BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5182 21. Wahlperiode 15.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 07.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Unterrichtsqualität an Hamburger Schulen: Qualität und Leistungsbewertung von Gruppenarbeiten In den letzten zwei Jahrzehnten haben kooperative Lern- und Sozialformen (Partnerarbeit und Gruppenarbeit) in der Gestaltung des Unterrichts enorm an Bedeutung gewonnen und verdrängen immer stärker lehrerzentrierte Unterrichtsanteile. Kooperative Lern- und Sozialformen, bei denen die Schüler weitgehend selbständig etwas erarbeiten sollen (zum Beispiel das Erstellen von Mappen, Broschüren, Plakaten, Positionspapieren, Referaten, Rollenspielen et cetera) werden oft im Zusammenhang mit handlungs- und produktorientiertem Lernen eingesetzt. Wurden solche Lernformen in Verbindung in früheren Jahren eher in den kreativen Unterrichtsfächern (Musik und Kunsterziehung) eingesetzt, werden diese heute auch sehr stark in den anderen Unterrichtsfächern, zum Beispiel in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen, eingesetzt. Die in den Bildungsplänen verankerte Kompetenzorientierung erfordert wohl auch in stärkerem Maße den Einsatz solcher Lernformen. Lehrer und Eltern haben uns darauf hingewiesen, dass es in diesem Kontext an den Hamburger allgemeinen Schulen immer wieder und in hohem Maße zu unbefriedigenden Ergebnissen beziehungsweise Teilergebnissen kommt. Konkret werden hier im Zusammenhang mit der Qualität und der Leistungsbewertung von Gruppenarbeiten folgende Missstände genannt, die an dieser Stelle aufgelistet werden sollen: - Schüler würden die Gruppenarbeitsergebnisse häufig nicht fristgerecht fertigstellen und abgeben. Es wird berichtet, dass oftmals zwischen einem Drittel und der Hälfte der Schüler einer Klasse ihre Arbeiten nicht fristgerecht erstellen. In einzelnen Fällen auch mehr als die Hälfte einer Schulklasse . - Gruppenarbeitsphasen würden „ewig in die Länge gezogen“, weil ein Teil der Schüler nicht vorankommt. Schüler mit höherem Arbeitstempo würden sich oft langweilen, weil sinnvolle Zusatzaufgaben nicht oder nur teilweise vorhanden wären. - Eine Mentalität des „Ausredens“ mache sich unter den Schülern breit, wenn Arbeiten nicht fristgerecht fertiggestellt und abgegeben werden. - Schüler würden oft zum „Aussitzen“ tendieren, wenn die Lehrer nicht konsequent benoten oder Fristen immer noch einmal verlängern. Drucksache 21/5182 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 - „Daddeln“ im Internet verdränge oft die sachbezogene Recherche während der Gruppenarbeitsphasen im Unterricht. - Gruppenarbeiten würden insgesamt als „inflationär“ und wenig effektiv wahrgenommen. - Schüler wären kaum noch in der Lage, sich außerhalb des Unterrichts zu treffen und Gruppenarbeiten weiterzubearbeiten beziehungsweise fertigzustellen , obwohl die Schüler über die Sozialen Medien sehr gut vernetzt seien. - In den Arbeitsergebnissen käme es massenhaft zu Plagiaten, auch noch in den höheren Jahrgangsstufen. Komplette Wikipedia-Artikel würden kopiert und Quellen würden bewusst weggelassen, um Plagiate zu vertuschen . - Lehrer hätten keine Zeit, um die Flut an Arbeitsergebnissen gewissenhaft auf Plagiate hin zu überprüfen oder hätten nicht die entsprechende Plagiatssoftware . - Leistungsbereite Schüler würden unter einer weniger leistungsbereiten Gruppenkonstellation „leiden“ und schlechtere Ergebnisse und Noten erzielen, während