BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5244 21. Wahlperiode 19.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 12.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Kinderehen in Hamburg Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg hat mit einem Urteil, eine Kinderehe anzuerkennen, bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Im vorliegenden Fall hatte ein syrisches Paar noch vor der Flucht in Syrien geheiratet. Zum Zeitpunkt der Heirat war der Ehemann 21, die Ehefrau noch 14 Jahre alt. Das OLG entschied, dass die Heirat hier anzuerkennen sei. Zwar räumten die Richter ein, dass die Ehe vermutlich selbst nach syrischem Familienrecht anfechtbar sei, allerdings müsse dies in Syrien passieren (Az: 2 UF 58/16). Dieser Fall zeigte, dass es kaum belastbare Zahlenangaben über das Ausmaß sogenannter Kinderehen gibt. Erwähnenswert ist unter anderem die Studie des Bundesfamilienministeriums, die unter Mitarbeit der Organisation „terre des hommes“ 2011 unter dem Namen „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ veröffentlicht wurde. Demnach hätten allein im Jahr 2008 3.443 von Zwangsheirat Bedrohte oder Betroffene – meist Mädchen und Frauen – in Beratungsstellen Hilfe gesucht. Knapp ein Drittel sei dabei unter 18 Jahre alt. In Bayern waren es laut Angaben der „Main-Post“ vom 15.06.2016 bis Ende April 161 Fälle von verheirateten Asylbewerbern unter 16 Jahren und 550 unter 18 Jahren. Vergleiche http://www.mainpost.de/ueberregional/bayern/Heiraten-Zwangsehen-Urteile- Urteil-Oberlandesgerichte;art16683,9257651. Ich frage den Senat: Der Senat beantwortet nachstehende Fragen zum Teil auf Grundlage von Auskünften des Statistikamts Nord sowie von Angaben der im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration fachlich zuständigen Träger wie folgt: 1. Wie viele sogenannte Kinder-Ehen beziehungsweise Ehen von Minderjährigen (bei mindestens einem Partner) gibt es in Hamburg (zum Stand 12.7.2016)? Siehe Drs. 21/4861. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Im Übrigen hat eine erneute Abfrage bei den fachlich zuständigen Trägern keine neuen Erkenntnisse gegenüber dem in Drs. 21/2363 dargestellten Sachstand gebracht. 2. Wie viele dieser Ehen sind bei kürzlich Zugewanderten registriert worden und wie viele von Personen, die länger als drei Jahre hier sind (bitte getrennt aufführen)? Die Daten liegen dem Statistikamt Nord nur in anonymisierter Form vor und ermöglichen deshalb keine Aussagen zum Zeitpunkt der Einreise. 3. Welche Institutionen oder Behörden sind für diese Fälle zuständig und wie wurden registrierte Fälle bisher von den Behörden beschieden Drucksache 21/5244 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 beziehungsweise wie wurde bisher damit umgegangen? Bitte konkret nach Fall benennen. Konkrete Aussagen zu den Einzelfällen sind nicht möglich, siehe Antwort zu 2. Im Bereich der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen nach § 107 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), welcher zur Zuständigkeit der Justizbehörde gehört, kann die Frage einer „Kinderehe“ mittelbar eine Rolle spielen, da in diesen Verfahren zu prüfen ist, ob überhaupt eine Eheschließung zustande gekommen ist, die auch im deutschen Rechtsbereich Wirksamkeit erlangen kann. Es hat in den letzten zehn Jahren nur einen Fall gegeben, in dem einer der Ehegatten bei der Eheschließung jünger als 16 Jahre alt war. Eine Auswertung der Akten, die älter als zehn Jahre sind, ist nicht möglich, da die Akten nach Abschnitt IV Nummer 2.2 a) der Anlage zur Justizschriftgutaufbewahrungsverordnung vom 12. April 2011 (HmbGVBl. S 131) vernichtet sind. Zum Umgang mit diesem Fall aus dem Jahre 2012 (Eheschließung einer 14-jährigen Libanesin im Libanon im Jahr 2009 mit einem Deutsch-Libanesen – volljährig und Antragsteller des Verfahrens nach § 107 FamFG; die minderjährige Ehefrau hat nie in Deutschland gelebt) hat das Fachamt für