BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5062 21. Wahlperiode 05.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Michael Westenberger und Ralf Niedmers (CDU) vom 29.06.16 und Antwort des Senats Betr.: Beihilferechtliche Einordnung der Hafen-Finanzierung: Bedroht EU- Bürokratie den Ausbau der Häfen? Am 20. Januar 2016 verabschiedete das Bundeskabinett das neue nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen. Zu dem im Konzept festgehaltenen Maßnahmenpaket gehören auch der gezielte Ausbau der hafenbezogenen Infrastrukturen sowie die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der See- und Binnenhäfen, wovon auch der Hamburger Hafen profitieren würde. Doch viele der im Maßnahmenpaket geplanten Investitionen in die Hafeninfrastruktur dürften der Beihilfekontrolle der EU-Kommission unterliegen. Hintergrund ist, dass die öffentliche Unterstützung von Hafeninvestitionen vonseiten der EU nicht mehr als Infrastrukturförderung gilt, sondern als „Beihilfe für im Wettbewerb stehende Unternehmen“. Der aus den Regularien der EU hervorgehende bürokratische Aufwand war zuletzt von den norddeutschen Bundesländern kritisiert worden, die nun gemeinsam mit dem Bund auf die EU zugehen wollen, um zum einen den vorliegenden Genehmigungszwang einzudämmen und zum anderen auf den bürokratischen Aufwand kritisch zu verweisen. Hintergrund ist, dass die deutschen Häfen – so auch der Hamburger Hafen – regelmäßig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen und dort von rechtlich selbstständigen Einheiten betrieben und verwaltet werden. Soweit diese Unternehmen ihre Investition oder Betriebsdefizite, die zur Umsetzung des nationalen Hafenkonzepts eingesetzt werden müssen, nicht aus eigenen Gewinnen finanzieren können, werden sie durch finanzielle Maßnahmen ihrer staatlichen Gesellschafter unterstützt werden müssen. Dabei kann es dahin stehen, ob eine unmittelbare Übernahme von Investitions- oder Betriebskosten, eine Erhöhung der Kapitalausstattung des Betreibers, der steuerliche Querverbund oder die Besicherung eines erforderlichen Darlehens durch eine Bürgschaft für die Finanzierung gewählt wird. Allen diesen Möglichkeiten ist gemein, dass sie als Maßnahmen aus staatlichen Mitteln der Beihilfenkontrolle der EU-Kommission unterliegen. Insbesondere fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch der Bau von Infrastrukturen unter den Beihilfenbegriff , wenn deren Betrieb im Wettbewerb steht. Das gilt auch für die Seeund Binnenhäfen. Die Europäische Kommission hatte zuletzt im Jahr 2013 den Ausbau eines deutschen Binnenhafens als beihilfenrechtsrelevante Maßnahme eingestuft, weil Investitionen in Infrastrukturen gefördert werden sollten, die zur kommerziellen Nutzung bestimmt waren. Damit dürften sämtliche Maßnahmen des nationalen Hafenkonzepts, möglicherweise auch Unterhaltungsmaßnahmen wie die Ausbaggerung der Zufahrten zum Hamburger Hafen und der Abtransport des Schlicks, beihilfenrechtlich relevant sein, weil sie der Finanzierung von unmittelbar wirtschaftlich nutzbareren Infrastrukturen und deren Betrieb dienen. Solche Maßnahmen dürfen daher grundsätzlich nur mit Genehmigung durch die EU-Kommission durchgeführt Drucksache 21/5062 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 werden, es sei denn, es finden sich ausdrückliche Ausnahmen vom Genehmigungsgebot im europäischen Recht. Der Ausbau des Hamburger Hafens könnte damit von einem Brüsseler Genehmigungszwang bedroht sein. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Auf welche EU-Regularien ist im Einzelnen zurückzuführen, dass die öffentliche Unterstützung von Hafeninvestitionen nicht mehr als Infrastrukturförderung , sondern als Beihilfe für im Wettbewerb stehende Unternehmen gilt? Das grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen beruht auf Artikel 107 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Ob eine Beihilfe vorliegt, richtet sich unter anderem nach der Tätigkeit des Empfängers staatlicher Mittel. Für den Bau von Flughafeninfrastruktur hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2012 (Urteil vom 19.12.2012, Rs. C-288/11) entschieden, dass diese Tätigkeit nicht mehr der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zuzuordnen ist, sondern eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, die dem Europäischen Beihilfenrecht unterliegt. Seitdem vertritt die Europäische Kommission die Auffassung, diese Rechtsprechung sei auch auf Hafeninfrastruktur anzuwenden. 2. Ab welchem Betrag müssen Zuschüsse für Investitionen vonseiten der EU-Kommission genehmigt werden? Grundsätzlich ist jede staatliche Beihilfe verboten und von der Europäischen Kommission zu genehmigen, sofern sie nicht von diesem Erfordernis freigestellt ist (zum Beispiel durch die sogenannte Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO)) oder anderweitige Ausnahmen bestehen. Pauschal zulässig sind lediglich sogenannte De-minimis-Beihilfen bis zu einem Betrag von 200.000 Euro pro Unternehmen innerhalb von drei Steuerjahren. Im Übrigen existiert keine bestimmte Betragsschwelle, die unterhalb derer Investitionszuschüsse im Allgemeinen nicht bei der Kommission angemeldet und von ihr genehmigt werden müssen. 