 35 Fällen ist es bislang zum Auslösen des Alarms des EAÜ-Trackers gekommen, davon neun Fälle im Jahr 2013, 23 Fälle im Jahr 2014 und drei Fälle im Jahr 2015. Die von der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) im Alarmfall durchzuführenden Maßnahmen werden im Vorwege durch die Fallkonferenz festgelegt. Dabei wird bestimmt, zu welchen Stellen (Polizei, Führungsaufsichtsstelle, Bewährungshilfe , verurteilte Person) die GÜL in welcher Situation und in welcher Reihenfolge Kontakt aufzunehmen hat. Die Festlegungen sind am Einzelfall orientiert und unterscheiden sich deshalb von Fall zu Fall. In einer Vielzahl von Fällen reicht eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem Probanden, um diesen auf einen Verstoß hinzuweisen und gegebenenfalls zu einer Änderung seines Verhaltens zu veranlassen. Wenn der Proband nicht erreicht werden kann, Aufforderungen des zuständigen Sozialarbeiters nicht nachkommt oder wenn aufgrund eines Ge- oder Verbotszonenverstoßes eine Gefährdung von Personen in Betracht kommt, wird sofort die Polizei alarmiert, die erforderlichenfalls umgehend eingreift. Drucksache 21/490 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Im Anschluss erfolgt eine Meldung an die Führungsaufsichtsstelle, die entscheidet, ob ein Verstoß gegen eine Führungsaufsichtsweisung gemäß § 145a StGB vorliegt und Strafantrag gestellt werden soll. Im Übrigen siehe Drs. 20/11836. 4. Wie beurteilt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die elektronische Aufenthaltsüberwachung – auch vor dem Hintergrund positiver Erfahrungen in Bayern? Die Elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht ist grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um das Verhalten besonders gefährlicher Straftäter nach ihrer Entlassung aus der Haft zu überwachen und sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Um Möglichkeiten zu eruieren, auf Verstöße unter anderem gegen die EAÜ-Weisung noch effektiver zu reagieren, wurde unter der Federführung der zuständigen Behörde eine Länderarbeitsgruppe zu „Reaktionsmöglichkeiten bei Weisungsverstößen im Rahmen der Führungsaufsicht“ eingerichtet, die am 3. März 2015 ihre erste Sitzung hatte. 5. Ist eine Ausweitung des Einsatzes dieser Überwachungsform geplant? Wenn ja, inwiefern, wenn nein, warum nicht? 6. Führt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Studien zur Effektivität einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen von Führungsaufsicht oder anderweitig durch oder nimmt an solchen Studien teil oder ist dies geplant? Wenn nein, warum nicht? Die Meinungsbildung in der zuständigen Behörde ist noch nicht abgeschlossen. Abzuwarten ist die bundesweit von der Universität Tübingen, Prof. Kinzig, durchgeführte Studie „Evaluation der elektronischen Aufenthaltsüberwachung“, an der auch die Führungsaufsichtsstelle beim Landgericht Hamburg teilnimmt. Die Frage, ob und in welcher Form eine Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sinnvoll sein könnte, ist zudem Gegenstand der Justizministerkonferenz vom 17. bis 18. Juni 2015 7. Zur Vermeidung von Haftverbüßungen wendet Hessen im Rahmen von Studien seit 2000 eine Elektronische Präsenzkontrolle (EPK) an, mit welcher konkret nur die An- und Abwesenheitszeiten in Wohnungen kontrolliert werden können (zum Beispiel im Rahmen von Hausarrest). a. Wie funktioniert die EPK konkret? Beim hessischen Modellprojekt der Elektronischen Präsenzkontrolle trägt der Proband die sogenannte Kleine Fußfessel. Ein individueller Tagesplan legt für den jeweiligen Probanden bestimmte An- und Abwesenheitszeiten von der Wohnung fest. Über eine Home Unit kann dann festgestellt werden, zu welchen Zeiten der Proband in seiner Wohnung anwesend ist. Hierzu genügt der Einsatz der sogenannten Radiofrequenztechnik . Eine Überwachung des Aufenthaltsortes des Probanden außerhalb seiner Wohnung mittels GPS erfolgt nicht. b. Wie beurteilt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde diese Form einer eingeschränkten Überwachung? Siehe Antwort zu 5. und 6.