BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/510 21. Wahlperiode 26.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Karl-Heinz Warnholz (CDU) vom 18.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Islamisten in Hamburg Die Zeitungen „DIE WELT“ und das „Hamburger Abendblatt“ haben jüngst berichtet, dass gewaltbereiten Islamisten und Salafisten der Reisepass entzogen und/oder eine räumliche Beschränkung des Personalausweises angeordnet wurde. Auf diese Weise soll eine Ausreise in Staaten verhindert werden , in denen eine Radikalisierung oder terroristische Ausbildung erfolgen kann. Der Verfassungsschutz spricht in diesem Zusammenhang von einer realen Terrorgefahr. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Nach welcher Rechtsgrundlage und auf welche Art und Weise kann Verdächtigen der Reisepass entzogen und/oder eine räumliche Beschränkung des Personalausweises angeordnet werden? Gemäß § 7 Absatz 1 des Passgesetzes (PassG) versagt die zuständige Passbehörde bei deutschen Staatsangehörigen die Erteilung eines Passes, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik gefährdet oder mindestens eine der weiteren in § 7 Absatz 1 PassG normierten Voraussetzungen erfüllt ist. Nach § 8 PassG kann die zuständige Passbehörde einen Pass entziehen, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Absatz 1 die Passversagung rechtfertigen würden . Mit der Anordnung zur Passentziehung wird der Passinhaber zugleich aufgefordert , den Pass bei der zuständigen Passbehörde abzugeben. Gemäß § 6 Absatz 7 des Gesetzes über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen des § 7 Absatz 1 PassG im Einzelfall anordnen, dass der Ausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt. Für ausländische Staatsangehörige findet das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Anwendung (insbesondere § 48 Absatz 1 AufenthG). Im Übrigen siehe Drs. 21/206. 2. Welche Auswirkungen haben die vorgenannten Maßnahmen? Der Betreffende muss seinen Pass bei der zuständigen Behörde abgeben und darf nicht aus Deutschland ausreisen. Gibt er den Pass nicht innerhalb der gesetzten Frist ab, kann der Pass in Amtshilfe von der Polizei eingezogen werden. 3. Welche weiteren Maßnahmen ergreifen der Verfassungsschutz und andere Ordnungsbehörden zur Terrorabwehr? Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg führt – soweit zielführend – Gespräche mit Ausreisewilligen und/oder ihrem persönlichen Umfeld. Eine Zusammenarbeit mit anderen Behörden, insbesondere der Polizei, erfolgt im Rahmen der Drucksache 21/510 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gesetzlichen Aufgabenerfüllung. Darüber hinaus warnt das LfV im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vor den Folgen einer Ausreise in die Dschihad-Gebiete. Die Polizei trifft im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle entsprechenden straf- und gefahrenabwehrrechtlich erforderlichen Maßnahmen. Dabei stimmt sie sich eng mit den anderen Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene ab. Zudem berät die Polizei originär zuständige Behörden hinsichtlich möglicher Präventionsmaßnahmen. Im Übrigen siehe Drs. 21/206. 4. Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Fachbehörde die vorgenannten Maßnahmen zur Terrorabwehr? Die zuständige Behörde hält die Möglichkeit von passentziehenden Maßnahmen für einen wichtigen Baustein im Rahmen eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes gegenüber radikalisierter Islamisten. 5. Wie vielen beziehungsweise bei wie vielen Personen wurden 2014 und 2015 (Stichtag 30.04.2015) der Reisepass entzogen und/oder eine räumliche Beschränkung des Personalausweises angeordnet? In dem genannten Zeitraum wurden 16 Personen der Reisepass entzogen beziehungsweise eine räumliche Beschränkung des Personalausweises angeordnet. Im Übrigen siehe Drs. 21/206. 