weniger leistungsbereite Schüler in leistungsbereiten Gruppenkonstellationen überproportional von guten Arbeitsergebnissen profitieren würden. Die Berichte über diese unbefriedigenden Entwicklungen könnten für die verantwortliche Politik ein Anlass sein, solche Sozial- und Lernformen spezifischer zu evaluieren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Inwieweit sind dem Senat die beschriebenen Probleme in der Qualität und Leistungsbeurteilung von Gruppenarbeiten an den Hamburger allgemeinen Schulen bekannt? Die für Schule zuständige Behörde geht davon aus, dass es sich bei den in der Vorbemerkung aufgelisteten Vorgängen, soweit diese tatsächlich an Hamburger Schulen auftreten sollten, um Einzelfälle, nicht aber um grundsätzliche Defizite der in Rede stehenden Arbeits- und Sozialformen handelt. Die Schulen sind im Rahmen ihrer einzelschulischen Selbstverantwortung für die effiziente, lernziel- und lerngruppenadäquate Unterrichtsdurchführung verantwortlich; dazu zählt jeweils auch die Wahl einer angemessenen unterrichtsmethodischen Arbeits- und Sozialform. 2. Gibt es spezifische Studien oder Evaluationen vonseiten der Behörde für Schule und Berufsbildung, die den Prozess und die Ergebnisse von Gruppenarbeiten im Hamburger Unterricht untersuchen? Wenn ja, bitte angeben und die Ergebnisse erläutern. Nein. Die Schulinspektion der für Schule zuständigen Behörde hat im Rahmen des Jahresberichts 2010/2011 eine quantitative Auswertung der Unterrichtsanteile vorgenommen , die auf unterschiedliche Sozialformen entfallen (http://www.hamburg.de/ contentblob/4022710/8426f908ea93cb4efcd7c23632334a04/data/pdf-jahresbericht- 2010-2011.pdf, Seite 20). Darüber hinausgehende von der zuständigen Behörde veranlasste Studien zur effektiven Lernzeitnutzung oder zu kooperativen Lern- und Sozialformen liegen nicht vor. 3. In welchem Umfang und an welcher Stelle der Hamburger Lehrerausbildung und der Fortbildungsveranstaltungen durch das LI werden die vorgetragenen Problemlagen im Bereich der kooperativen Sozial- und Lernformen thematisiert? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5182 3 Die Frage, wie Schülerinnen und Schüler erfolgreich lernen, wird im Rahmen der Lehrkräfteaus- und -fortbildung in Ausbildungs- und Prüfungssituationen systematisch und kontinuierlich bearbeitet. In der universitären Lehrkräfteausbildung wird das Thema „Qualität und Leistungsbewertung von Gruppenarbeiten“ in schulpädagogischen Lehrveranstaltungen behandelt . In der zweiten Ausbildungsphase, dem Vorbereitungsdienst (VD) für Lehrkräfte, hat die Vermittlung des Wechsels zwischen Sozialformen im Unterricht von Ausbildungsbeginn an eine hohe Relevanz. Instruktion, diskursive Phase, kooperatives Lernen – stets mit Blick auf die einzelnen Lernenden und ihre Voraussetzungen – werden funktional auf die thematischen Intentionen im Unterricht bezogen. Kriterien der Leistungsbewertung in gruppenbezogenen Arbeitsphasen sind Gegenstand im VD. Im Mittelpunkt steht hier die Bewertung individueller Leistungen in Gruppenarbeitssituationen , wobei zwischen einer ergebnis- und einer prozessbezogenen Perspektive unterschieden wird. In der berufsbegleitenden Fortbildung der Lehrkräfte wird in allen Veranstaltungen, in denen kooperative Lernformen – entweder als hauptsächlicher Inhalt oder im Kontext mit anderen Themen – bearbeitet werden, deren Funktion zur Vertiefung und Unterstützung fachlicher Verstehensprozesse thematisiert. Dabei wird betont, dass wie bei allen anderen – frontalen oder selbstgesteuerten – Lernformen auch die unterrichtende Lehrkraft die Lehr-/Lernprozesse hinsichtlich Verbindlichkeit, Ergebnisorientierung und Unterstützung steuern muss. Fortbildungen zu diesem und mit diesem Thema werden sowohl als ganztägige als auch als dreistündige Veranstaltungen schulintern oder zentral durchgeführt. 