BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5162 21. Wahlperiode 12.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 06.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Festnahme mit Hindernissen – War die Flucht des Ex-„Mongols“-Chefs absehbar? Der verurteilte Ex-Rocker-Chef der „Mongols“, Erkan U., ist am 2. Juli 2016 nach seiner Flucht in Nürnberg wieder festgenommen worden. Erst in der vergangenen Woche war er wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitzes zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Zunächst musste er nicht ins Gefängnis, verstieß aber gegen seine Auflagen und floh. Um seine Flucht gibt es Spekulationen. Möglicherweise sei er untergetaucht, aus Angst vor einer Rache der „Hells Angels“. Beide Gruppen liefern sich seit Langem einen „Rockerkrieg“. Der Rocker-Chef soll nun in Hamburg wieder in Untersuchungshaft kommen. Unklar ist bisher aber, wie er untergebracht werden soll. Dazu ist zu klären, nach welchen Kriterien dies geschehen soll und wie sich insgesamt die Situation der Inhaftierten in der Untersuchungshaft in Hamburg darstellt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Inhaftierte sind wie und auf welchen Stationen, Bereichen in der Untersuchungshaft in Hamburg untergebracht? In Hamburg werden Untersuchungsgefangene in folgenden Justizvollzugsanstalten untergebracht: - in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand: nur männliche Untersuchungsgefangene , die zum Tatzeitpunkt nicht älter als 21 Jahre waren, - in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg: männliche erwachsene sowie – altersunabhängig – weibliche Untersuchungsgefangene, - in der JVA Billwerder: männliche erwachsene und – altersunabhängig – weibliche Untersuchungsgefangene. In allen Anstalten erfolgt die Unterbringung von Untersuchungsgefangenen im Rahmen der Einzelunterbringung. Im Bereich des Zentralkrankenhauses ist eine Zweierbelegung möglich. In der Untersuchungshaftanstalt Hamburg (UHA) stehen zurzeit 287 Haftplätze für männliche und zehn Haftplätze für weibliche Untersuchungsgefangene zur Verfügung. Nach Abschluss der dortigen Baumaßnahmen wird sich die tatsächliche Belegungsfähigkeit der UHA wieder deutlich auf dann 455 Haftplätze erhöhen (siehe Drs. 21/3877). Am Stichtag 6. Juli 2016 stellte sich die Belegung wie folgt dar: Haupthaus Bestand A2 7 Drucksache 21/5162 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Haupthaus Bestand A3 19 A4 19 A5 17 C1 0 V1 0 Haus A Haus A 2 0 Haus A 3 10 Haus A 4 12 Haus A 5 12 Haus A 6 17 Haus A1 0 Haus B Stat.1 3 Stat.2 1 Stat.3 10 Stat.4 11 Stat. 5 11 C/V-Flügel C2 12 C3 21 C4 15 C5 21 C6 18 V2 5 V3 5 V4 1 V5 4 V6 4 Zentralkrankenhaus ZKH 2 7 ZKH 3 1 ZKH 4 7 ZKH 6 6 ZKH 7 5 gesamt 281 In der JVA Billwerder können zurzeit bis zu 248 männliche Untersuchungsgefangene untergebracht werden. Für die Unterbringung von Untersuchungsgefangenen stehen die Hafthäuser 2 und 5 zur Verfügung. Auf den Stationen 2a und 2b stehen jeweils 64 Haftplätze für Untersuchungsgefangene im Hafthaus 2 zur Verfügung. Auf der Station 5a stehen 24 Haftplätze für Untersuchungsgefangene und auf den Stationen 5b und 5c jeweils 48 Haftplätze für Untersuchungsgefangene im Haus 5 zur Verfügung. Am 6. Juli 2016 waren diese Haftplätze wie folgt belegt: JVA Billwerder, Unterbringung männlicher Untersuchungsgefangenen Bestand Haus 2 Haus 2a 59 Haus 2b 62 Haus 5 Haus 5a 23 Haus 5b 48 Haus 5c 48 