BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5011 21. Wahlperiode 05.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 27.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Erneut folgenschwere Angriffe durch einen Gefangenen in der JVA Hahnöfersand? Nachdem bereits am 2. Mai 2016 ein Beamter der JVA Hahnöfersand Opfer eines Angriffs durch einen 20-jährigen Gefangenen wurde, soll es am Wochenende erneut zu Übergriffen eines Insassen gekommen sein, bei denen bedauerlicherweise Bedienstete verletzt wurden. Der Senat behauptet in seiner Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/4345 zwar, dass keine generelle Zunahme der Gewalt von Gefangenen gegenüber Bediensteten zu verzeichnen sei, aber die akute Unterbesetzung in den Justizvollzugsanstalten steigert die Gefahr für die Mitarbeiter des Vollzugs erheblich. Nachdem aufgrund des oppositionellen Drucks erfreulicherweise die größte Not bei der Staatsanwaltschaft gelindert werden soll und das Hanseatische OLG bei der Aufstellung des neuen Doppelhaushalts 2017/2018 berücksichtigt wird, scheint der Justizsenator den Justizvollzug völlig vergessen zu haben. Dabei ist es nicht nur vor dem Hintergrund seiner Fürsorgepflicht für die Beamten, die täglich physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, sondern auch für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung unerlässlich, dass hier aufgestockt wird. Die Sicherheit in den Hamburgischen Justizvollzugsanstalten muss sichergestellt werden. Es darf nicht sein, dass die Vollzugsanstalten teilweise nur noch mit halb so hoher Personalstärke gefahren werden wie vorgeschrieben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Ausbildungstätigkeit für die Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt, Fachrichtung Justiz, Laufbahnzweig Strafvollzugsdienst (Allgemeiner Vollzugsdienst) wurde seit 2013 deutlich gesteigert. Aktuell befinden sich insgesamt sechs Lehrgänge mit insgesamt 126 Anwärterinnen und Anwärtern in der Ausbildung. Mit der beabsichtigten Fortsetzung der derzeitigen Ausbildungsintensität ist zu erwarten, dass sich regelmäßig bis zu acht Lehrgänge gleichzeitig in der Ausbildung befinden. Die Planungen sehen vor, dass in der zweiten Jahreshälfte 2016 noch zwei bis drei weitere Lehrgänge eingerichtet werden. Eine Weiterführung der Ausbildung auf diesem Niveau ist auch für das Jahr 2017 geplant. Um die Handlungsfähigkeit des Hamburger Justizvollzuges auch mittel- und langfristig zu sichern, bedarf es einer grundlegenden organisatorischen Reform. Strukturelle Probleme vor dem Hintergrund gesunkener Belegungszahlen erschweren die Durchführung eines anspruchsvollen Justizvollzuges. Hinzu kommt der bereits heute deutliche , sich aufgrund von Abgängen in den kommenden Jahren noch verschärfende Drucksache 21/5011 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Personalmangel. Eine ausreichende Personalausstattung ist Voraussetzung für das Erreichen der Vollzugsziele. Um eine sachgerechte Resozialisierung der Gefangenen und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten auch künftig sicherzustellen, sind grundlegende organisatorische Veränderungen erforderlich. Ziel ist es, den Justizvollzug in Hamburg einer zukunftsfähigen Struktur zuzuführen, die einem hohen qualitativen Anspruch an die Erfüllung seiner Aufgaben gerecht wird. Vor diesem Hintergrund hat der Senat am 15.12.2015 beschlossen, die Justizbehörde zu beauftragen, eine Strukturverdichtung durch Schließung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand und Ausbau der Vollzugskooperation mit dem Land