BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5138 21. Wahlperiode 12.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 04.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Status Quo Jihadismus in Hamburg und Bilanz des Präventionsnetzwerks gegen gewaltbereiten Salafismus Auf der Pressekonferenz am 28.06.2016 haben Senat und Verfassungsschutz die Bilanz des Präventionsnetzwerks gegen gewaltbereiten Salafismus gezogen. Es wurde kurz zur aktuellen Situation der jihadistischen Szene berichtet und auch, welche weiteren Maßnahmen geplant sind, um Jihadismus entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Siehe Drs. 21/3355 und Drs. 21/4700. Dasselbe gilt hinsichtlich der Verifizierung von tatsächlichen oder vermeintlichen Todesfällen, da auch den partiell vorhandenen Verlautbarungen des sogenannten Islamischen Staates (IS) nicht vertraut werden kann. Zu den Ergebnissen und zur Weiterentwicklung des Senatskonzepts „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ siehe Drs. 21/5039. Die parlamentarischen Beratungen dieser Drucksache haben noch nicht begonnen. Über die Darstellung in der Drucksache hinaus antwortet der Senat teilweise auf Grundlage von Auskünften von Projektträgern wie folgt: 1. Wie viele Personen sind seit 2013 in Richtung Syrien/Irak ausgereist, wie viele davon in diesem Jahr? Bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht und welcher Gruppierung/Verein/Moschee/Person sie hier in Hamburg nahe standen und welcher Gruppe/Organisation sie sich in den Zielorten angeschlossen haben. Alter / Geschlecht Unter 18 Jahre 18 – 21 Jahre 22 – 34 Jahre Ab 35 Jahre Gesamt männlich 2 9 42 6 59 weiblich 0 7 5 0 12 Gesamt 2 16 47 6 71 Die Ausgereisten sind alle dem salafistisch-jihadistischen Spektrum zuzuordnen. Sie verkehrten in unterschiedlichen Moscheen. Darüber hinaus berührt die Beantwortung der Fragestellungen laufende Ermittlungsverfahren bei der Polizei. Um einen möglichen Ermittlungserfolg sowie gefahrenabwehrende Maßnahmen nicht zu gefährden, wird von einer eingehenderen Beantwortung abgesehen. Im Übrigen siehe Drs. 21/4700 und Vorbemerkung. a. Waren die Personen den Sicherheitsbehörden vor ihrer Ausreise bekannt? Wenn ja, weshalb konnte die Ausreise nicht verhindert werden, wenn nein, weshalb nicht? Drucksache 21/5138 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 i. Bei wie vielen Personen konnte eine Ausreise verhindert werden ? Ausreiseverbote und Passversagungen sind grundsätzlich probate Maßnahmen, um Ausreisen von Salafisten beziehungsweise Dschihadisten zu verhindern. Zum überwiegenden Teil waren die Ausreisenden den Sicherheitsbehörden bekannt. Insgesamt konnten 15 Ausreisen verhindert werden (Stand: 7. Juli 2016). Die Hintergründe für Ausreisen sind immer unterschiedlich und einzelfallabhängig. ii. Wie viele der ausgereisten Personen sind zurückgekommen, wie viele davon in diesem Jahr? In diesem Jahr keine. Im Übrigen siehe Drs. 21/4700. b. Wie viele dieser Personen sind ums Leben gekommen, wie viele davon in diesem Jahr? Bitte aufschlüsseln nach Alter und Geschlecht. Nach bisherigem Erkenntnisstand sollen 20 Männer ums Leben gekommen sein, davon im vier im Alter von 18 bis 21 und 16 im Alter von 22 bis 34 Jahren. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. i. Bei wie vielen Personen gab es Versuche, sie nach Hamburg zurückzuholen? Wenn es keine Versuche gab, weshalb nicht? Wenn sie nicht erfolgreich waren, vermutlich weshalb nicht? ii. Was geschieht mit diesen Personen nach ihrem Tod? Den Sicherheitsbehörden liegen hierzu keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor, da es keinen Kontakt zu den Personen gibt. iii. Welche Betreuung erhalten die Familien der Verstorbenen in Hamburg? Die Beratungsstelle Legato bietet eine Betreuung für verwaiste Eltern an, die bei Bedarf auch Seelsorge in Kooperation mit verschiedenen Religionsgemeinschaften umfassen kann. Auf Wunsch steht das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg (LfV) für Beratungen zur Verfügung. c. Wenn die Ausreisenden schulpflichtig waren, welche Schule haben sie zuletzt besucht? Siehe Drs. 21/114. d. Als die Radikalisierung der Schüler/-innen bekannt wurde, welche Anstrengungen wurden seitens der jeweiligen Schule unternommen, um die Schüler/-innen wieder in die Schulgemeinschaft zu integrieren ? Zu Interventionsabläufen siehe Drs. 21/5039. 2. Wie viele Mitglieder haben die in Hamburg bekannten islamistischen/ salafistischen/jihadistischen Gruppierungen? Bitte aufschlüsseln nach Name der Vereinigung, Anzahl der Anhänger und Geschlecht. Die Angehörigen der salafistischen Szene stehen im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden . Deshalb liegt für dieses Spektrum auch detaillierteres Datenmaterial vor. Die Zahlen unterliegen aufgrund der sich laufend verändernden Informationslage einer ständigen Fluktuation. Zum Stichtag 04.07.2016 sind es derzeit: Salafisten: Salafisten Gesamt davon: jihadistisch männlich 502 280 weiblich 91 24 Gesamt 593 304 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5138 3 Weitere islamistische Gruppen: Gruppe Anzahl Mitglieder Hizb Allah* 30 Hamas* Einzelmitglieder Türkische Hisbollah* 50 Hezb-e Islami* 30 Hizb ut-Tahrir * 120 Milli-Görüs-Bewegung ** 200 Tablighi Jama’at (TJ)* 75 Islamisches Zentrum Hamburg e.V.* 100 * Aufgrund der nicht vorhandenen Datenbasis ist eine weitere verlässliche Aufschlüsselung nicht möglich. ** Seit August 2013 wurde die Beobachtung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) mit ihrem Hamburger Landesverband „Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland e.V.“ (BIG) eingestellt, da der Beobachtungsgrund entfallen war. Seither werden nur noch die verbliebenden extremistischen Teile der Milli Görüs Bewegung beobachtet . a. Wie viele Fälle von Personen, die sich im Gefängnis radikalisiert haben, sind bekannt und was wurde und wird gegen ihre Radikalisierung unternommen? b. Wie viele Fälle gibt es, nach denen Personen, die sich im Gefängnis radikalisiert haben, freigekommen sind und danach straffällig geworden sind? Bitte aufschlüsseln nach Alter und Geschlecht. Den zuständigen Behörden sind keine Fälle bekannt, in denen sich Gefangene im Hamburger Justizvollzug radikalisiert haben. 3. Wie sollen die auf der Pressekonferenz erwähnten Peer-Projekte genau aussehen, mit welchen Vereinen/Organisationen werden sie jeweils entwickelt und an wen richten sie sich? Die zuständige Fachbehörde plant Peer-Projekte mit einzelnen Religionsgemeinschaften . Zudem sollen die bereits bestehenden „Kiezläufer“-Projekte deutlich ausgeweitet werden; siehe auch Drs. 20-1447.1 der Bezirksversammlung Wandsbek. Darüber hinaus ist geplant, für 2017 weitere Mittel für Peer-Projekte im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ zu akquirieren. a. Welche Maßnahmen ergreifen Senat und Sicherheitsbehörden, um Geflüchtete in Unterkünften vor salafistischen und jihadistischen Anwerbeversuchen zu schützen? Siehe Drs. 21/1542, Drs. 21/4083 sowie Drs. 21/5039. i. Durch welche Vereine/Gruppierungen/Organisation geschehen die Anwerbeversuche? Neben der salafistischen Szene gibt es insbesondere von der islamistischen Hizb ut- Tahrir Anwerbeversuche bei Geflüchteten, um diese für ihre Ideologie zu gewinnen. 