BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/491 21. Wahlperiode 19.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 13.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Hamburg – Nachfragen Die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) ist besonders schwierig für die Betroffenen. Sie ist gekennzeichnet durch ein fremdes Land, eine neue Sprache, fehlende Bezugspersonen und so weiter. In den vergangenen Monaten ist eine Vielzahl Schriftlicher Kleiner Anfragen zu dem Thema gestellt worden, deren Beantwortungen neue Fragen aufwerfen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 20/14626 antwortet der Senat auf Frage 9., dass aktuell (Stand 17.02.2015) 1.218 Vormundschaften beim Amtsgericht Hamburg anhängig sind. In den Antworten auf die Fragen 1. b. und c. heißt es, dass 481 beziehungsweise 372 UMF in den Erstversorgungseinrichtungen beziehungsweise Folgeunterbringungen sind. Wo ist der Rest? Die in der Drs. 20/14626 genannte Anzahl Vormundschaften von 1.218 bezieht sich nicht ausschließlich auf unbegleitet minderjährige Flüchtlinge (UMF), sondern stellt die Gesamtanzahl der beim Amtsgericht Hamburg-Mitte anhängigen Vormundschaften dar. Im Übrigen wird für jeden UMF gemäß § 42 SGB VIII unverzüglich die Bestellung eines Vormundes veranlasst. a. Wie viele UMF halten sich aktuell in Hamburg auf? Im Jugendhilfesystem waren zum Stichtag 30. April 2015 insgesamt 876 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erfasst. b. Wie viele davon in einer Erstversorgungseinrichtung? Mit Stand 13. Mai 2015 lebten in den Erstversorgungseinrichtungen 586 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. c. Wie viele davon in einer Folgeunterbringung der Jugendhilfe oder an welchen anderen Orten? Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden im Anschluss an die Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII ausschließlich in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. Mit Stand vom 30. April 2015 befanden sich insgesamt 411 UMF in einer Hilfe zur Erziehung. 2. Zur Anlage 1 der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 20/14626: Wie ist jeweils der Personalschlüssel in den genannten Erstversorgungseinrichtungen ? Drucksache 21/491 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Für alle Erstversorgungseinrichtungen gilt – abhängig von den räumlichen Möglichkeiten zur Einrichtung von Gruppengrößen – ein Personalschlüssel für die pädagogische Betreuung von 1:2,5 bis 3 zuzüglich Leitung, Koordination, Fachkräfte für Hauswirtschaft und Sprach- und Kulturmittlung. Für die Erstversorgungseinrichtung 4 am Bullerdeich stehen aufgrund eines anderen Konzeptes speziell für UMF mit deviantem Verhalten vier pädagogische Fachkräfte, zehn Kräfte für Sprach- und Kulturmittlung zuzüglich Leitung und Hauswirtschaft für bis zu 20 UMF zur Verfügung. 3. Bekommen die UMF in den Erstversorgungseinrichtungen rechtliche Beratung und/oder Hilfe im Clearingverfahren? Wenn nein, wer leistet diese Unterstützung, wenn die Amtsvormünder mit einer durchschnittlichen Fallzahlbelastung von 1 zu 30 beziehungsweise maximal 1 zu 50 belegt werden? Die jungen Flüchtlinge werden im Rahmen der Aufnahmegespräche durch den Fachdienst Flüchtlinge über die allgemeinen ausländer- und asylrechtlichen Verfahren aufgeklärt und bei Bedarf auf spezialisierte Beratungs- und Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingszentrum Hamburg oder Fluchtpunkt hingewiesen. Es ist grundsätzlich die Möglichkeit einer anwaltlichen Beratung gegeben. Nach Bestellung eines Vormunds ist es dessen Aufgabe, diesbezügliche Entscheidungen für sein Mündel beziehungsweise mit seinem Mündel zu treffen. 4. Wie viele Amtsvormünder sind für wie viele UMF in Hamburg zuständig? a. Wie hoch sind die Fallbelastungszahlen der Amtsvormünder akutell durchschnittlich? Mit der Reform des Vormundschaftsrechtes im Jahr 2011 wurde eine Fallobergrenze für Amtsvormünder eingeführt. Ein vollzeitbeschäftigter Beamter oder Angestellter soll laut § 55 SGB VIII Absatz 2 Satz 4 höchstens 50 Vormundschaften führen. Amtsvormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden seit Dezember 2014 von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) übernommen . Es geht hierbei ausschließlich um neu einzurichtende Amtsvormundschaften für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Hier sind derzeit sechs Amtsvormünder auf 5,75 Stellen (VZÄ) für insgesamt 222 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständig . Dies entspricht einer durchschnittlichen Fallbelastung von 38,6 Fällen auf eine Stelle (VZÄ). Darüber hinaus sind drei Amtsvormünder auf 2,75 Stellen (VZÄ) für junge Menschen zuständig, die in der Betreuung des FIT liegen; 65 dieser jungen Menschen sind UMF. Die derzeit noch in den Bezirksämtern durchgeführten Amtsvormundschaften für UMF werden nicht spezialisiert wahrgenommen und werden im Rahmen des Berichtswesens nicht gesondert aufgeführt. Im Übrigen siehe Drs. 20/14626. b. Was sind die Aufgaben, die die Amtsvormünder zu übernehmen haben? Die Aufgaben richten sich nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, die für Amtsvormünder gemäß § 55 SGB VIII und insbesondere §§ 1793 Absatz 1, 1631 und 1800 BGB generell gelten, sowie der Fachanweisung zur Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 15. März 2013 (siehe unter http://www.hamburg.de/contentblob/3887168/data/fachanweisungvormundschaft .pdf) und einer Dienstanweisung für die Amtsvormünder unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge vom 1. April 2015. Im Hinblick auf die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beziehen sich die Aufgaben der Amtsvormünder daneben insbesondere auf ‐ ihre Unterbringung und gesundheitliche Versorgung, ‐ die Beratung in und Begleitung bei aufenthaltsrechtlichen Fragen, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/491 3 ‐ Schule und (Berufs-)Ausbildung der jungen Menschen, ‐ die Bewältigung etwaiger Traumatisierungen, die die jungen Menschen in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht erfahren haben, ‐ die Unterstützung erzieherischer und sonstiger Maßnahmen, die insbesondere bei anhaltend delinquentem, selbst- und fremdgefährdendem Verhalten notwendig sind. 5. In der Antwort auf Drs. 20/14451 erklärt der Senat, dass die Liegenschaft am Bullerdeich sich für eine Einrichtung der Jugendhilfe und einen vorübergehenden Aufenthalt von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eignet. a. Seit wann wird diese Einrichtung betrieben? Die Einrichtung am Bullerdeich wurde am 26. März 2015 in Betrieb genommen. b. Wie lang ist der geplante Aufenthalt der Minderjährigen für das Clearingverfahren? Der Aufenthalt im Rahmen der Erstversorgung soll in der Regel nicht länger als drei Monate dauern. c. Was waren die Ergebnisse der Clearingverfahren bisher? Siehe Antwort zu 5. f. und 5. g. d. Wie lange bleiben die Minderjährigen im Durchschnitt tatsächlich in der Einrichtung? Die in der Erstversorgungseinrichtung Bullerdeich untergebrachten UMF wurden zum Teil bereits vorher in anderen Erstversorgungseinrichtungen des LEB betreut und sind mit Inbetriebnahme am 26. März 2015 dorthin umgezogen. Am Standort Bullerdeich sind die UMF seit Inbetriebnahme im Durchschnitt 44,3 Tage in der Einrichtung. e. Wie lange war die bisher längste Unterbringung? Am Standort Bullerdeich beträgt die längste Unterbringung 50 Tage. f. Wie viele Jugendliche habe die Einrichtung bisher durchlaufen? g. In welche Einrichtungen wurden sie verteilt? Vier unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben die Einrichtung mit unbekanntem Aufenthaltsort verlassen und gelten als vermisst. Ein Minderjähriger ist in einer Jugendwohnung auf der Grundlage einer Hilfe gemäß § 34 SGB VIII untergebracht. h. Wie ist der Personalschlüssel in dieser Einrichtung? Siehe Antwort zu 2. 6. Aus der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 14.04.2015, Drs. 21/240, geht hervor, dass die Anzahl der vom Fachdienst Flüchtlinge betreuten UMF sich innerhalb eines Jahres mehr als versechsfacht hat, während die Anzahl der Mitarbeiter/-innen sich nicht einmal verdoppelte. a. Wie stellen sich diese Zahlen in einem errechneten Personalschlüssel pro Personalstunde dar? Die Jahresarbeitsstunden einer mit 39 Wochenstunden beschäftigten Vollzeitkraft betragen 1751,3 Stunden. Bei 18 Vollzeitkräften entspricht dies einem Jahresstundenvolumen von 31.523,4. Bezogen auf die in der Drs. 21/240 genannten 529 durch den Fachdienst Flüchtlinge zu betreuenden UMF stehen für jeden UMF 59,6 Stunden zur Verfügung. Ein so ermittelter Wert hat allerdings nur eine geringe Aussagekraft. Zum einen ist nicht die zu einem Stichtag ermittelte Zahl der in Obhut befindlichen UMF maßgebend Drucksache 21/491 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 für den Personalaufwand im Fachdienst Flüchtlinge, sondern die Anzahl aller UMF, die innerhalb eines Jahres Inobhut genommen werden. Zum