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5162 3 Für weibliche Untersuchungsgefangene stehen in der JVA Billwerder (TAF) zurzeit 40 Haftplätze zur Verfügung. Die Belegung der weiblichen Untersuchungsgefangenen stellt sich mit Datum vom 6. Juli 2016 wie folgt dar: JVA Billwerder, Unterbringung weiblicher Untersuchungsgefangenen Bestand TAF UH 1 10 TAF UH 2 17 In der JVA Hahnöfersand stehen aktuell 82 Haftplätze zur Verfügung. Die Belegung stellte sich mit Datum vom 6. Juli 2016 wie folgt dar: JVA Hahnöfersand, Abteilung für junge Untersuchungsgefangene Bestand Haus IV Station IV/1 11 Station IV/2 10 Station IV/3 9 Station IV/4 12 Station IV/5 9 Haus VI 0 Station VI/1 4 gesamt 55 2. Welche Kriterien für die Unterbringung der Untersuchungshaft werden in Hamburg zugrunde gelegt? Welche Kriterien für die Aussetzung der Untersuchungshaft werden in Hamburg angewendet? Die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft richten sich nach den §§ 112 fortfolgende StPO, die für die Aussetzung eines Haftbefehls nach § 116 StPO. Darüber hinausgehende besondere Kriterien gibt es in Hamburg nicht. 3. Welche Unterschiede werden hinsichtlich der Unterbringung der Inhaftierten in der Untersuchungshaft gemacht, insbesondere zwischen sogenannten Rocker-Bossen aus dem Milieu der organisierten Kriminalität, wie Erkan U., und anderen Inhaftierten (bitte begründen und nach Jahren 2014 bis 2016 untergliedern)? Die Unterbringung von Gefangenen innerhalb der Untersuchungshaft wird individuell und im Einzelfall entschieden. Das zuständige Gericht kann einzelnen Untersuchungshaftgefangenen bestimmte Beschränkungen auferlegen, wenn dies erforderlich ist, um den Zweck der Untersuchungshaft zu erreichen (vergleiche § 119 StPO). Weitere Kriterien für die Unterbringung können sich insbesondere aufgrund von Erkenntnissen aus den Haftunterlagen ergeben. Hieraus folgt regelmäßig, dass Gefangene aus dem sogenannten Rocker-Milieu voneinander getrennt auf unterschiedlichen Stationen und – sofern erforderlich – auch in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten untergebracht werden. Weiterhin werden für temporäre Unterbringungen auf der Beobachtungsstation auch Erkenntnisse aus den bei Zugang erstellten Screeningbögen und bestimmten Deliktvorwürfen im Rahmen der Suizidprophylaxe verwertet. Darüber hinaus werden aus dem Zugangsgespräch und im Laufe des Vollzugsverlaufs gewonnene Erkenntnisse für bestimmte Unterbringungsformen verwertet. So können beispielsweise Erstinhaftierte auf eine Abteilung mit Stationsfreizeit verlegt werden. Die Belegung mit Untersuchungsgefangenen in der JVA Hahnöfersand orientiert sich gemäß § 76 Absatz 2 Satz 3 des Hamburgischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (HmbUVollzG) an erzieherischen Grundsätzen. Die Entscheidung über die Unterbringung der jungen Untersuchungsgefangenen ist ebenfalls eine Einzelfallentscheidung, bei der neben den erzieherischen Bedarfen des jeweiligen Gefangenen insbesondere die Erhaltung eines gewaltfreien Miteinanders sowie die Sicherheit und Ordnung der Anstalt berücksichtigt werden. Bei jungen Untersuchungsgefangenen, die subkulturellen Gruppierungen und kriminellen Milieus zugerechnet werden, erfolgt eine entsprechend engere Beobachtung; grundsätzlich werden sie nicht gemeinsam mit anderen Drucksache 21/5162 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 jungen Untersuchungsgefangenen, die diesen Gruppen zuzurechnen sind, auf einer Station untergebracht. Gerichtliche Anordnungen für die Unterbringung während der Untersuchungshaft werden umgesetzt. Die Darstellung gilt für die Jahre 2014, 2015 und 2016. 