BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/502 21. Wahlperiode 22.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dora Heyenn (fraktionslos) vom 15.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Hamburg (III) Durch den Anstieg von Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) in Verbindung mit dem massiven Abbau von Plätzen vor einigen Jahren bestehen momentan starke Kapazitätsprobleme bei der Aufnahme und bei der Unterbringung in Jugendhilfeeinrichtungen. Die Überlastungen haben in den vergangenen Monaten zu Situationen geführt, die mit dem Kindeswohl der betroffenen unbegleitet eingereisten Kinder und Jugendlichen nicht oder nur schwer vereinbar waren. Die geplante bundesweite Verteilung wird an den bestehenden Mängeln nichts ändern. Um die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und für die Fachkräfte in Hamburg zu verbessern, ist ein kindgerechtes Aufnahmesystem notwendig. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die derzeitige Rechtslage, nach der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) an dem Ort bleiben, an dem sie in Obhut genommen werden, hat dazu geführt, dass die Unterbringung und Betreuung von UMF sich im Wesentlichen auf zehn Großstädte konzentriert . Die geplante bundesweite Verteilung wird die Situation in Hamburg deutlich entspannen, da in Hamburg dann deutlich weniger UMF verbleiben als hier eintreffen. Ein Aufnahmesystem, das in erheblichem Umfang zusätzliche Aufenthaltsorte in Deutschland erschließt, ist kindgerechter als die zufällige Zusammenballung, die sich aufgrund der derzeitigen Rechtslage ergeben hat. Im Übrigen ist der Abbau von Erstversorgungseinrichtungen bis 2008 bedarfsgerecht erfolgt. Seinerzeit war die letzte verbliebene Erstversorgungseinrichtung nicht völlig ausgelastet und eine Steigerung des Bedarfs auf die heutige Größenordnung nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund wäre eine jahrelange vorsorgliche Vorhaltung von mehr als 500 vakanten Plätzen aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar gewesen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt. 1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge befanden sich zum 30.4.2014 und zum 30.4.2015 in Erstaufnahmeeinrichtungen (EVE) und wie viele in Nachfolgeeinrichtungen der Jugendhilfe in den Bezirken? Die folgende Übersicht zeigt die Anzahl UMF in den Erstversorgungseinrichtungen des Landesbetriebs Erziehung und Beratung (LEB) sowie – im Rahmen von Anschlussmaßnahmen – in Einrichtungen der Jugendhilfe und sonstigen betreuten Wohnformen bei freien Trägern, sonstigen Leistungserbringern und beim LEB. Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge jeweils zum Stichtag 30. April 2014 2015 - in den Erstversorgungseinrichtungen des LEB 131 467 Drucksache 21/502 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge jeweils zum Stichtag 30. April 2014 2015 - in Einrichtungen der Jugendhilfe und sonstigen betreuten Wohnformen 364 388 Quellen: 1) Erstversorgungseinrichtungen: interne Statistik des LEB. 2) Einrichtungen der Jugendhilfe und sonstige betreute Wohnformen: JUS-IT Datawarehouse, Auswertung vom 9. Mai 2015 (Hinweis: die genannte Anzahl betreuter Personen in Einrichtungen der Jugendhilfe und sonstigen betreuten Wohnformen kann Mehrfachzählungen beinhalten , sofern eine Betreute bzw. ein Betreuter mehr als eine Hilfe erhält) 2. Wie war die zahlenmäßige Relation des pädagogischen Personals zu den Betreuungsplätzen in den jeweiligen EVE und in den jeweiligen Nachfolgeeinrichtungen zum Zeitpunkt April 2014 und April 2015? Bitte Zahl der betreuten unbegleiteten Minderjährigen, Zahl der Mitarbeiter in VZÄ mit Qualifikation jeweils zum Zeitpunkt April 2014 und April 2015 angeben. Zur Anzahl der betreuten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge siehe Antwort zu 1. Für UMF werden keine speziellen Nachfolgeeinrichtungen vorgehalten. Die Unterbringung im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme im Anschluss an die Erstversorgungseinrichtungen erfolgt in den verschiedenen Einrichtungen und sonstigen betreuten Wohnformen bei freien Trägern und sonstigen Leistungserbringern sowie beim LEB. Insofern gelten die jeweils einrichtungsbezogen vereinbarten Betreuungsschlüssel, die zwischen der zuständigen Behörde und den Anbietern jeweils nach Leistungsart beziehungsweise auch für spezielle Angebotsarten nach § 77 beziehungsweise § 78b SGB VIII vereinbart wurden. Aktuell gelten bei den verschiedenen Anbietern für deren Leistungs - beziehungsweise Angebotsarten folgende, vertraglich geregelte Schlüsselwerte (ein Schlüsselwert gibt die Relation von pädagogischem Betreuungspersonal zu betreuten Minderjährigen an, er beziffert die Anzahl der Betreuten je VZÄ und ist unmittelbar entgeltrelevant, deshalb werden auch die Nachkommastellen ausgewiesen). Nicht ausgeschlossen ist, dass daneben für UMF spezielle Nebenleistungen gewährt werden, die im jeweiligen Einzelfall faktisch zu einer günstigeren Betreuungsrelation führen.  