anderen muss sich die Personalbedarfsberechnung auf den durchschnittlichen Aufwand pro Fall beziehen. Dabei ist der zeitliche Aufwand für einen Fall, bei dem sich an die Beendigung der Inobhutnahme eine Hilfebewilligung anschließt, mit 32,75 Stunden etwa doppelt so hoch als für einen Fall ohne Hilfebewilligung (zum Beispiel wegen Erreichens der Volljährigkeit während der Inobhutnahme). b. Wie stellt die Behörde beziehungsweise der LEB sicher, dass die UMF im Clearingverfahren zu ihren Rechten kommen? Siehe Antwort zu 7. c. Plant der Senat eine Aufstockung der genannten Stelle? Ja, aufgrund der steigenden Zugangszahlen ist eine weitere Aufstockung geplant. d. Bei wie viel Prozent der Jugendlichen wurde im Clearingverfahren und/oder in der medizinischen Altersfeststellung festgestellt, dass sie zu alt für einen Jugendhilfebedarf sind? Bitte tabellarisch angeben für die vergangenen zwölf Monate und ob dabei jeweils Sprachmittler/-innen zugegen waren. Monat Anteil der Volljährigen Mai 2014 49% Jun 2014 62% Juli 2014 53% Aug 2014 54% Sep 2014 52% Okt 2014 52% Nov 2014 57% Dez 2014 63% Jan 2015 59% Feb 2015 51% Mrz 2015 58% Apr 2015 54% Mai (bis 15.05.) 39% Bei den Erstgesprächen zur Feststellung, ob Minderjährigkeit vorliegt, ist regelhaft eine Person anwesend, die eine erforderliche Übersetzung leistet. Dies kann bei vorhandener Sprachkompetenz eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter des Fachdienstes Flüchtlinge oder ein Sprach- und Kulturmittler oder eine Dolmetscherin beziehungsweise ein Dolmetscher sein. 7. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 14.04.2015, Drs. 21/240, beschreibt der Senat das Verfahren (Gespräch) zur Altersfeststellung . Hierbei ist nicht die Rede davon, dass Dolmetscher/-innen eingesetzt werden. Werden bei so weitreichenden Entscheidungen tatsächlich keine Sprachmittler/-innen hinzugezogen? Bei Zweifeln an der Minderjährigkeit werden den Flüchtlingen mit Dolmetschern beziehungsweise Dolmetscherinnen das Verfahren beim Institut für Rechtsmedizin (IfR), die rechtlichen Grundlagen, die Gründe für die Zweifel am Alter und die Folgen der Untersuchungsergebnisse des IfR erläutert und ein Aufforderungsschreiben ausgehändigt . Das Aufforderungsschreiben wird übersetzt und zusätzlich eine schriftliche Kurzerläuterung ausgehändigt, solange es sich nicht um eine sehr seltene Sprache handelt. Außerdem erhalten die Flüchtlinge Adressen von Beratungsstellen wie zum Beispiel Flüchtlingszentrum Hamburg oder Fluchtpunkt. Die Untersuchung beim IfR findet frühestens drei Tage nach der Aufforderung statt. Im Übrigen siehe Antwort zu 6. d. a. Wenn nein, warum nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/491 5 b. Wenn nicht in allen Fällen: In wie viel Prozent der Fälle der vergangenen zwölf Monate? Entfällt. 8. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 14.04.2015, Drs. 21/240, erwähnt der Senat ein „eigenes Angebot“ der Traumaerstberatung des LEB. Wie ist dieses Angebot ausgestaltet? Die Traumaerstversorgung bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, in ihrer Ankunftsphase über Erlebtes zu sprechen und kann zur Stabilisierung und Aktivierung eigener Ressourcen und Selbststärkungskräfte beitragen. Die Traumaerstversorgung erfolgt in vier Modulen (Psychoedukation, Arbeit mit dem „inneren sicheren Ort“, Aktivierung von Ressourcen und Klärung, was in der Zukunft passieren soll). Wird eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vermutet, werden geeignete Therapiemöglichkeiten gesucht, zum Beispiel in der Flüchtlingsambulanz im UKE. a. Wie ist hier der Personalschlüssel? b. Welche Qualifizierung haben die Mitarbeitenden? Die Traumaerstversorgung des LEB wird an 3,5 Tagen pro Woche von einer Familientherapeutin angeboten. c. In welchem Umfang werden hier Dolmetscher/-innen eingesetzt? In allen Fällen. d. Wie viel Prozent der UMF haben das Angebot jeweils in den vergangenen zwölf Monaten genutzt? Das Angebot wird durchschnittlich von 20 bis 25 Jugendlichen pro Woche genutzt. Dies entspricht etwa einem Anteil von 25 Prozent. 9. Wie erklärt der Senat sich den Umstand, dass sich die Anzahl der UMF in den vergangenen zwölf Monaten versechsfacht hat, die Annahme des Angebotes der Traumazentren durch UMF aber fast gleich geblieben ist? Die Annahme des Angebots der Traumazentren ist innerhalb der vergangenen zwölf Monate nicht gleich geblieben, sondern hat sich von 45 auf 89 Fälle nahezu verdoppelt . Im Übrigen siehe Drs. 21/240.