4. Wo werden Inhaftierte wie Erkan U. untergebracht? Sind diese in Bereichen mit anderen Inhaftierten untergebracht, die ebenfalls zum Rocker- Milieu zählen? Wenn ja, warum? Spielt dabei die Gefährlichkeit des Inhaftierten beziehungsweise seine eigene Gefährdung eine Rolle? Wenn ja, inwiefern? Bei der Entscheidung über die Unterbringung von Untersuchungsgefangenen werden Erkenntnisse über eine Gefährlichkeit oder Gefährdung eines Gefangenen berücksichtigt . Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 5. Wie und wo genau wird Erkan U. in der Untersuchungshaft untergebracht werden? Welche Planungen gibt es dazu? Es ist noch nicht bekannt, in welcher Justizvollzugsanstalt Erkan U. künftig untergebracht werden wird. Es liegen den Anstalten noch keine Haftunterlagen vor. Über die konkrete Unterbringung von Untersuchungshaftgefangenen wird im Rahmen des Aufnahmeverfahrens im Wege einer Einzelfallentscheidung befunden. 6. Warum wurde bei Erkan U. keine Fluchtgefahr festgestellt? Schließt der Senat eine „Gefährdungssituation“ in der Untersuchungshaft aus? Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Hamburg haben fortwährend Fluchtgefahr angenommen . Das Amtsgericht ging jedoch davon aus, dass der Fluchtgefahr mit einer Meldeauflage ausreichend begegnet werden könne und setzte daher den Vollzug des Haftbefehls aus. Auf eine diesbezügliche Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin setzte das Landgericht Hamburg den Haftbefehl wieder in Vollzug. Gefährdungssituationen in der Untersuchungshaft begegnen die Justizvollzugsanstalten aufgrund einer fortdauernden Bewertung der Umstände des Einzelfalls. 7. Hat sich Erkan U. überhaupt entsprechend der Auflagen bei der Polizei gemeldet? Wenn ja, wie oft und wann? Wenn nein, wann genau hat er gegen die Auflagen verstoßen? Der Betroffene hat sich entsprechend der gerichtlichen Auflagen erstmalig am 23. Juni 2016 am Polizeikommissariat (PK) 31 gemeldet. Bis zu seiner Festnahme am 2. Juli 2016 ist er der Meldepflicht dann nicht mehr nachgekommen. Er hätte sich am 27. Juni 2016 und am 30. Juni 2016 am PK 31 melden müssen. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. 8. Ist Erkan U. aus Sicht des Senats vor der drohenden Haft geflüchtet oder aus Angst um sein eigenes Leben untergetaucht? Warum hat sich Erkan U. aus Sicht des Senats so schnell abgesetzt? Die Motive für die Flucht sind den zuständigen Behörden nicht bekannt. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst. 9. Wie schnell wurde im Fall Erkan U. die Fahndung, die Ermittlungen eingeleitet ? Die Polizei hat Fahndungsmaßnahmen unmittelbar nach Erhalt eines Haftbefehls wegen eines Auflagenverstoßes in anderer Sache am 24. Juni 2016 um 15.15 Uhr eingeleitet. 