BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5134 21. Wahlperiode 12.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 04.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Fotojournalistin im Visier geheimdienstlicher Tätigkeiten Die „tageszeitung“ berichtete am 29.6. unter der Überschrift „Fotojournalistin ausspioniert“ über die wahrscheinlich mehr als 25 Jahre dauernde Beobachtung von Marily S. durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Offensichtlich war die Fotojournalistin auch im Visier der verdeckten Ermittlerin Maria B. Die „tageszeitung“ nimmt in ihrem Bericht Bezug auf Auskünfte, die die Betroffene beim LfV erfragt hatte. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Anknüpfungspunkt der Fragen ist ein Auskunftsersuchen nach § 23 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG), welches vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg gegenüber der Auskunftssuchenden beantwortet wurde. Da Auskunftsersuchen die Speicherung personenbezogener Daten betreffen, werden solche Ersuchen aus datenschutzrechtlichen Gründen vom LfV Hamburg nur dem Betroffenen selbst unter den Voraussetzungen des § 23 HmbVerfSchG auf Antrag mitgeteilt. Der Senat weist daher darauf hin, dass auch bei der Beantwortung dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage der Schutz der personenbezogenen Daten der Betroffenen insbesondere unter den Vorgaben des HmbVerfSchG, des Hamburgischen Datenschutzgesetzes (HmbDSG) sowie der Datenschutzordnung der Hamburgischen Bürgerschaft gewährleistet bleiben muss. Die Auskunftsersuchende hat mit Schreiben ihres Rechtsanwaltes vom 1. Juli 2016, eingegangen beim LfV Hamburg am 4. Juli 2016, eine Löschung der personenbezogenen Daten der Betroffenen beantragt. Gleichzeitig wurde beantragt, bis zur Entscheidung über den Antrag auf Datenlöschung, die Daten zu sperren. Das LfV Hamburg ist dem Antrag auf Datensperrung bis zur Entscheidung über den Antrag auf Datenlöschung nachgekommen. Aufgrund des Antrages der Betroffenen auf Sperrung ihrer Daten stehen überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen nach § 13 Satz 1 Nummer 8 HmbDSG einer Beantwortung einiger der nachfolgenden Fragen entgegen. Einige Angaben im Sinne der Fragestellungen ließen zudem Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des LfV Hamburg zu. Künftige Aufgabenerledigungen würde dadurch unverhältnismäßig erschwert werden. Detaillierte Angaben könnten daher aus Gründen des Staatswohls zum Teil nur gegenüber dem nach § 24 Hmb- VerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. 1. Trifft zu, dass Marily S. durch das LfV beobachtet wurde? Wenn ja, von wann bis wann? Dauert die Beobachtung an? Drucksache 21/5134 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Waren/Sind weitere Ämter (Bund/Länder) mit der Beobachtung von Marily S. befasst? Wenn ja, welche? Siehe Vorbemerkung 3. Wurden Daten von ihr an inländische oder ausländische öffentliche Stellen übermittelt? Wenn ja, an welche? Die Übermittlung personenbezogener Daten durch das LfV Hamburg an inländische und ausländische öffentliche Stellen erfolgt unter den Voraussetzungen der §§ 12 fortfolgende HmbVerfSchG. Über Übermittlungen an ausländische öffentliche Stellen nach § 16 HmbVerSchG ist dem Parlamentarischen Kontrollausschuss der Bürgerschaft gemäß § 26 Absatz 5 Nummer 7 HmbVerfSchG zu berichten. Gemäß § 6 Bundesverfassungsschutzgesetz erfolgt eine enge Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund zwischen den Landesbehörden für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Der Einsatz verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen operierender Polizeibeamter stellt ein unverzichtbares Mittel zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, zur Abwehr bestimmter Gefahren oder bei der Aufklärung bestimmter Straftaten dar. Eine (auch teilweise) Offenlegung der Umstände konkreter Einsätze kann Rückschlüsse auf strafprozessuale oder gefahrenabwehrende verdeckte Maßnahmen der Polizei zulassen, die den Erfolg dieser Einsätze gefährden würden. Dies gilt sowohl für Positiv - als auch für Negativauskünfte; auch aus Angaben zum Nichteinsatz von verdeckten Ermittlern oder nicht offen operierenden Polizeibeamten in der Vergangenheit könnten Anhaltspunkte erlangt werden, in welchen Kriminalitäts- oder Gefahrenabwehrfeldern aktuell ein beziehungsweise kein Einsatz erfolgt. Im Interesse der Wirksamkeit polizeilicher Maßnahmen und der Sicherheit der eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten macht der Senat keine Angaben zu polizeilich verdeckten Tätigkeiten . Soweit die Beantwortung von Fragen Rückschlüsse auf das polizeitaktische Vorgehen zulässt und die Wirksamkeit polizeilichen Handelns