4. Gibt es spezielle Unterstützungsangebote vonseiten der Behörde für Schule und Berufsbildung für Lehrkräfte, wie im Bereich der kooperativen Sozial- und Lernformen leistungsstarken Schülern bessere Differenzierungsangebote unterbreitet werden können? Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) der zuständigen Behörde hält zu der genannten Thematik spezielle Unterstützungsangebote für Lehrkräfte in zentraler oder schulinterner Form vor. Veranstaltungen werden sowohl von der Beratungsstelle besondere Begabungen (BbB) des LI als auch von den Fachreferaten angeboten. Thematische Schwerpunkte dieser Fortbildungen sind Leistungsdifferenzierung und kooperative Lernformen vor allem bei der Arbeit mit leistungsstarken Schülerinnen und Schülern. Dabei werden die besonderen Lernbedürfnisse und -bedarfe leistungsstarker , besonders begabter und hochbegabter Schülerinnen und Schüler aufgenommen . Ausgerichtet auf diese Zielgruppe werden die Darstellung und Bearbeitung komplexer und offener Aufgabenformate, Möglichkeiten der Lernstoffstraffung (Compacting ) sowie Gruppierungstechniken (Grouping) zum Beispiel nach Leistung oder Interesse thematisiert. Ergänzend werden Hinweise zu Steuerungsmöglichkeiten, Gruppenarbeitsgestaltung und Aufgabenstellungen für leistungsstarke und besonders begabte beziehungsweise hochbegabte Schülerinnen und Schüler in fachbezogenen und praxisorientierten Publikationen zusammengefasst und Lehrkräften sowie schulischen Funktionsträgerinnen und -trägern zur Verfügung gestellt. Exemplarisch genannt werden können: Reihe: Impulse Mathematik Grundschule (siehe unter: http://li.hamburg.de/ publikationen-2014/3563114/schuelerzikel-mathe-band1-4/) „Im Blickpunkt: Kreatives Schreiben“. Handreichung für den Unterricht im Fach Deutsch für die Sekundarstufe I“ (2015). Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung. (zu bestellen unter: http://li.hamburg.de/publikationen/ 4626452/kreatives-schreiben/) Fördermaterialien unterschiedlicher Art (siehe unter: http://li.hamburg.de/ materialien-lehrkraefte/4425192/foerdermaterialien/) Drucksache 21/5182 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 5. Wie stellt der Senat sicher, dass die Lehrkräfte an den Hamburger allgemeinen Schulen über eine entsprechende Software verfügen, um Plagiate in Schülerarbeiten zu erkennen und nachzuweisen? Soweit Anhaltspunkte auf Plagiate vorliegen, prüft die jeweilige Lehrkraft unter Benutzung einschlägiger Suchmaschinen, ob ein Plagiat tatsächlich vorliegt. Der Einsatz von Plagiatssoftware, die sich auch nur auf das Durchsuchen digitaler Quellen beschränkt und deren Ergebnisse in jedem Fall durch eine Lehrkraft zu überprüfen wären, ist als Nachweismethode in der Regel nicht erforderlich. 6. Gibt es vonseiten der Behörde für Schule und Berufsbildung spezielle Messungen zur Erfassung der effektiven Lernzeit im Bereich der kooperativen Sozial- und Lernformen an den Hamburger allgemeinen Schulen ? Wenn ja, zu welchen Ergebnissen kommen diese Untersuchungen (auch im Vergleich zu anderen Sozial- und Lernformen)? Siehe Antwort zu 2.