10. Wie viele Untersuchungsgefangene sind in den Jahren 2014 bis 2016 länger als a. sechs Monate, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5162 5 b. drei Monate, b. zwei Monate, c. einen Monat, d. 14 Tage wo untergebracht beziehungsweise untergebracht gewesen? Die zur Beantwortung der Frage benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Weder in der Justizvollzugsstatistik noch im Programm BASIS (Buchungsund Abrechnungssystem für den Strafvollzug) wird die Vollzugsdauer im Bereich des Untersuchungshaftvollzuges statistisch erfasst. Die Auswertung der Datenbank im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft innerhalb eines definierten Zeitraumes ist nicht möglich, weil das Programm BASIS für die Verwaltung von Gefangenendaten in den Justizvollzugsanstalten und nicht als Statistikprogramm konzipiert wurde. Eine anderenfalls erforderliche Einzelfallauszählung mehr als 29.000 Datensätzen ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Anzahl der auszuwertenden Datensätze ergibt sich aus der Anzahle der Eintritte (Nummer 7 der Vollzugsgeschäftsordnung) im fraglichen Zeitraum. 11. Wie viele Stunden pro Tag dauert der Einschluss in der Untersuchungshaft in Hamburg? Wie viele Stunden pro Tag kann Erkan U. eingeschlossen werden? Die Gesamtdauer des täglichen Einschlusses ist nicht festgelegt. In der Untersuchungshaftanstalt findet in der Zeit von 18.00 Uhr bis 06.45 Uhr der sogenannte Nachteinschluss statt. Mindestens in diesem Zeitraum ist jeder Gefangene tatsächlich eingeschlossen. In der JVA Billwerder befinden sich Untersuchungsgefangene mindestens 13 Stunden im sogenannten Nachteinschluss. In der JVA Hahnöfersand findet der Nachteinschluss werktäglich von 19.00 Uhr bis 06.30 Uhr, am Wochenende eine Stunde länger statt. Die übrige Einschlusszeit hängt in allen Justizvollzugsanstalten von vielfältigen Faktoren ab. So verlängert sich die Einschlusszeit, wenn Gefangene nicht an der täglichen Freistunde teilnehmen. Gleiches gilt für Besuche, Anwaltstermine, Verhandlungstermine , Arztvorstellungen, die Teilnahme an Freizeitgruppen, an kirchlichen oder kulturellen Veranstaltungen. Auch auf den Stationen mit Aufschlussmöglichkeit sind Gefangene nicht verpflichtet, an den Aufschlüssen teilzunehmen. 12. Wie oft und wie lange finden Stationsfreistunden im Durchschnitt in Hamburg statt? Welche Kriterien werden dem zugrunde gelegt? Es wird bei der Beantwortung dieser Frage davon ausgegangen, dass „Stationsfreizeiten “ gemeint sind. In der Untersuchungshaftanstalt differieren die Aufschlusszeiten zwischen den unterschiedlichen Stationen, auf denen Aufschluss gewährt wird. Sie betragen zwischen durchschnittlich 3,5 Stunden (werktags) und 6,5 Stunden (am Wochenende). Diese Zeiten unterliegen Schwankungen, bedingt durch wechselnde Freistundenpläne und dem jeweils zur Verfügung stehenden Personal. In Einzelfällen können aus vollzuglichen Gründen die Stationsfreizeiten auch in Gänze ausfallen. In der JVA Billwerder werden - männlichen Untersuchungsgefangenen Stationsfreizeiten wie folgt gewährt: montags bis freitags von 06.15 Uhr bis 07.45 Uhr, 11.15 Uhr bis 12.00 Uhr und von 15.15 Uhr bis 18.00 Uhr; am Wochenende: von 08.30 Uhr bis 11.30 Uhr und von 13.15 Uhr bis 17.00 Uhr. - weiblichen Untersuchungsgefangenen folgende Stationsfreizeiten gewährt: Drucksache 21/5162 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 montags bis freitags: von 06.15 Uhr bis 07.45 Uhr, 11.15 Uhr bis 12.00 Uhr und von 15.15 Uhr bis 18.30 Uhr; am Wochenende: von 08.30 Uhr bis 11.30 Uhr und von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr. In der JVA Hahnöfersand findet über den mindestens einstündigen täglichen Aufenthalt im Freien hinaus in der Regel täglich eine Stationsfreizeit mit einer Dauer von zwei bis vier Stunden statt. Voraussetzung für die Teilnahme sind insbesondere die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem gewaltfreien Miteinander.