Schleswig- Holstein im Bereich des Frauen- und des Jugendvollzuges zu einem länderübergreifenden Verbundsystem zu prüfen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Stimmt es, dass es in der JVA Hahnöfersand am vergangenen Wochenende erneut zu Übergriffen eines Gefangenen auf Bedienstete kam? Falls ja, a. wie stellt sich der Sachverhalt im Einzelnen dar? Am 26. Juni 2016 wurde bei dem bereits nach § 19 Absatz 4 Hamburgisches Jugendstrafvollzugsgesetz (HmbJStVollzG) unter Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung auf der Station VI/1 untergebrachten Jugendstrafgefangenen M. der Haftraum geöffnet, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, zu duschen und sein Essgeschirr zu reinigen. Der Gefangene zeigte sich aus nicht erklärbaren Gründen sehr erregt darüber, dass er sein Essgeschirr selber reinigen sollte. Der Jugendstrafgefangene bedrohte zunächst einen der Bediensteten der Station. Wieder in seinem Haftraum unter Verschluss genommen, randalierte er und zerstörte Haftraummobiliar. Beruhigungsversuche der Bediensteten scheiterten. Daraufhin ordnete der Schichtleiter das Anlegen von Schutzausrüstung und die Verlegung des Gefangenen auf die Sicherungsstation an. Drei mit Schutzkleidung ausgerüstete Bedienstete betraten den Haftraum. Beim Betreten des Haftraumes zeigte sich der Gefangene weiterhin aggressiv und nicht ansprechbar, sodass er auf dem Boden fixiert werden musste. Aufgrund der starken Gegenwehr des Gefangenen mussten jedoch weitere, noch nicht mit Schutzkleidung ausgerüstete Bedienstete hinzugezogen werden, um bei der Fixierung und Verbringung des Gefangenen auf die Sicherungsstation zu unterstützen . Bei der Verbringung auf die Arrest- und Sicherungsstation zeigte der Gefangene weiter massive Gegenwehr, sodass der Schichtleiter eine Fesselung an die Bettstatt anordnete. Der Gefangene wurde ärztlich untersucht. Verletzungen wies er nicht auf. Nachdem der Gefangene sich ruhiger und ansprechbarer zeigte, konnte die Fesselung an die Bettstatt am 27. Juni 2016 gegen 1.35 Uhr aufgehoben werden. Der Gefangene wurde im Anschluss in einem besonders gesicherten Haftraum mit angeordneter Beobachtung untergebracht. b. wie viele Bedienstete wurden verletzt, welche Verletzungen haben sie erlitten und mussten sie im Krankenhaus behandelt werden? Es wurden bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs drei Bedienstete verletzt. Bei den Verletzungen handelt es sich um Prellungen beziehungsweise um eine Schürfwunde . Zwei Bedienstete ließen sich im Krankenhaus untersuchen beziehungsweise behandeln. Kein Bediensteter ist aufgrund der erlittenen Verletzungen dienstunfähig erkrankt. c. welche Erkenntnisse liegen über den Hintergrund des Vorfalls vor? Siehe Antwort zu 1. a. d. welche Erkenntnisse liegen über den Gefangenen vor, der die Bediensteten verletzte? Es handelt sich um einen 18-jährigen Jugendstrafgefangenen, der die marokkanische Staatsangehörigkeit besitzt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5011 3 e. welche Maßnahmen wurden daraufhin jeweils von wem ergriffen? Siehe Antwort zu 1. a. f. wegen welcher Delikte war der Gefangene verurteilt worden beziehungsweise aufgrund welcher Delikte befand er sich seit wann in Haft? Der Jugendstrafgefangene verbüßt eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und befindet sich seit dem 24. November 2014 in der JVA Hahnöfersand. g. inwiefern ist der Gefangene zuvor bereits jeweils wann in der JVA Hahnöfersand auffällig geworden und wie häufig befand er sich auf der Sicherungsstation? Der Jugendstrafgefangene ist mehrfach