BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/501 21. Wahlperiode 22.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Daniel Oetzel und Jennyfer Dutschke (FDP) vom 15.05.15 und Antwort des Senats Betr.: JUS-IT (II) Am 13.05.2015 berichtete das „Hamburger Abendblatt“, dass Senator Scheele die Fortsetzung von Release 3 des Projekts JUS-IT in Zusammenarbeit mit IBM gestoppt hat. In einer Pressemitteilung von Dataport vom 11.05.2015, auf den sich auch der Abendblatt-Artikel beruft, heißt es hierzu: „Das Angebot der IBM zur Ablösung von PROSA ist einer eingehenden Prüfung unterzogen worden. Parallel dazu hat eine Markterkundung stattgefunden. Seit Projektbeginn im Jahr 2008 hatten sich die Anforderungen an das neue Sozialhilfeverfahren verändert . Im Ergebnis hat die zuständige Fachbehörde – die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration – empfohlen, das Angebot nicht anzunehmen.“ In Drs. 20/11718 vom 06.05.2014 schrieb der Senat hingegen noch: „Für Release 3 mit dem Schwerpunkt „Soziales“ kann nach Abschluss der Aufnahme der fachlichen Anforderungen festgestellt werden, dass nach der Analyse des Projekts und der Einschätzung des Anbieters alle erforderlichen fachlichen Anforderungen und Schnittstellen durch die neue Software abgedeckt werden können.“1 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Dataport hat mit IBM einen Rahmenvertrag geschlossen, um eine IT-Lösung für die Bereiche Jugend und Soziales in der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) zu planen sowie sie in mehreren Stufen zu realisieren und einzuführen. Die FHH hat mit Dataport einen Dienstleistungsvertrag geschlossen, in dem geregelt ist, dass Dataport im Auftrag der FHH als Auftraggeber Steuerungsleistungen zur Erfüllung des Vertragsgegenstandes erbringt. Der Rahmenvertrag ermöglicht es, bei IBM Teilprojekte auf Basis von Festpreisangeboten abzurufen. Die geplante Lösung für den Bereich Soziales stellt ein solches Teilprojekt dar. Ein Abruf eines solchen Festpreisangebotes für das Teilprojekt Soziales (Release 3) war zwischen Dataport und IBM in Abstimmung mit der FHH Ende Februar 2014 final verhandelt worden. Die im Angebot enthaltenen Kosten- und Zeitpläne bildeten die Grundlagen für die Mitteilung des Senats in der Drs. 20/11718. Mit dem Angebot hatte sich IBM zu diesen Kosten- und Zeitplänen bekannt und eine Bindung an dieses Angebot bis zum 28. Mai 2014 befristet. Am 23. Mai 2014 erklärte IBM, die Lösung für den Bereich Jugend erst im November statt im Juli 2014 einführen zu können und das bereits verhandelte Angebot für Release 3 überprüfen zu müssen (siehe Drs. 20/11970). Im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss am 27. Mai 2014 1 Vergleiche Drs. 20/11718, Seite 4. Drucksache 21/501 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 hatten die Vertreter des Senates ihr Unverständnis über das Vorgehen von IBM zum Ausdruck gebracht und erklärt, dass man zunächst die Fertigstellung der Jugendhilfelösung zur Ablösung von PROJUGA abwarte, bevor eine Entscheidung auf Basis der Vorlage eines neuen Angebotes für Release 3 getroffen werde. Sie erklärten, dass angesichts der eingetretenen Entwicklung auch ein Neustart zu betrachten und zu prüfen sei, welche Lösungen für die Sozialhilfe in anderen Städten im Einsatz seien (siehe Protokoll der Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses Nummer 20/36 vom 27. Mai 2014). Dazu hat die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) im Juli 2014 eine Markterkundung in Auftrag