berührt ist, steht einer Beantwortung der Fragen die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Polizei als Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörde nach Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung und damit dem Staatswohl entgegen, sodass von einer Beantwortung der Frage abgesehen wird. 4. Trifft zu, dass die Antwort auf das Auskunftsersuchen drei Jahre gedauert hat? Wenn ja, aus welchem Grund? Ja. Aufgrund einer sehr stark angestiegenen Anzahl von Auskunftsersuchen nach § 22 HmbVerfSchG in den Jahren 2012 bis 2015 und einhergehend mit personellen Engpässen kam es partiell zu Arbeitsrückständen, die mittlerweile abgearbeitet sind. a. Wie groß ist durchschnittlich die Zeitspanne zwischen Auskunftsersuchen an und Antwort durch das LfV? Wenn aus Gründen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu beantworten: Wie häufig kommt es vor, dass die Beantwortung von Auskunftsersuchen mehr als zwei Jahre dauert? Die durchschnittliche Zeitspanne der Bearbeitung ist im LfV Hamburg nicht zentral erfasst und musste daher händisch ermittelt werden. Aufgrund der Vielzahl der Ersuchen konnte bezogen auf die noch in der Registratur vorgehaltenen Personenakten zu Auskunftsersuchen in der zur Verfügung stehenden Zeit allein eine Erhebung bezüglich der Kalenderjahre 2014 und 2015 erfolgen. Bezogen auf Auskunftsersuchen, die im Jahr 2014 eingegangen sind, betrug die Bearbeitungszeit durchschnittlich 44 Kalendertage. Bezogen auf Auskunftsersuchen, die im Jahr 2015 eingegangen sind, betrug die Bearbeitungszeit durchschnittlich 68 Kalendertage. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5134 3 5. In der Auskunft an Marily S. seien 31 Belege aufgeführt, die das LfV zur Bewertung veranlassten, dass sie als „bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene gewertet“ werden müsse. a. Was ist das Kriterium, um staatlicherseits als „bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene gewertet“ zu werden? Diese Formulierung ergibt sich aus einer Gesamtbewertung, die auf der Auswertung von vorhandenen Erkenntnissen beruht. b. Wie viele der aufgeführten 31 Belege aus ihrer Akte beziehen sich auf Ereignisse, bei denen die Beobachtete ihre berufliche Tätigkeit ausübte? Siehe Vorbemerkung. c. Prüft das LfV, inwiefern Informationen von verdeckten Ermittlern/ -innen der Polizei oder V-Leuten des LfV über beobachtete Personen , die zum Beispiel Journalisten/-innen sind, Belege der Berufsausübung der beobachteten Person sind und deshalb nicht als „Daten “ zu werten sind? Das LfV Hamburg beobachtet keine Personen aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern aufgrund ihrer extremistischen Aktivitäten. Bei übermittelten Informationen erfolgt eine Überprüfung auf Erforderlichkeit gemäß § 19 Absatz 5 HmbVerfSchG. 6. Gleich mehrere der NADIS-Einträge führen auf, dass sich Marily B. an Aktivitäten beteiligt habe, die auch von „linksextremistischen Gruppen“ mitgetragen, frequentiert oder ähnliches worden sind oder sein sollen. So habe sie sich 2011 an Protesten gegen eine Kundgebung der NPD beteiligt, zu denen auch linksextremistische Gruppen mobilisiert hatten. Nebenbei: Auch aus der SPD wurde zu diesen Protesten mobilisiert. Geht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde von einer Art Kontaktschuld aus? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, aus welchen Gründen gilt dem LfV eine Beteiligung an Protesten gegen die NPD als Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung? Das LfV Hamburg beobachtet auch die Beteiligung von Extremisten an nicht extremistischen Veranstaltungen, zum Beispiel um extremistische Einflussnahmen bewerten zu können. Es gehört zum gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes, nicht extremistische Gruppen und Initiativen vor extremistischer Einflussnahme zu warnen. Zu den Datenspeicherungen zur Betroffenen siehe Vorbemerkung. 7. Als ein Beleg für die „linksextremistischen Bestrebungen“ beziehungsweise „Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung “ wird offensichtlich gewertet, dass – infolge einer Klage unter anderem von Marily S. – das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung durch das VG Berlin dazu verurteilt wurde, ihr eine (zuvor verweigerte ) Akkreditierung für den G8-Gipfel in Heiligendamm zu erteilen. Sieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde in der erfolgreichen Klage gegen die Verweigerung der Akkreditierung eine linksextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung ? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum wird der Vorgang erfasst, in NADIS gespeichert und neun Jahre später als Beleg für „linksextremistische Bestrebungen“ aufgelistet ? Siehe Vorbemerkung.