auffällig geworden und wurde achtmal auf der Sicherungsstation untergebracht. In weiteren zwei Fällen wurde er unter Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung nach § 19 Absatz 4 Nummer 2 HmbJSt- VollzG außerhalb des Wohngruppenvollzuges im Haus 6 der JVA untergebracht. Im Einzelnen lag folgendes Verhalten zugrunde: 30. November 2014 Körperliche Auseinandersetzung mit einem Mitgefangenen 29. Januar 2015 Selbst- und fremdgefährdendes Verhalten/Brandstiftung (Entzündung von Gegenständen im eigenen Haftraum) 23. Februar 2015 Gewalt gegen Sachen/Zerstörung des Haftraummobiliars 28. März 2015 Selbstverletzendes Verhalten 21. April 2015 Gewalt gegen Sachen/Randalieren im Haftraum 11. Oktober 2015 Gewalt gegen Sachen/Randalieren im Haftraum und Zerstörung des Haftraummobiliars 6. Dezember 2015 Gewalt gegen Sachen/Randalieren im Haftraum und Zerstörung des Haftraummobiliars 7. Dezember 2015 Selbstverletzendes Verhalten 17. Februar 2016 Versuchte Tätlichkeit gegen einen Mitgefangenen und Verletzung eines Bediensteten, der zwischen die beiden Kontrahenten getreten war, um den Streit zu schlichten 17. Juni 2016 Körperliche Auseinandersetzung mit einem Mitgefangenen 2. Inwiefern wurde am vergangenen Wochenende in der JVA Hahnöfersand in einzelnen Schichten die vorgesehene Sollstärke nicht erfüllt? Zu welchen Auswirkungen führte dies? Am 25. und 26. Juni 2016 waren tagsüber einzelne Dienstposten nicht besetzt. Folgende Tätigkeiten wurden anderweitig abgedeckt: - Reduzierung von Fahrtätigkeiten, - Übernahme von Zuführungen durch Stationsbedienstete, - Einschränkungen bei der telefonischen Terminvergabe von Besuchsterminen für Untersuchungsgefangene, - Einschränkungen in Bezug auf den Stationsdienst in Haus 7 (offener Vollzug), - Reduzierung der Personalstärken im Jugendarrest. Im Nachtdienst am 24. Juni, 25. Juni und 26. Juni 2016 waren ebenfalls einzelne Dienstposten nicht besetzt. Dadurch erfolgten Reduzierungen hinsichtlich der Nachtdienstaufgaben . 3. Wie häufig wurden die vorgesehenen Sollstärken in einzelnen Schichten der Justizvollzugsanstalten in der Kalenderwoche 25 unterschritten? Bitte pro JVA darstellen. Ausgewertet wurde die Besetzungssituation bezogen auf alle Dienstposten der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt, Fachrichtung Justiz, Laufbahnzweig Strafvollzugsdienst (Allgemeiner Vollzugsdienst), die im Schichtdienst wahrgenommen werden , im Abfragezeitraum 20. bis 26. Juni 2016. Im Einzelnen: Drucksache 21/5011 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 In der JVA Billwerder waren im Abfragezeitraum in drei Schichten keine Dienstposten unbesetzt. In der JVA Fuhlsbüttel waren im Abfragezeitraum in vier Schichten keine Dienstposten unbesetzt. In der JVA Glasmoor waren im Abfragezeitraum in zwei Schichten keine Dienstposten unbesetzt. In der JVA Hahnöfersand sowie in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg waren im Abfragezeitraum in allen Schichten Dienstposten nicht besetzt. In der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg waren im Abfragezeitraum in einer Schicht keine Dienstposten unbesetzt. 4. Zu welchen Leistungseinschränkungen kommt es durch erhebliche Unterbesetzungen? Siehe Drs. 21/4178. 5. Wie beurteilt die zuständige Behörde die aktuelle Personalsituation im Justizvollzug? Siehe Drs. 21/1582. 6. Welche Planungen bestehen seitens der zuständigen Behörde und der einzelnen Justizvollzugsanstalten, um kurzfristig die erforderliche Besetzung der Dienstposten in den einzelnen Justizvollzugsanstalten zu gewährleisten? Siehe Vorbemerkung sowie Drs 21/4178.