gegeben, deren Ziel es war, herauszuarbeiten , ob es in anderen Großstädten eine Fachanwendung für den Sozialhilfebereich gibt, die im Grundsatz in der Lage ist, das Hamburger Bestandsverfahren PROSA abzulösen sowie zu bewerten, ob eine solche Lösung unter Kosten-NutzenAspekten zu besseren Ergebnissen führen kann als eine Umsetzung mit IBM. IBM hat am 9. März 2015 ein erneutes Angebot zur Ablösung der Sozialhilfesoftware PROSA („Release 3“) vorgelegt. In formaler Hinsicht handelt es sich um ein Angebot für ein weiteres Teilprojekt aus dem Rahmenvertrag. Dataport und BASFI machten schnell deutlich, dass das Angebot in dieser Form nicht annehmbar war. Nach mehrfachen Verhandlungen hat IBM eine Überarbeitung des Angebotes inklusive einer Absenkung des Kostenvolumens in Aussicht gestellt. Die Bindefrist für das Angebot wurde bis zum 15. Mai 2015 verlängert. Die Ergebnisse der Markterkundung sowie der Fortschritt der Verhandlungen mit IBM flossen kontinuierlich in den Entscheidungsprozess ein. Gleiches gilt für die Ergebnisse des aktuellen CSC-Berichtes. Die im Jahre 2011 begonnene Berichterstattung seitens der Firma CSC verfolgt das Ziel, anhand standardisierter Kenngrößen den Projektstatus von JUS-IT zu berichten. Der am 16. Februar 2015 finalisierte Bericht der Firma CSC stellt eine Aktualisierung der ersten drei Berichte vom Februar und November 2012 sowie Dezember 2013 dar. Er setzt auf dem Format vorangegangener Berichte auf und bewertet das Projekt per Dezember 2014 in Form eines fünfstufigen Ampelsystems. Der Bericht beschreibt die Projektsituation und stellt dar, an welchen Stellen aus Sicht der Firma CSC weiterer oder neuer Handlungsbedarf besteht. Gegenüber dem Vorbericht vom Dezember 2013 fiel die Bewertung von Projektmanagementmethode , Projektqualität, Risiken und Probleme sowie Projektkosten um eine Stufe ungünstiger aus. Das Erreichen der Geschäftsziele wurde identisch bewertet. Nach ausführlicher Beratung hat die Behördenleitung der BASFI entschieden, das Angebot der IBM zur Ablösung der Sozialhilfesoftware PROSA nicht anzunehmen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wann genau hatte der Präses der BASFI die interne Sperre für die Realisierung von Release 3 verhängt? Wann genau hatte er sie gelockert, um Anforderungen an das Release 3 definieren zu können? Die Sperre wurde Mitte Februar 2012 nach Vorlage des ersten CSC-Berichts verhängt; die Erstellung der Feinkonzepte war hiervon ausgenommen (siehe Protokoll der Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses Nummer 20/9 vom 28. Februar 2012). Sie wurde im September 2014 insoweit aufgehoben, als Gelder zur Vorbereitung von Release 3 erforderlich waren und nachdem die IBM signalisiert hatte, dass sie den Zieltermin für Release 2 im November halten würde. 2. Seit wann genau lag das Angebot von IBM für Release 3 vor? Siehe Vorbemerkung. 3. Wann genau wurden die in der Pressemitteilung von Dataport erwähnte Prüfung des Angebots von IBM und die Markterkundung jeweils begonnen sowie abgeschlossen? Die Prüfung des Angebotes der IBM wurde am 9. März 2015 begonnen und bis zum 30. April 2015 fortgesetzt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/501 3 Die Beauftragung der Markterkundung wurde am 9. Juli 2014 erteilt. Der Ergebnisbericht des beauftragten Unternehmens datiert vom 26. Februar 2015. 4. Womit erklärt sich der diametrale Widerspruch zwischen der Aussage in der vom Senat verfassten Drs. 20/11718 und der nunmehr in der Pressemitteilung von Dataport zu lesenden Aussage respektive Entscheidung der BASFI? Siehe Vorbemerkung. 