Personenstandswesen des zuständigen Bezirksamtes bezüglich der Frage, ob die Eheschließung in Deutschland als wirksam angesehen werden würde, mitgeteilt, dass Ehen, die von noch nicht ehefähigen Personen geschlossen wurden, ebenso wie bigamische Ehen nach deutschem Recht zwar fehlerhaft und aufhebbar seien, bis zur Aufhebung aber als Ehen Bestand hätten. Die spätere Scheidung dieser Ehe im Libanon nach libanesischem Recht wurde nach § 107 FamFG anerkannt. Ob es sich dabei um einen registrierten Fall im Sinne der Frage 1 handelt, ist hier nicht bekannt. Im Bereich der Gerichte gibt es keine spezifische Zuständigkeit für Ehen mit Minderjährigen . Die Frage der Wirksamkeit einer im Ausland erfolgten Eheschließung kann allerdings in diversen gerichtlichen Verfahren eine Rolle spielen, im Wesentlichen als Vorfrage. Für den Bereich der Familiengerichte kann die Wirksamkeit einer Ehe mit Minderjährigen im Rahmen eines Verfahrens auf Aufhebung der Ehe (vergleiche §§ 1314 fortfolgende BGB) oder auch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Beteiligten (§ 121 Nummer 2, Nummer 3 FamFG) zu prüfen sein. Eine derartige Feststellung hat allerdings nur Wirkung zwischen den jeweiligen Parteien des Verfahrens. Darüber hinaus kann die Frage der Wirksamkeit der Ehe als Vorfrage in Bezug auf sich daraus ergebende Rechtsfolgen in verschiedenen Verfahren und Verfahrenskonstellationen von Bedeutung sein. Dies ist insbesondere in familienrechtlichen Verfahren im Sinne von § 111 FamFG der Fall. Auch in anderen Gerichtsverfahren kann die Wirksamkeit derartiger Ehen als Vorfrage im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen relevant werden. Da entsprechende Verfahren in der Justizstatistik nicht erfasst werden, wäre für die Beantwortung der Frage nach konkreten Fällen eine händische Auswertung der Verfahrensakten erforderlich, welche angesichts der Vielzahl der betroffenen Verfahren in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht geleistet werden kann. Allein beim Amtsgericht wäre im Bereich der familiengerichtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verfahren eine händische Auswertung von Verfahrensakten jeweils im fünfstelligen Bereich (pro Jahr) erforderlich. Im Rahmen der Beteiligung der Gerichte sind mit Ausnahme eines Verfahrens vor dem Amtsgericht und Hanseatischen Oberlandesgericht auch keine einzelnen konkreten Verfahren bekannt geworden, in denen die Frage der Wirksamkeit einer Ehe mit Minderjährigen eine Rolle gespielt hätte. Vor dem Amtsgericht Hamburg war kürzlich ein Sorgerechtsfall anhängig, in welchem eine Eheschließung mit einer Minderjährigen eine Rolle spielte. Dabei ging es um die Frage des Sorgerechts für eine jetzt 15- Jährige, die gerade Mutter geworden ist, und mit 14 geheiratet hat. Der Ehemann hatte das Sorgerecht für seine minderjährige Ehefrau beantragt, obwohl deren Mutter auch in Deutschland ist. Im Ergebnis wurde das Ruhen der elterlichen Sorge hinsicht- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5244 3 lich des noch im Libanon befindlichen Vaters festgestellt und im Übrigen der Mutter das Sorgerecht belassen. Bei einem Familiensenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist derzeit ein Fall anhängig, in welchem die Ehe geschlossen wurde, als die – inzwischen volljährige – Ehefrau erst 13 Jahre alt war. Dabei handelt es sich um ein Umfangsverfahren, in welchem der Vater des Kindes Umgang mit den gemeinsamen Kindern begehrt. Da die Vaterschaft unstreitig ist, kommt es in dem Verfahren allerdings auf die Wirksamkeit der Ehe nicht an. Ob es sich dabei jeweils um einen registrierten Fall im Sinne der Frage 2. handelt, ist hier nicht bekannt. Im Übrigen siehe Drs. 21/2363, 21/4861 und 21/4864. 4. Welches Konzept hat der Senat, um solchen Ehen zu begegnen und welche Rolle spielen die Jugendämter dabei? Siehe Drs. 21/2363, 21/4861 und 21/4864. 5. Gibt es Erfahrungen in speziellen Communitys diesbezüglich? Nein.