4. Ist im Rahmen der Präventionsarbeit geplant, dass die Mitglieder des Präventionsnetzwerks mehr als einmal pro Jahr eine Selbstauskunft über ihre Arbeit geben? Wenn nein, weshalb nicht? Ein Austausch über aktuelle Entwicklungen und Arbeitsschwerpunkte findet in allen Netzwerksitzungen statt. Zudem erfüllen die bundes- und landesfinanzierten Projektträger ihre Berichtspflicht gegenüber den zuständigen Behörden im Rahmen des unterjährigen Fachaustausches und der Erfolgskontrolle. a. Woran misst der Senat Erfolg und Misserfolg der Arbeit des Präventionsnetzwerks , wenn es keine detaillierte Evaluation gibt? Drucksache 21/5138 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Für die bundes- und landesfinanzierten Präventionsprojekte sowie die Beratungsstelle Legato wird eine Erfolgskontrolle im Rahmen der Projektsteuerung durch die zuständigen Behörden durchgeführt. Zudem wird das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend evaluiert. b. Woran misst der Senat die Qualifikationen der Mitglieder des Netzwerkes im Bereich Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung ? Das Beratungsnetzwerk ist von der federführenden Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), den weiteren beteiligten Fachbehörden und den muslimischen und alevitischen Religionsgemeinschaften als relevante Akteure gegründet worden. Für die Mitarbeit im Beratungsnetzwerk ist darüber hinaus entscheidend, welche Fachkompetenz und Erfahrung in den Themenfeldern „Abbau von Radikalisierung “ und „Muslimfeindlichkeit“ Träger und Akteure mitbringen. 5. Die Internetkampagne „Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet“ ist im Netz kaum sicht- und auffindbar. Die Videos des YouTube-Kanals „ikra'mTV“ haben weniger als je 1.000 Aufrufe. Welche Maßnahmen plant der Senat, um dies zu ändern und die Plattform bekannter zu gestalten? Das im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderte und auf eine Entwicklungszeit von fünf Jahren ausgelegte Modell-Projekt „Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet“ besteht seit Oktober 2015. Die Online- Angebote wie Ikra’m TV gibt es erst seit Ende März 2016. Im Förderzeitraum werden verschiedene Formate erprobt und weiterentwickelt. Im bisherigen kurzen Projektverlauf konnten sowohl die Formate ausgeweitet als auch beständig mehr Aufrufe im Internet (sehr hohe Wachstumsraten bei Videoclips und „Gefällt mir“-Angaben) verzeichnet werden. Die Videoclips werden zudem nicht nur über YouTube, sondern zum Beispiel auch über Facebook gepostet, wo sie deutlich mehr Aufrufe verzeichnen: Beispielsweise stehen zum letzten Video „Ramadan Merkzettel für Nichtmuslime“ 734 Aufrufen auf YouTube 7.771 Aufrufe auf Facebook gegenüber. Insgesamt wurden über Facebook in 30 Tagen (06.06 – 05.07.2016) 141.535 Menschen erreicht. Im Übrigen befindet sich die Homepage von „Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet“ im Aufbau und wird in den nächsten Wochen veröffentlicht. 6. Wenn für 2017/2018 4 Millionen Euro für die Arbeit des Netzwerks eingeplant sind, wofür sollen diese ausgegeben werden beziehungsweise wie kommt diese Berechnung zustande? Bitte aufschlüsseln nach Einrichtung /Projekt und Maßnahme. Siehe Drs. 21/5039 sowie die Pressemitteilung http://www.hamburg.de/pressearchivfhh /6452982/2016-06-28-deradikalisierung/. Darüber hinaus sind die Planungen der zuständigen Behörden noch nicht abgeschlossen.