5. Wann genau wurde von der zuständigen Behörde sowie welchen Mitgliedern des Senats und/oder Staatsrätekollegiums erstmalig in Erwägung gezogen, die Zusammenarbeit mit IBM zu beenden und/oder das Release 3 gegebenenfalls mit einem anderen Projektpartner zu realisieren? Wann genau wurde durch wen die entsprechende Entscheidung getroffen? Die Behördenleitung der BASFI entschied am 6. Mai 2015. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 6. Welche Rolle spielt Release 3 im Ende 2014 vorgelegten Projektbericht von CSC? a. Inwieweit wird dabei eine Beendigung der Zusammenarbeit mit IBM thematisiert und/oder eine neuerliche Markterkundung angeregt? Dies wird im Bericht nicht thematisiert. b. Welche Empfehlungen werden von CSC bezüglich der weiteren Planung und Realisierung von Release 3 allgemein gegeben? Hinsichtlich der Risiken und Probleme griff CSC die im Bericht vom Dezember 2013 gegebenen Empfehlungen erneut auf: - Es sollten (weiterhin) zeitliche Verzögerungen frühzeitig erkannt und diesen mit allen Mitteln entgegengewirkt werden. - Um das in Release 2 aufgebaute Wissen in der Entwicklung von JUS-IT zu sichern, solle durch einen terminlich möglichst nahtlosen Übergang zu Release 3 eine kontinuierliche Fortführung des Projektes angestrebt werden. - Der erfolgte Aufbau von Wissen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit von Dataport im Betrieb müsse weiter ausgebaut werden. Dies sei auch vor dem Hintergrund der zunehmenden funktionellen Komplexität bei Release 3 weiterhin erforderlich und müsse aktiv gesteuert werden. Eine aktive Beteiligung von Dataport bei der Inbetriebnahme auf Basis von Testdaten sei in Vorbereitung. Weiterhin solle das bereits erstellte Qualifizierungs- und Unterstützungskonzept konsequent weiterverfolgt werden . CSC berichtete darüber hinaus, dass die Empfehlungen vom Auftraggeber auf operativer Ebene eingehalten und seitens des Auftragnehmers operative Maßnahmen ergriffen wurden, um den bekannten Problemen zu begegnen. In Bezug auf die Kosten sprach CSC die Empfehlungen aus, - bei der Vertragsgestaltung den Auftragnehmer geeignet an den Laufzeitrisiken zu beteiligen, - unabhängig davon, auf welchem Wege eine neue Lösung für „Soziales“ realisiert wird, für eine notwendige Nachbudgetierung eine die bisherige Projekterfahrung einbeziehende belastbare Kostenplanung zugrunde zu legen. Beide Aspekte wurden in den Verhandlungen mit der IBM sowie der Entscheidungsfindung zum weiteren Vorgehen berücksichtigt. c. Wie haben sich im genannten Bericht aus jeweils welchen Gründen die fünf Projekt-Bewertungsmerkmale „Projektmanagement“, Projektqualität “, „Projektkosten“, „Geschäftsziele“ und „Risiken und Probleme “ entwickelt? Welche Rolle spielte dabei jeweils der seinerzeitige Drucksache 21/501 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Sachstand bezüglich Release 3? (Bitte für Merkmale jeweilige StatusFarben nennen.) Auf der fünfstufigen Skala „grün“, „gelbgrün“, „gelb“, „orange“, und „rot“ wurden seitens CSC die Merkmale wie folgt bewertet: Projektmanagement „orange“, Projektqualität „gelb“, Geschäftsziele „gelbgrün“, Risiken und Probleme „orange“, Projektkosten „rot“. Der Sachstand zu Release 3 spielte bei der Bewertung der Projektsituation nur insoweit eine Rolle, als Anregungen zum Umgang mit der Firma IBM bei Abruf eines entsprechenden Angebotes gegeben wurden. Die Begründungen für die Bewertung des Projektmanagement waren - die Erkenntnis, dass bei Entwicklung und Test von Release 