3. Wie wirkt sich aus Sicht des Senats diese von EU-Seite bestehende „Genehmigungshürde“ auf die Realisierung von Infrastrukturprojekten im Hamburger Hafen aus? Ein erforderliches beihilfenrechtliches Genehmigungsverfahren ist bei der Projektplanung zu berücksichtigen. 4. Laut Berichterstattung habe der Staatsrat der Wirtschaftsbehörde nicht ausschließen können, dass zukünftig auch die für den Hamburger Hafen unverzichtbaren Unterhaltungsmaßnahmen, wie das Ausbaggern von Zufahrten sowie der Abtransport des Schlicks, unter den Genehmigungszwang der EU fallen würden. Für wie wahrscheinlich hält es der Senat, dass dies eintreten könnte? Die zuständige Behörde befindet sich zu diesen Fragen im Dialog mit der Europäischen Kommission, über dessen Ausgang der Senat derzeit keine Prognose trifft. 5. Um die Anwendung der EU-Beihilferegeln zu vereinfachen, die bestehende Entscheidungspraxis zu kodifizieren, Meldepflichten abzuschaffen und Kostenersparnisse zu erzielen, beabsichtigt die Europäische Kommission , Häfen und Flughäfen in die Allgemeine Gruppenfreistellung (AGVO) im EU-Wettbewerbsrecht einzubeziehen. Die Europäische Kommission veröffentlichte Anfang dieses Jahres einen entsprechenden „Fahrplan“. Voraussetzung für eine entsprechende Änderung der AGVO sei eine ausreichende Fallpraxis. a. Ist dem Senat bekannt, wann die EU-Kommission eine Erweiterung der AGVO 2014 plant, die auch Beihilfen für Häfen von der Anmeldungs - und Genehmigungspflicht gemäß Artikel 108 III S. 3 AEUV befreien soll? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5062 3 b. Trifft es zu, dass dies sehr wahrscheinlich nur in engen Grenzen für Investitionsbeihilfen und eben nicht für Betriebsbeihilfen gelten soll und damit das Erfordernis einer beihilferechtlichen Absicherung von bestimmten Beihilfen auf Genehmigungsebene daher wohl erhalten bleiben wird? Welchen Kenntnisstand hat der Senat diesbezüglich? Ein Inkrafttreten der auch im Hinblick auf die Hafeninfrastruktur überarbeiteten AGVO ist von der EU-Kommission für das Frühjahr des Jahres 2017 geplant. Der derzeitige Entwurf der Kommission sieht für Häfen eine Freistellung von Investitionsbeihilfen, jedoch nicht von Betriebsbeihilfen vor. Der Entwurf (siehe http://ec.europa.eu/ competition/consultations/2016_gber_review/draft_regulation_de.pdf) ist Gegenstand eines zweistufigen Konsultationsverfahrens, das für die Bundesrepublik Deutschland von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geführt wird. Welche konkrete Form die AGVO nach dem Konsultationsverfahren annehmen wird, ist dabei offen. Im Rahmen des Konsultationsverfahrens haben die Küstenländer eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet, die Eingang in eine Mitteilung der Bundesregierung an die Europäische Kommission gefunden hat. Darin werden unter anderem die Freistellung von Beihilfen für Unterhaltungsbaggerung und die Klarstellung gefordert, dass die Finanzierung einzelner Arten von Infrastruktur insgesamt beihilfefrei sein kann. Die Küstenländer fordern zudem, dass Investitionen mit einem Volumen bis zu 50 Millionen Euro zu 100 Prozent, zwischen 50 und 75 Millionen Euro zu 70 Prozent und zwischen 75 und 120 Millionen Euro zu 60 Prozent ohne Anmeldung bei der Kommission aus staatlichen Mitteln finanziert werden dürfen. Hamburg wird sich auch im weiteren Verlauf des Konsultationsverfahrens einbringen. c. Mitglieder des Europäischen Parlaments verlangen nähere Informationen zum weiteren Vorgehen im Beihilferecht, bevor sie am „Port Package III“ weiterarbeiten. Wie verhält sich der Senat dazu? Der Senat bewertet die Arbeit und das Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Europäischen Parlaments nicht. 6. In welcher Form hat sich der Senat dafür eingesetzt, dass sich ein übermäßiger Genehmigungszwang vonseiten der EU nicht negativ auf den Ausbau des Hamburger Hafens auswirkt? 7. Laut Berichterstattung planen die Nordländer, nun gemeinsam mit dem Bund auf die EU zuzugehen, um unter anderem den bürokratischen Aufwand einzudämmen. Welche Pläne werden hier im Einzelnen verfolgt ? Welche Wege sieht der Senat, um den bürokratischen Aufwand zu reduzieren? 8. Von deutscher Seite strebe man einen höheren Betrag an, ab dem die Unterstützung von Hafeninvestitionen vonseiten der EU genehmigt werden müsse. Wo müsste aus Sicht des Senats die Betragsgrenze liegen? Welche Verständigung hat der Senat mit den anderen norddeutschen Bundesländern und dem Bund dazu getroffen? Wie steht der Senat zu der Forderung des Wirtschaftsministers Schleswig-Holsteins, dass diese Betragsgrenze deutlich im zweistelligen Millionenbereich liegen sollte? Siehe Antwort zu 5. a. und b. 9. Welche Herausforderungen sieht der Senat vor dem Hintergrund der bestehenden Beihilferegelungen der EU und dem daraus resultierenden Genehmigungszwang a. für die zukünftigen planerischen Anforderungen an den Bau und Ausbau des Hamburger Hafens sowie b. die Voraussetzungen für die Finanzierung einer koordinierten Hafenpolitik? Die Planung und Finanzierung von Projekten und Aufgaben der HPA werden an den jeweils geltenden beihilferechtlichen Anforderungen ausgerichtet.