Erstversorgungseinrichtungen des LEB: In der Regel beträgt der Schlüsselwert 3,0, in Einrichtungen mit geringer Platzzahl 2,5. In zwei Einrichtungen gilt ein Schlüsselwert von 5,0, wobei zusätzlich ein verstärkter Einsatz von Sprach- und Kulturmittlern erfolgt.  Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder nach § 19 SGB VIII: Die Spanne beträgt 1,68 bis 2,10; mit einem Anteil von 50 Prozent dominiert ein Schlüsselwert von 1,80.  Ambulant betreute Wohnformen nach § 30 SGB VIII: es werden mehrere Unterformen unterschieden. Die Spanne liegt zwischen 4,00 und 9,08.  Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen nach § 34 SGB VIII: Spanne: 1,00 bis 2,86, mit einem Anteil von 79 Prozent dominiert der Schlüsselwert 2,15.  Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII (in stationärer Ausgestaltung, Betreuung im trägereigenen Wohnraum): Schlüsselwert 3,30. Eine einrichtungsbezogene Erhebung der Anzahl der VZÄ sowie der konkreten Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den einzelnen Trägern und sonstigen Leistungserbringern ist angesichts der Unterbringung in aktuell mehr als 200 Jugendhilfeeinrichtungen und sonstigen betreuten Wohnformen (einschließlich Erstversorgungseinrichtungen ) in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Jedoch ist in den jeweiligen einzelnen Vereinbarungen nach § 77 beziehungsweise § 78b SGB VIII auch die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte geregelt. 3. Wie viele Amtsvormünder sind gegenwärtig in Zusammenhang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Hamburg ernannt (bestallt) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/502 3 und wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden derzeit von Amtsvormündern betreut? 4. Laut Drs. 20/14626 werden derzeit in den Bezirksämtern Vormundschaften für unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durchgeführt, die nicht spezialisiert wahrgenommen werden. Wie viele Vormundschaften dieser Art gibt es derzeit und inwieweit unterscheiden sich von den Amtsvormundschaften der BASFI? Derzeit werden in Hamburg insgesamt 883 Amtsvormundschaften für UMF geführt, davon 596 in den Bezirksämtern. Einen Unterschied zu den von der zuständigen Behörde geführten Amtsvormundschaften gibt es nicht. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich jeweils nach den Erfordernissen des Einzelfalls. Im Übrigen siehe Drs. 21/491. 5. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden derzeit jeweils von Privatvormündern, Vormundschaftsvereinen, Berufsvormündern in Hamburg betreut? Bitte aufschlüsseln nach Vormundschaftsform, Anzahl der Privatvormünder, Vormundschaftsvereinen, Berufsvormündern sowie jeweiliger Zahl der von ihnen betreuten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Die erfragten Daten werden von der Behörde für Justiz und Gleichstellung weder im Rahmen der Justizstatistik noch der Verfahrenssoftware forumSTAR gesondert statistisch erfasst. Eine händische Auswertung von mehr als 2.100 laufenden Vormundschaftsverfahren ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Hinsichtlich der von freien Trägern durchgeführten Vereins- und Privatvormundschaften liegen der zuständigen Behörde folgende Angaben vor: Anzahl Vormundschaften Anzahl Mündel (UMF) Privatvormundschaften 73 73 Vereinsvormundschaften 2 155 6. Wie wird sichergestellt, dass die Vormundschaften verantwortungsvoll ihre Aufgaben wahrnehmen? Siehe Drs. 20/14626. 7. Wie wird der Übergang der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Hinblick auf Unterbringung und Versorgung nach Erreichen der Volljährigkeit und/oder nach Beendigung von Jugendhilfemaßnahmen gestaltet? UMF, deren Hilfe zur Erziehung wegen Vollendung des 18. Lebensjahres zu beenden ist, können einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII stellen. Im Rahmen der Hilfeplanung wird in der Regel bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres geklärt, ob eine entsprechende Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung aufgrund der individuellen Situation des jungen Flüchtlings notwendig und geeignet ist. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Volljährigenhilfe vor, wird diese bedarfsgerecht bewilligt. Besteht nach der Jugendhilfemaßnahme kein weiterer Bedarf, berät und unterstützt das zuständige Jugendamt die jungen Volljährigen insbesondere in Bezug auf Ihre Versorgungs - und Unterbringungs- beziehungsweise Wohnsituation. Auf dieser Grundlage kann ein Umzug in eigenen Wohnraum oder eine Wohnunterkunft erfolgen. 8. Am 10. Oktober 2014 wurde im Bundesrat mit Unterstützung Hamburgs und Bremens ein Gesetzentwurf der bayerischen Landesregierung zur bundesweiten Umverteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge eingebracht . Wie positioniert sich der derzeitige Senat im Hinblick auf die seitens der bayrischen Landesregierung vorgeschlagene Neureglung zur Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mithilfe von Quoten? Bitte begründen. Siehe Vorbemerkung und Drs. 20/14389.