6. Wie viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden in Hamburg seit 2010 bis 2015 (Stichtag 30.04.2015) jeweils als radikalisiert oder terrorverdächtig angesehen? Der Senat versteht die Frage so, dass nach Salafisten gefragt wird, aus deren Reihen sich Dschihad-Reisende rekrutieren. Das salafistische Potenzial setzt sich aus sogenannten politischen und jihadistischen Salafisten zusammen. Als Jihadist wird bezeichnet, wer den weltweiten Dschihad im Sinne der Ideologie von Al Qaida oder „Islamischer Staat“ (IS) als gerechtfertigt ansieht. Auf dieser Basis ergibt sich folgende Tabelle: Jahr: Salafisten insgesamt davon Jihadisten: 2010: keine statistische Erfassung 2011: 200 40 2012: 200 40 2013: 240 70 2014: 400 240 2015 (Stichtag:30. April) 400 240 Eine gesonderte Statistik für Kinder und Jugendliche wird nicht erhoben. Aufgrund der geltenden Speicher- und Löschfristen kann auch eine solche Übersicht, die die Entwicklung seit 2010 aufzeigt, retrograd nicht erhoben werden. Hinsichtlich der polizeilichen Erkenntnisse zur Anzahl Terrorverdächtiger wäre die händische Auswertung von mehreren Hundert Vorgängen erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Ist bekannt, wie viele als radikalisiert oder terrorverdächtig eingeschätzte Personen seit 2010 bis 2015 (Stichtag 30.04.2015) aus Hamburg nach Syrien und in andere für die terroristische Ausbildung bekannte Staaten ausgereist sind? Wenn ja, wie viele, wenn nein, wieso nicht? Aus Hamburg und Umgebung sind nach Erkenntnissen des LfV Hamburg bisher rund 50 Personen mit dem Ziel ausgereist, den bewaffneten Dschihad in Syrien und im Irak zu unterstützen. Nicht jede Reisebewegung erfolgt mit dem Ziel, sich terroristischen Strukturen in den Dschihad-Gebieten anzuschließen. Sie kann auch zum Überbringen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/510 3 von Geld- und Sachspenden dienen. Aufgrund der unübersichtlichen Lage vor Ort kann nicht in jedem Fall sicher bestimmt werden, ob der beabsichtige Zweck der Reise erreicht wurde. 8. Ist bekannt, in welchem Ausmaß Hamburger Salafisten, Jihadisten oder andere radikalisierte Islamisten Personen anwerben? Wenn ja, wie, wenn nein, wieso nicht? Salafisten, aber auch andere Islamisten werben beständig für ihre Ziele. Der anhaltende Zulauf insbesondere in der salafistischen Szene zeigt, dass ihre Bemühungen, neue Anhänger zu gewinnen, zum Teil erfolgreich sind. Die Propaganda wird überwiegend über das Internet verbreitet. 9. Welche muslimischen Gemeinden kooperieren mit dem Verfassungsschutz im Zusammenhang mit Radikalisierungen? Das LfV Hamburg steht mit verschiedenen Gemeinden in Kontakt. Darüber hinaus steht das LfV über das Beratungsnetzwerk gegen religiös motivierten Extremismus, an dem die muslimischen Verbände und die Alevitische Gemeinde beteiligt sind, in einem engen Austausch mit den muslimischen Verbänden und Gemeinden. 10. Wie viele Meldungen von Eltern oder sonstigen Angehörigen sind seit 2010 bis 2015 (Stichtag 30.04.2015) zu vermeintlich radikalisierten Kindern oder anderen Familienangehörigen beim Verfassungsschutz Hamburg eingegangen? Das LfV Hamburg führt hierzu keine Statistik. Für die Recherche im Sinne der Fragestellung wäre eine händische Auswertung mehrerer Hundert Akten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 11. Auf welche Weise leistet der Verfassungsschutz den betroffenen Personen und Angehörigen Hilfe? Für Beratung und Unterstützung durch das LfV steht unter anderem ein Islamwissenschaftler zur Verfügung. Darüber hinaus vermittelt das LfV betroffene Personen zu weiteren mit diesem Thema betrauten Institutionen. Erfahrung und Fachwissen des LfV Hamburg fließen zudem in das Beratungsnetzwerk gegen religiös motivierten Extremismus ein, das derzeit unter der Federführung der für Integration zuständigen Behörde aufgebaut wird. 12. Wie viele Personen konnte der Verfassungsschutz aus der radikalisierten Szene seit 2010 bis 2015 (Stichtag 30.04.2015) zurück in die Mitte der Gesellschaft holen? Siehe Antwort zu 10. 13. Wie viele Personen stehen auf welche Weise nach ihrer Rückkehr aus Syrien und anderen für die terroristische Ausbildung bekannten Staaten unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Neben dem LfV Hamburg sind weitere Sicherheitsbehörden für die Beobachtung von Rückkehrern zuständig. Für jeden den Sicherheitsbehörden bekannten Rückkehrer werden auf Basis der vorhandenen Informationen eine individuelle Gefährdungseinschätzung erstellt und die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der vorhandenen operativen Ressourcen ergriffen. Weitere Einzelheiten hierzu können daher nur dem nach § 24 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss mitgeteilt werden, da diese Rückschlüsse auf laufende und künftige operative Maßnahmen zulassen würden. Eine vollständige Beantwortung stünde daher dem Staatswohl entgegen.