2 das Management von Changes, Testfällen und Fehlern Mängel zeigte, die nur durch den Einsatz einer konsequent handelnden Projektorganisation beherrscht werden konnten, - das zu späte Reagieren des Auftragnehmers auf die sich abzeichnenden Probleme in der Entwicklung Release 2, - eine unzureichende Zusammenarbeit im Qualitätssicherungs- und Testmanagement Release 2 sowie ein in einem entscheidenden Zeitraum fehlender Teilprojektleiter für das Testmanagement aufseiten des Auftragnehmers. Die Begründungen für die Bewertung der Projektqualität waren - die aufgrund fehlender organisatorischer Voraussetzungen und gesetzlicher Grundlagen nur sehr begrenzt mögliche Umsetzung des Ansatzes der integrierten Hilfesicht , - unerwartet hohe Fehlerraten beim Test Release 2 und damit verbundene hohe Testund Fehlerbehebungsaufwände, denen durch eine Personalverstärkung und engere Koppelung von Testmanagement und Entwicklung entgegengewirkt wurde, - eine mit Release 2 produktiv gesetzte anwenderfreundlichere Benutzeroberfläche, - ein guter Status bei der Migration der Altdaten, - ein aus Kostengründen reduziertes Architekturmanagement sowie - der weiter voranschreitende Know-how-Aufbau des Dataport-Personals. In Bezug auf die Geschäftsziele entspricht die Bewertung der des Vorberichtes. Die Begründungen für die Bewertung der Risiken und Probleme waren - die den Terminverzug von Release 2 verursachende Fehlerrate, welche durch eine Reorganisation im Projekt beherrscht werden konnte. Aufgrund der höheren Komplexität der Sozialhilfe müsse sich diese Organisation noch bewähren, um bereits in der Entwicklung eine höhere Softwarequalität zu erreichen, - ein durch die Verzögerung von Release 2 weitgehend erschöpftes Budget sowie das Risiko, dass IBM möglicherweise Release 3 nur zu einem hohen Festpreis anbieten werde, - die Erfordernis, in der aktuellen Budgetsituation klare Projektziele und politische Rahmenbedingungen als einen Erfolgsfaktor für Release 3 vorzugeben, - die Komplexität der Gesamtlösung, welche ein starkes Architekturmanagement erfordere, - ein gegebenenfalls nicht ausreichend lange verfügbares externes Personal, um das interne Know-how vollständig aufbauen zu können, - eine anstehende Bewährung von Release 2 zur Schaffung der Anwenderakzeptanz. Hinsichtlich der Projektkosten bestätigt CSC die Einschätzung, dass aufgrund der Terminverschiebung von Release 2 von einer nicht mehr validen Kostenschätzung auszugehen war, und bestätigt insoweit die Entscheidung, die Drs. 20/11718 zurückzuziehen. 7. Wann genau wurden die letzten „redaktionellen Änderungen“ am Projektbericht von CSC fertiggestellt? Seit wann genau liegt er in Dienststellen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/501 5 der Freien und Hansestadt Hamburg respektive dem Senat in der abschließenden Fassung vor? Die redaktionellen Änderungen des am 2. Februar 2015 übersandten Berichtes wurden in den darauffolgenden Tagen geprüft und am 16. Februar 2015 finalisiert. 8. Welche Kosten hat JUS-IT bislang insgesamt (absehbar) verursacht? Wie viele davon für die Planung und sonstige Vorarbeiten von Release 3? Über die Ist-Ausgaben per 31. März 2014 wurde mit Drs. 20/11781 informiert. Seitdem entstanden folgende zusätzliche Aufwände per 31. März 2015 für - Investive Mittel: 3,511 Millionen Euro - Projekt Dataport: 3,987 Millionen Euro - Projekt FHH: 1,922 Millionen Euro - Betriebskosten Dataport: 8,349 Millionen Euro Insgesamt sind investive Mittel in Höhe 10,08 Millionen Euro für das Release 3 aufgewendet worden.